Meeresforschung: Das massenhafte Auftreten hat viele Gründe. Die anmutigen, aber oft gefährlichen Tiere profitieren von der Überfischung, von überdüngten Gewässern und vom Klimawandel. Auch der Ausbau von Molen und Häfen begünstigt ihre Lebensbedingungen.

Elegant treiben sie durchs Wasser und erhellen das nächtliche Meer mit einem geheimnisvollen Glühen. Leuchtquallen können einen durchaus ästhetischen Anblick bieten. Das Problem ist nur, dass die rötlich gefärbten Tiere mit ihren bis zu drei Meter langen Tentakeln voller giftiger Nesselzellen bewaffnet sind. Wer damit in Berührung kommt, zieht sich schmerzhafte Hautreizungen zu.

Ungewöhnlich viele Exemplare der Leuchtqualle Pelagia noctiluca beeinträchtigen derzeit den Badeurlaub am Mittelmeer, warnt der ADAC auf seinen Service-Seiten im Internet. Bis zu hundert Tiere pro Quadratmeter seien keine Seltenheit. Insbesondere an der Costa Brava, in der Toskana und rund um die Balearen hätten die Menschen beim Schwimmen zuletzt unfreiwillig Bekanntschaft mit den Glibbertieren gemacht. Das weckt Erinnerungen an den vergangenen Sommer, als sich allein auf Mallorca Hunderte Badegäste wegen Quallenverbrennungen behandeln lassen mussten und an einigen Stränden zeitweise Badeverbot herrschte. An den Küsten des spanischen Festlands verzeichnete das Rote Kreuz damals sogar mehr als 11 000 Quallenverletzte.

"Solche Quallenplagen kommen seit einigen Jahren auffällig oft vor", sagt Kristina Barz vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Zwar sei es normal, dass je nach Wetter und Nahrungsangebot in manchen Jahren mehr der durchsichtigen Meerestiere unterwegs sind als in anderen. Zudem spülen unterschiedliche Windverhältnisse mal in der einen und mal in der anderen Region besonders viele Exemplare an. Doch den Quallenboom der letzten Jahre erklärt das alles nicht.

"Für dieses Phänomen gibt es wahrscheinlich mehrere Ursachen", meint Stephan Lutter, Meeresexperte der Naturschutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) in Hamburg. Einer davon sind Christopher Lynam von der University of St. Andrews in Schottland und seine Kollegen auf die Spur gekommen.

Die Forscher waren entlang der gesamten Küste Namibias mit Echolot und Netzen unterwegs, um Meeresbewohner zu zählen. Die so gewonnenen Werte haben sie dann hochgerechnet. Dabei kamen erstaunliche Ergebnisse heraus, berichten die Wissenschaftler im Fachjournal "Current Biology".

Demnach gibt es in der Region 12,2 Millionen Tonnen Quallen, aber nur 3,6 Millionen Tonnen Fische - und das in einem Gebiet, das früher für seine ungewöhnlich ergiebigen Fischgründe bekannt war. Inzwischen ist das Meer vor Namibia allerdings überfischt. Und genau das könnte nach Meinung der Forscher den Quallenboom ausgelöst haben. Denn bei etlichen Fischarten stehen ebenso wie bei den Quallen winzige Krebse und anderes Kleingetier auf dem Speiseplan. Je weniger Fische es also gibt, umso weniger hungrige Konkurrenz haben die Glibbertiere zu fürchten.

"Es gibt aber noch eine Reihe weiterer Faktoren, die den Quallen nützen", sagt Kristina Barz. Einer davon hat ebenfalls mit der Fischerei zu tun. Denn diese hat die wenigen natürlichen Feinde, die Quallen überhaupt haben, stark dezimiert. Thunfische, Mondfische oder Meeresschildkröten sind in vielen Meeresgebieten so selten geworden, dass sie die Glibbertiere kaum noch dezimieren können. Dieser Effekt trägt nach Einschätzung vieler Experten zum Beispiel zu den Quallenproblemen des Mittelmeers bei.

Zudem ist das Mittelmeer heute wie die Ostsee und viele andere Gewässer stark mit Nährstoffen aus Abwasser und Landwirtschaftsdünger belastet. Dadurch entwickeln sich dort massenhaft Algen und Kleintiere - ein Prozess, der durch die Klimaerwärmung noch gefördert wird. Da können die Quallen im Überfluss schwelgen. Zumal sie mit den Schattenseiten der überdüngten Gewässer kaum Probleme haben: Den dort häufig auftretenden Sauerstoffmangel vertragen sie deutlich besser als jeder Fisch.

Das Angebot für Quallen ist aber nicht nur in Sachen Futter deutlich besser geworden. Durch den Ausbau der Küsten mit Häfen und Molen finden die Tiere auch immer mehr festen Untergrund, auf den sie in bestimmten Entwicklungsstadien angewiesen sind.

Viele der bekannten Arten wie Feuerqualle oder Ohrenqualle gehören zu den sogenannten Schirmquallen. Diese Tiere machen einen ganz speziellen Zyklus aus verschiedenen Entwicklungsformen durch. Nachdem Samen- und Eizellen verschmolzen sind, entstehen zunächst kleine Larven, die sich auf Steinen oder anderen harten Materialien festsetzen und mit ihren Fangarmen kleine Tiere aus dem Wasser fischen. Diese sesshaften Polypen können sich ungeschlechtlich vermehren, indem sie von ihrem Körper Knospen oder kleine Scheiben abschnüren. Die so abgetrennten Babyquallen treiben dann frei im Wasser und wachsen zu den bekannten "Medusen" heran - jenen großen schirmförmigen Quallen, die oft am Strand angespült werden. Je mehr Steine, Beton und feste Hafenanlagen es also gibt, umso bessere Lebensbedingungen finden die Polypen, und umso mehr Medusen entstehen.

"Welcher von all diesen Faktoren eine bestimmte Quallenplage ausgelöst hat, ist kaum zu entscheiden", sagt Stephan Lutter. Meist kommen wohl mehrere Entwicklungen zusammen, die den Glibbertieren das Leben angenehm machen. Wenn sie sich dann massenhaft vermehren, kann das nicht nur für Badegäste und Tourismusmanager zum Problem werden. In Namibia setzen Quallen Fischnetzen und Anlagen zur Wasserentnahme zu. In Japan haben sie erst vor kurzem ein Atomkraftwerk weitgehend lahmgelegt, indem sie dessen Kühlsystem blockierten. Und auch Fischer sehen den Vormarsch der Medusen nicht gern. "Es gibt Hinweise darauf, dass Quallen in der Ostsee mit Sprotten, Dorschen und anderen Fischarten um Nahrung konkurrieren", sagt Kristina Barz. Das muss für die Fische nicht immer ein Problem sein. Bei einer Untersuchung in der Region um Bornholm hat die Forscherin festgestellt, dass die Fischlarven dort vor allem zwischen März und Juni auftauchen, die Medusen dagegen erst Anfang Juli. "Dort kommen sich Fische und Quallen also nicht in die Quere", sagt sie.

Doch es gibt auch andere Fälle. Wenn zum Beispiel in der Kieler Bucht massenweise Ohrenquallen treiben, schwimmen dort nur wenige Heringslarven. Und im norwegischen Lurefjord bei Bergen hat die rote Tiefseequalle Periphylla periphylla in den letzten 30 Jahren die Fische komplett verdrängt.