Ethik-Diskurs: Medizin-Nobelpreisträger bei Johanneum-Schülern. Der englische Biochemiker Tim Hunt diskutierte 90 Minuten mit Hamburger Jugendlichen. Sein Forschungsthema: Wie entsteht Krebs? Etwas Neues zu entdecken: Das ist für ihn romantisch.

Es ist interessant zu erfahren wie Leute, die etwas erreicht haben, die Welt sehen", sagt Anna erwartungsvoll. Sie ist eine von 18 Oberstufenschülern und -schülerinnen des Johanneums in Winterhude, die gestern 90 Minuten mit dem Medizin-Nobelpreisträger Tim Hunt diskutieren konnten - auf englisch.

Die Schüler, die alle freiwillig am Programm für besonders Begabte teilnehmen, hatten zuvor neun Tage Zeit, um sich gemeinsam mit der Philosophie-Lehrerin Dr. Susanne Fromm auf dieses Treffen vorzubereiten. Ihnen lagen vor allem Fragen zur Ethik und zur Wissenschaft und zum Geld am Herzen.

Doch zunächst einmal kommen die Schüler nicht zu Wort, vielmehr unterhält Tim Hunt sie - auf äußerst amüsante Weise und reichlich gestikulierend - mit Geschichten aus seinem Leben. Das Motto: Wie man einen Nobelpreis bekommt, wie man sich dabei fühlt und was man trotzdem nicht erklären kann - Quantenphysik zum Beispiel.

"Ich war schon immer schlecht in Mathe und Physik", stellt der leger gekleidete Biochemiker - Segelschuhe aus braunem Leder, dunkelblaue Hose, blau-weiß gestreiftes, kurzärmeliges Hemd, wirres dunkles Haar - nach einem Ausflug in diese Disziplin klar. Aber, fügt er hinzu, er sei immer ein sehr guter Biologe gewesen, ein leidenschaftlicher gar. Mehr als 20 Jahre verfolgt Tim Hunt sein Forschungsthema, die roten Blutkörperchen haben es ihm angetan. Warum er das Thema nicht gewechselt habe, fragt ein Schüler. "Ich wollte die Antwort finden, ich wollte verstehen, warum sich diese Zellen so und nicht anders verhalten." Man könne einfach nicht aufhören, man müsse weitersuchen: um den Gang der Welt besser zu verstehen, habe ihm der Nobelpreisträger Stanley Cohen gesagt, als er dem 75 Jahre alten Forscher 1997 in seinem Labor bei der Arbeit zusah. So sei es.

Gleichwohl erwägt Tim Hunt, sich in fünf Jahren zur Ruhe zu setzen, vielleicht. Schließlich sei es sehr romantisch, etwas zu entdecken, was bis dahin noch niemand gewußt hat. Das treibe einen Wissenschaftler an, nicht die öffentliche Anerkennung, beteuert der Nobelpreisträger, der gesetzliche Regulierungen der Forschung nicht besonders schätzt.

Die Neugier habe, erzählt er den kritisch fragenden Schülern, der Menschheit hervorragende Fortschritte beschert. Wissenschaft und Technik dürfe man nicht gängeln. "Wer glaubt, Menschen hören auf, an etwas zu forschen, weil es verboten ist, der irrt", betont er eindringlich.

Und wer könne schon sagen, ob die Atombombe nicht doch Frieden über Europa gebracht habe, sinniert er, während er zugleich keinen Zweifel daran läßt, daß er vom Irak-Krieg nichts hält. "Ich hätte gern Tony Blair gefragt, was das soll. Aber als ich ihn traf, paßte es nicht. Also habe ich den britischen Botschafter, den ich auf meiner Reise durch Japan traf, um eine Erklärung gebeten. Sie war lang." Mehr auch nicht.

Unruhe kommt auf, als Tim Hunt lapidar feststellt, Klonen sei kein Problem für ihn. "Ich finde das nicht schlecht. Wenn meine Tochter bei einem Autounfall ums Leben käme, wäre es doch schön, wenn man sie wieder erschaffen könnte." Nein, er verstehe die Bedenken nicht, die die Schüler ansprechen. Ein Embryo sei doch kein Mensch, er wisse nicht einmal, ob ein neugeborenes Baby bereits als Mensch zu bezeichnen sei. Sicher sei nur, daß es sich zu einem Menschen entwickeln könne. Die Schüler sollen ihm ihre Bedenken verständlich machen, fordert Tim Hunt, der im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren den Glauben an einen Schöpfergott abgelegt hat, die Jugendlichen heraus. Da sind die 90 Minuten auch schon fast vorbei. Leider, wie einige Schüler meinen. Einen sehr praktischen Rat hat Tim Hunt auch parat: Die Schüler sollten herausfinden, worin sie gut sind, was sie interessiert. Danach sollten sie ihren Berufsweg wählen.

Es wird nicht die letzte Diskussion sein, die Hamburger Schüler mit hochkarätigen Forschern führen. Weitere sollen folgen, so Rolf-D. Neth, UKE-Medizin-Professor im Ruhestand, der vor 30 Jahren am Gymnasium in Buchholz Schüler und Top-Forscher zusammenführte.

Am Johanneum habe man mit dieser Veranstaltungsform begonnen, verrät Prof. Axel Zander (UKE), weil er dort Schüler gewesen sei.