Geschichte: Sonne, Segeln, Navigieren: Albert Einstein und die Ostsee. Ein Forscher berichtet.

Ich gehe jetzt mit einigen Verwandten für einige Wochen auf Rügen. Ich freue mich riesig das Meer kennen zu lernen." Dies schrieb Albert Einstein im Kriegssommer 1915 an seinen Schweizer Vertrauten Heinrich Zangger. Der Eindruck der Ostsee mit ihrer "herben Schönheit" sollte für Einstein zu den bleibenden Impressionen seines Lebens gehören. Auch in den folgenden Jahren zieht er sich wiederholt dorthin zur Erholung zurück und noch im amerikanischen Exil zählt die Erinnerung an die Ostsee zu den "lieben und behaglichen" Remineszenzen an die deutsche Landschaft.

Sein bevorzugtes Reiseziel wurden das Fischland und der Darß. Hier in Ahrenshoop und Wustrow verbrachte er mehrere Sommer. So im Sommer 1918, wo er nach einer längeren Krankheit die Ruhe und Abgeschiedenheit des Fischlandes genoß und seine Rekonvaleszenz vollendete. Auch die folgenden Sommer verbrachte er dort zusammen mit seiner zweiten Frau Elsa und ihren Töchtern Ilse und Margot. Letztere waren es wahrscheinlich auch, die Einstein nach Hiddensee brachten. Die Insel war schon damals der Rückzugsort der Berliner Prominenz. Dort residierte auch Gerhart Hauptmann, mit dem Einstein aus Berlin bekannt war und mit dessen Familie die Stieftöchter Einsteins regen Kontakt pflegten.

Eine 1981 angebrachte Gedenktafel an der Vogelwarte kündet von Einsteins Besuch auf der Insel. Nachdem Einstein im Frühjahr 1928 erneut einen physischen Zusammenbruch erlitten hatte, schickte ihn sein Hausarzt wieder zur Erholung an die Ostsee. Diesmal jedoch nicht an die mecklenburgische Küste, sondern in das damals noch beschauliche holsteinische Fischerdorf Scharbeutz. Dort wurde ein Haus mit Seeblick für die Sommermonate gemietet, wo Einstein aber nicht nur allein, bzw. zusammen mit seiner Frau Elsa Quartier bezog. Die Einsteinsche Großfamilie komplettierten diesmal aber nicht die inzwischen flügge gewordenen Stieftöchter, sondern zur Reisegesellschaft gehörten vielmehr Einsteins gerade neu eingestellte Sekretärin Helen Dukas sowie seine damalige Geliebte Toni Mendel. Letztere war eine attraktive und wohlhabende Berliner Witwe, die das Sommerhaus angemietet hatte. Bei solch formidablen Urlaubsbedingungen und "unter prächtigen Buchen liegend", kräftigten sich Einsteins Lebensgeister schnell wieder.

Die Kur in Scharbeutz ist Einsteins letzter überlieferter Aufenthalt an der Ostsee, mit der ihn aber auch noch andere Bande verknüpfte. So hatte er im Herbst 1919, anläßlich der 400-Jahrfeier der Rostocker Universität, die Ehrendoktorwürde der medizinischen Fakultät verliehen bekommen. Wie es in der Laudatio heißt, "in Anerkennung der gewaltigen Arbeit seines Geistes, durch die er die Begriffe von Raum und Zeit, von Schwerkraft und Materie von Grund auf erneuert hat".

Warum Einstein gerade durch die Mediziner und nicht von seinen eigentlichen Fachkollegen geehrt wurde, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall hat Einstein den universitären Festakt in der ihm typischen Art bissig und ironisch als ein ergötzliches Beispiel deutscher Kleinstaat-Politik kommentiert. Als Einstein 15 Jahre später zu den Verfemten in Deutschland gehörte und die Nazis ihn nicht nur in die Emigration zwangen, sondern ihn auch auf die Ausbürgerungsliste setzten, vergaß man im übrigen, ihm auch das Ehrendoktorat abzuerkennen - dies wohl weniger aufgrund widerständigen Verhaltens als wegen bürokratischer Schlamperei und Vergeßlichkeit der Universitätsbehörden.

Einstein zog es aber nicht nur der Sonne und der schönen Strände wegen an die Ostsee, er konnte doch dort auch seiner Segelleidenschaft frönen. Letztere hat er zusammen mit seinen Söhnen in Wustrow und Ahrenshoop auf dem Bodden gepflegt, vor allem aber als Gast des Kieler Unternehmers Hermann Anschütz auf der Kieler Förde.

Mit Anschütz verbanden ihn neben der Segelleidenschaft auch handfeste wissenschaftliche und geschäftliche Interessen. Anschütz gilt als der Erfinder des Kreiselkompasses, zu dessen Weiterentwicklung Einstein in Zusammenarbeit mit Anschütz beigetragen hat; zudem unterstützte Einstein den Erfinder als Experten in mehreren Patentprozessen, wodurch er sich nicht unerhebliche Nebeneinkünfte sichern konnte.

Wie eng beider Beziehungen war, macht auch die Tatsache deutlich, daß sich Einstein 1922, als er sich nach der Ermordung Walther Rathenaus ebenfalls bedroht fühlte, mit dem Gedanken trug, nach Kiel umzuziehen. Dort wollte er fern der Öffentlichkeit ein "verträumtes Haus mit wildem Garten" als Rückzugsort und Wohnsitz erwerben.

Nach reiflicher Überlegung nahm er dann aber doch von den Kaufplänen Abstand. Dies nicht nur, weil der Wechsel von Berlin in die Provinz seiner Frau Elsa nicht behagen wollte, sondern vor allem deswegen, weil der geplante Hauskauf in Kiel wohl als provokatorischer Akt empfunden worden wäre und antisemitische Ressentiments geschürt hätte. Seinem Freund Anschütz schrieb er: "Manchmal kommt man sich unter den Menschen vor wie in einer Büffelherde. An sich sind sie nicht bös', aber man muß doch acht geben, daß sie einen nicht zertrampeln."

\ Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin und Privatdozent an der Humboldt-Universität.*