Albert Einstein fasziniert Experten wie Laien. Auf dem Wissenschaftsforum wurde über sein Erbe diskutiert. Eine Zusammenfassung.

Einstein hat gezeigt, daß wir imstande sind, die Welt, den Kosmos naturwissenschaftlich zu begreifen. Er ist für mich Faszination des Wissens und der Wissenschaft", sagte Prof. Albrecht Wagner, Vorsitzender des DESY-Direktoriums. Er war einer der vier Experten des 29. Hamburger Wissenschaftsforums, Motto "Was Einstein uns vererbte", das vom Abendblatt, NDR 90,3 und dem Hamburg Journal veranstaltet wurde. "Einstein war einer der wenigen unabhängigen und streng logisch konsistent denkenden Menschen. Er hat das Weltbild, das Galilei und Newton begründet hatten, auseinander genommen und wieder zusammengesetzt", würdigte ihn Prof. Ulrich Eckhardt, Mathematiker an der Uni Hamburg: "Einstein hat dem menschlichen Verstand wieder den Platz eingeräumt, der ihm gebührt - ganz oben."

Diese Sichtweise sei im Mittelalter verloren gegangen. Einstein habe klargestellt, daß der Mensch das Gehirn bekam, damit er es gebrauche und nicht, damit er es ungebraucht zurückgäbe, so Eckhardt. Einstein sei ein kritischer Geist gewesen, betonte Prof. Dieter Hoffmann, der am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und als Professor an der Humboldt-Uni arbeitet. "Schon in seiner Jugend hat er Autoritäten hinterfragt. Er hat immer gegen die Autoritätsduselei als den größten Makel der Menschheit protestiert", sagte der Forscher. Gleichwohl hatte Einstein "auch eine widersprüchliche Persönlichkeit. Er war teilweise unleidlich und unsympathisch", so Hans-Joachim Braun, Professor für Neuere Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte an der Helmut-Schmidt-Uni Hamburg.

Einsteins Erbschaft ist vielfältig, das wurde an diesem Abend in der Uni Hamburg klar. "Wenn man sich überlegt, welche Rolle Einstein heute spielt, so lautet die Antwort: In der Wissenschaft spielt er eine zunehmend wichtigere Rolle. Er hat ja begonnen, das Weltbild der Physik zu revolutionieren", so Prof. Albrecht Wagner. Und er habe wohl als einer der Ersten die Idee gehabt, daß man die Welt durch eine einzige Formel beschreiben könne. "Ihm ist das nicht gelungen. Aber ich hoffe, daß uns dies in näherer Zukunft gelingen wird", so der Physiker, dessen Forschung ohne Einstein nicht denkbar ist.

Einstein kam allerdings nicht aus dem Nichts. "Sein Verdienst ist es, die Erkenntnisse seiner Zeit unter einem neuen Blickwinkel betrachtet zu haben", würdigte Hoffmann und legte dar, daß die Spezielle Relativitätstheorie fast vollständig entwickelt gewesen sei, es zu Einsteins Arbeiten über die Molekularbewegung Parallelveröffentlichungen gab und Einstein in seinen Arbeiten zum Licht Ideen aufgenommen habe, die Max Planck fünf Jahre zuvor veröffentlicht hatte. "Es gab sogar eine Reihe von Leuten, die auch die Relativitätstheorie hätten entwickeln können, wenn sie fleißiger gewesen wären", vermutete Eckhardt und nannte als Beispiel den Hamburger Prof. Erich Kähler. "Wenn sie heute etwas über Kosmologie oder String-Theorie lesen, taucht immer dieser Name auf."

Überhaupt sei Hamburg ein wichtiger Zulieferer für die Relativitätstheorie gewesen. Namen wie Heinrich Hertz, Hermann Weil, Otto Heckmann oder auch Walter Benz, der heute an der Uni forscht, seien mit dieser Theorie untrennbar verknüpft.

Auch wenn Einstein seine Theorien nicht formuliert hätte, wären früher oder später andere Forscher auf diese elementaren Wahrheiten gestoßen, darin waren sich die Experten einig. Gleichwohl bliebe er einzigartig, unterstrich Prof. Braun, denn nur ihm sei es gelungen, in nur einem Jahr fünf grundlegende und herausragende Arbeiten zu formulieren.

Von Einstein lernen, bedeute die Grundlagenforschung zu stärken, unterstrichen die Wissenschaftler. "Die zentrale Rolle der Grundlagenforschung als Basis für die Gesellschaft verkörpert Einstein in einer hervorragenden Weise. Das ist in einer Zeit, in der Geldgeber gucken, wann kommt der erste Euro wieder in meine Kasse, eine sehr wichtige Beobachtung", sagte Wagner. Wer kreative Durchbrüche wolle, dürfe nicht nur auf einem Spezialgebiet spielen, sondern brauche mehrere Ebenen, unterstrich Braun. Wer Exzellenzen wolle, dürfe keine Fachidioten heranziehen. Braun verwies auf die Rolle der Kunst und Musik im Leben Einsteins : Wer sich in seiner Freizeit mit Musik beschäftige, erhole sich und habe die Chance, sich ein Repertoire an Problemlösungs-Möglichkeiten für andere Arbeitsfelder aufzubauen.

"Einstein war nicht nur der herausragende Physiker des 20. Jahrhunderts, auch sein politisches Verhalten war im Vergleich zu seinen Fachkollegen außergewöhnlich", betonte Hoffmann. So habe sich Einstein während des Ersten Weltkrieges allen chauvinistischen und nationalistischen Stellungnahmen entzogen. "Sein Einsatz für die Weimarer Republik, sein pazifistisches Engagement und seine in der Nachkriegszeit ebenfalls einsetzende Unterstützung für die zionistische Bewegung machten ihn nicht nur zum politischen Außenseiter in der deutschen Professorenschaft der 20er-Jahre, sondern auch zum Gegenstand chauvinistischer und antisemitischer Hetzkampagnen. Sie bezogen sich nicht nur auf Einsteins pazifistische und demokratische Grundhaltung, sondern auch auf seine wissenschaftliche Arbeit", so der Forscher. Die Gegner bezeichneten Einsteins Relativitätstheorie als "Entartung des gesunden Menschenverstandes und typisch jüdisches Blendwerk".

Nach der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 mußte Einstein Deutschland verlassen. Im amerikanischen Exil setzte er sich nicht nur für vertriebene und verfolgte Kollegen ein, sondern auch für die schwarze Bürgerrechtsbewegung. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte er sich für die nukleare Abrüstung, obwohl er 1939 den Brief an US-Präsident Roosevelt geschrieben hatte, in dem er zum Bau einer Atombombe riet. "Einstein wurde so zur Symbolfigur für den moralischen Wissenschaftler", urteilte Hoffmann.

Prof. Braun protestierte gegen eine eindimensionale Sichtweise. Es bestünde die Gefahr, "Einstein zu verklären. Einstein hat sich eindeutig auch mit Militärtechnik beschäftigt: etwa ein Magnetzünder im Dienste Amerikaner und sein Kreiselkompaß war zunächst für die Marine gedacht. Also nur pazifistisch war er nicht. "

Weltweit bekannt wurde Einstein allerdings nicht 1905, sondern erst 1919. Damals gelang es britischen Forschern mit einer aufwendigen Exkursion, die sie in die Tropen führte, eine der Voraussagen von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie zu bestätigen. Dieses vermeldete die Londoner "Times" am 7. November. Am 10. November verkündete die "New York Times": "Einsteins Theorie triumphiert". Damit begann die Karriere des Wuschelkopfes als Popstar der Wissenschaft. "Wenn man Einstein heute fragen würde, wäre er wohl sehr erfreut über die Exzellenz der Physik, die aus seinen Arbeiten resultiert", vermutete Hoffmann, "und er wäre sehr erschüttert über die Situation im Nahen Osten." Denn seine Vision war, daß Juden und Araber in einem eigenständigen Staat in Palästina friedlich zusammenleben.

Einsteins Erben haben nicht nur an Einsteins Traum von der Weltformel zu knacken, sondern auch an seinem Traum vom friedlichen Zusammenleben aller Menschen.

Informationen zum Einsteinjahr im Internet :

www.einsteinjahr.de (das Forum im Radio auf NDR 90,3: 9. April, 19.05-20 Uhr).