Urgeschichte: Auf einer Insel Indonesiens fanden Forscher Reste unbekannter Zwergmenschen. Sie lebten vor 18 000 Jahren.

Die Geschichte des Menschengeschlechts wird immer rätselhafter. Lange Zeit glaubten die Wissenschaftler, daß mit jedem Fundstück aus der Vorgeschichte des Menschen ein weiteres Puzzlestück der Entwicklungsgeschichte vorliegt. Doch inzwischen ist klar: Immer neue versteinerte Knochenstücke oder Skelettreste geben neue Geheimnisse preis und machen neue Theorien über die Menschwerdung möglich. Jetzt haben Forscher in einer Höhle auf der indonesischen Insel Flores Überreste einer bislang unbekannten Zwergmenschenart ausgegraben. Der auf den Namen Homo floresiensis getaufte Vertreter der neuen Art hat einen nur pampelmusengroßen Kopf und war mit nur einem Meter Körperhöhe erstaunlich klein, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt "Nature" (Bd. 431) von heute. Die Entdeckung dieser neuen Menschenart, die noch bis vor etwa 18 000 Jahren existierte, lasse vermuten, daß die Gattung Homo nach der Auswanderung aus Afrika eine größere Vielfalt aufwies, als bislang angenommen.

Die Forscher um Peter Brown und Mike Moorwood von der Universität von New England in Armidale (Australien) stießen im September 2003 während Grabungsarbeiten in der Liang-Bua-Höhle auf das Skelett der erwachsenen Frau. Die schmale Statur und der kleine Schädel erinnern an eine afrikanische Gattung der Menschenartigen, der sogenannten Hominiden: die frühen Australopithecinen. Schädel- und Kieferknochen stellten allerdings eine ungewöhnliche Mischung aus primitiven, modernen und einzigartigen Merkmalen dar. Insbesondere Eigenschaften des Gesichts und der Zähne kennzeichneten das Skelett als zur Gattung Homo gehörend.

Die Wissenschaftler vermuten, daß es sich beim Homo floresiensis um einen Abkömmling des Homo erectus handelt, aus dem sich wahrscheinlich auch der Homo sapiens entwickelt hat, der Mensch von heute. Der Homo erectus verbreitete sich, beginnend vor etwa zwei Millionen Jahren, aus Afrika bis nach Asien und Europa. Der Theorie zufolge entwickelten sich auf der Insel Flores einige Vertreter des Homo erectus - isoliert von ihren Artgenossen - zu der nun entdeckten eigenständigen Art weiter.

Die ungewöhnlich kleine Körperhöhe, die den Homo floresiensis deutlich vom Homo erectus unterscheidet, erklären die Wissenschaftler mit einer nachträglichen Schrumpfung als Anpassung an die neue Umgebung. Ein eingeschränktes Nahrungsangebot könne dazu führen, daß kleinere Vertreter mit niedrigerem Kalorienbedarf von der Evolution bevorzugt werden. Solche Vorgänge seien aus dem Tierreich bekannt.

Tatsächlich fanden die Forscher an der gleichen Fundstelle Reste primitiver Elefanten, ebenfalls geschrumpft. Diese Stegodonten waren die einzigen großen Landsäugetiere, die während des Pleistozäns mit Homo floresiensis auf der Insel lebten.

Auch der Homo sapiens hatte in dieser Zeit bereits den asiatischen Raum erobert. Die beiden Menschenarten lebten also nebeneinander. Ob sie miteinander interagierten, ist allerdings unklar. Neben den Überresten der Elefanten fanden die Wissenschaftler auch Steinwerkzeuge. Sie lassen darauf schließen, daß die frühen Menschen Homo sapiens oder Homo floresiensis die Tiere gejagt haben.

Der Fund bestätige die Annahme, daß die Gattung Homo in viel mehr Vertreter aufgespalten gewesen sei und der Stammbaum des Menschen einem Busch gleiche, schreiben Marta Mirazón und Robert Foley von der Universität Cambridge (Großbritannien). Die Forscher um Brown und Moorwood rechnen damit, daß weitere Menschenarten entdeckt werden.