Internet: Russische Firma im Kampf gegen Computerkriminalität. Jewgeni Kaspersky ist Chef des führenden Antivirenunternehmens in Rußland. Der erfolgreiche Geschäftsmann ist der Spezialist, wenn es um Trojanische Pferde, Würmer, Hoaxe und Hacker geht.

Moskau - auf der achtspurigen Einfallstraße ins Zentrum schieben sich Lkw und Autobusse. Wir sind auf dem Weg vom Flughafen zu Kaspersky Lab, dem führenden Antiviren-Unternehmen Rußlands. Firmengründer Jewgeni Kaspersky gehört seit vielen Jahren zu den schillernden Persönlichkeiten der internationalen Internetszene. Kaum ein anderer kennt sich so gut mit Trojanischen Pferden, Würmern, Hoaxen und Hackern aus wie er. Die Fangemeinde nennt ihn ehrfurchtsvoll den "Virenpapst".

Wir treffen ihn im Hotel, denn die Firmenzentrale dürfen wir nur von außen "besichtigen" - aus Sicherheitsgründen. Lachend sitzt Kaspersky uns mit T-Shirt und Jeans gegenüber. Ein rundlicher Vierziger, mit Pferdeschwanz, der gestenreich und mit Lust an seinen Geschichten von seiner Jugendliebe erzählt: "Mit zehn Jahren hatte ich eine Leidenschaft für mathematische Aufgaben und Formeln."

1965 im Noworossisk geboren, absolvierte Kaspersky seine Ausbildung zunächst am Institut für Kryptographie, Kommunikation und Informationswesen des Geheimdienstes KGB. Ende der achtziger Jahre entschlüsselte er seinen ersten Virus und ist seitdem leidenschaftlicher Virenforscher. Für den KGB habe er nie gearbeitet, nur für das Verteidigungsministerium.

Aus dem jungenhaften Grenzgänger, der Computerviren sammelte wie andere Briefmarken, ist nach Ende des Kalten Krieges ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden. 1997 gründete er mit seiner Frau Natalja (39) die Firma Kaspersky Lab. Die dort entwickelte Software, die Computer gegen Viren, Würmer und Hacker-Angriffe schützt, liegt in den Tests der Fachzeitschriften meist vorn. Rund 550 Mitarbeiter in elf Niederlassungen sind in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA für das Unternehmen tätig. US-Konzerne gehören ebenso zu Kasperskys Kunden wie mittelständische Firmen.

"Heute geht es darum, unser Unternehmen zum weltweit führenden zu machen", hebt Kaspersky hervor. Als wir vor der Firmenzentrale stehen, sind wir vom äußeren Eindruck verblüfft: Sieben Kilometer nördlich des Roten Platzes gelegen, in einem typischen Moskauer Viertel mit Hochhäusern, ein paar Bäumen, Supermarkt, Spielsalon, Juwelier und Schuhladen steht in der "Held-Panfilow-Straße" das 16stöckige Gebäude aus den siebziger Jahren. Unansehnlich und von Abgasen grau angefressen.

Dabei befinden sich Internet-Unternehmen wie Kaspersky Lab, die Sicherheit für das World Wide Web verkaufen, auf Höhenflug. Dem US-Marktforschungsunternehmen Computer Economics zufolge betrug der weltweite Schaden moderner Cyber-Verbrecher 2004 fast 18 Milliarden Dollar - Tendenz steigend. Das habe auch mit den Veränderungen der Internet-Kriminalität zu tun, erklärt Kaspersky: "Als das Internet vor zehn Jahren im Embryonalzustand war, konnte man praktisch kein Geld verdienen." Heute sieht das anders aus. Mit den ersten gebührenpflichtigen Providern kamen auch die Trojaner, Programme, die Rechner-Funktionen und Daten zerstören, einschränken oder Paßwörter ausspionieren. Eine neue Generation von Virenautoren entstand.

Diese Form des arbeitsteilig organisierten Verbrechens werde immer mehr zunehmen und kaum zu bekämpfen sein: "Nur die stärksten und cleversten werden überleben. Wir als Antivirenfirma werden künftig gegen Verbrecher mit höherem Niveau kämpfen." Global könne man die Hackerindustrie nie besiegen - außer man vernichtete Computer und Menschen gleichzeitig.

Zu Anfang der 90er Jahre war die Zahl der Viren noch überschaubar. Damals gab es bis zu 30 000. Heute ließe sich die Menge der Viren kaum noch überschauen. Bis zu 300 000 Nachweise umfasse heute die Virensammlung seines Unternehmens. Wichtig sei herauszubekommen, um welche Art von Virenstrom es sich handle, wohin dieser ziele und welche Schäden verursacht werden könnten.

Den Zustand des Internets bezeichnet er als kriminalisiert. Ständige Viren- und Trojaner-Attacken terrorisierten Heimanwender ebenso wie Unternehmen und staatliche Institutionen. Zu den alltäglichen Internet-Angriffen gehören der Diebstahl persönlicher sowie firmeneigener Bankdaten oder von Kreditkartennummern. Daneben gibt es die Entwicklung von Programmen, die ohne Wissen des Users aus dem Internet Reklame herunterladen und installieren - oder Programme, die ständig kostenpflichtige, teure Telefonnummern wählen. Eine detektivische Arbeit sei nötig, um die kriminellen Urheber aufzuspüren oder ihnen sogar zuvorzukommen.

Die meisten Viren werden in China, Brasilien und Rußland produziert. Ganz selten in westlichen Industrienationen. Und wenn dies doch einmal der Fall sein sollte, wären Emigranten die Urheber. Kaspersky sieht dafür zwei Gründe: Erstens sei die Kriminalität in einem ökonomisch intakten System geringer und zweitens würde die jeweilige Mentalität eine entscheidende Rolle spielen: "In Japan werden keine Viren geschrieben. Japaner begehen keine Internet-Verbrechen, für sie wäre das eine Schande."

Die These, daß Antiviren-Unternehmen aus finanziellem Eigeninteresse Panikmache betreiben würden, hält er für abwegig. Vielmehr ließen sich virtuelle Netze für terroristische Anschläge nutzen. Wie, das will er uns nicht verraten. Er habe Angst, daß dieses Szenario eines Tages real werde. Zumal die Welt des Internets immer mehr über unsere wirkliche Welt hinaus wachse und ein virtueller Krieg anstelle eines realen nicht mehr auszuschließen sei: "Es hat ja bereits Versuche gegeben, einen virtuellen Krieg zu führen. Im April 2001 kollidierte ein amerikanisches Spionageflugzeug mit einer chinesischen Jagdmaschine. Hacker beider Länder fingen daraufhin an, Internet-Ressourcen der jeweils anderen Seite zu attackieren. Heute werden Internet-Informationen immer wichtiger für das staatliche System. Die Zerstörung solcher Computernetze könnte Teil geplanter militärischer Operationen sein oder die Infiltration mit Propaganda. Es kann zu Desinformation des Gegners kommen."

Vor allem in den westlichen Industrienationen gibt es Planspiele, in denen Angriffe auf Rechnersysteme simuliert werden. In Deutschland gelang es im Laborversuch, Strom- und Telefonnetze sowie den Zentralrechner einer Großbank über das Internet zu sabotieren - mit dem Ergebnis, daß im realen Konfliktfall vermutlich das wirtschaftliche und öffentliche Leben vorübergehend zusammengebrochen wäre. Um solche kritischen Infrastrukturen in der Energie- und Wasserversorgung, der Telekommunikation und dem Finanzwesen zu schützen, wurde sogar ein eigenes Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik aus der Taufe gehoben.

Trotz seiner Größe ist Kaspersky Lab keine normale Firma, eher eine verschworene Gemeinschaft. Alexander Gostjew und Juri Maschewsky, führende Virenanalysten des Unternehmens, sind 24 Stunden im Einsatz. Immer auf der Suche nach Viren und einem wirksamen Gegengift.

Die Mitarbeiter werden sehr sorgfältig ausgewählt, denn die Gefahr, daß Hacker sich in das Unternehmen einschleusen, sei groß und hätte auch katastrophale Folgen. Wie alle bei Kaspersky Lab befindet sich auch der Kopf des Unternehmens in ständiger Alarmbereitschaft. "Eine klare Vorstellung davon, was Gut und was Böse, was Recht oder Unrecht ist, bemerken wir bei fast allen Mitarbeitern von Kaspersky Lab."