Ein neues Judo-Training soll Spaß an der Bewegung vermitteln und den Kindern beim Abnehmen helfen. Ärzte begleiten das Programm.

Hamburg. Man kann nicht immer gewinnen im Leben, doch wenn man schon fällt, sollte es möglichst nicht wehtun. Das gilt zumindest im Judo. Deshalb übt Dominik als Erstes, wie er die Energie seines Aufschlags mit seiner offenen Hand und seinem Unterarm auf eine möglichst große Fläche verteilt. Rums! Mit einem Knall landet der Zwölfjährige auf der Matte. Und steht ungerührt wieder auf. Jetzt ist sein Trainingspartner dran.

Auch die anderen acht Jugendlichen in der Waldsporthalle des Niendorfer TSV gehen selbstbewusst zur Sache. Dass sie etwas mehr wiegen als andere Kinder, ist kein Thema, und es gibt hier auch keinen Anlass, der sie daran erinnern könnte, anders als beispielsweise in der Leichtathletik, beim Fußball und beim Tennis, wo schnell auffällt, wer ein paar Kilos zu viel mit sich herumträgt, wo das sportliche Miteinander für Kinder wie Dominik eher entmutigend sein kann.

+++ Übergewicht beim Kind richtig angehen +++

"Judo zählt zu den wenigen Sportarten, in denen übergewichtige Kinder keine Nachteile haben, sondern sogar Vorteile", sagt Professor Rainer Ganschow. Der Kinderarzt vom Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) ist Vorsitzender des Hamburger Judo-Verbands und Initiator des neuen Projekts "Judo bewegt adipöse Kinder". Ein Jahr dauert das von der Alexander-Otto-Sportstiftung geförderte Programm, bei dem Kinder im Alter von sieben bis 14 Jahren einmal pro Woche in Niendorf trainieren. Eine zweite Gruppe soll nach den Herbstferien im Eimsbütteler Turnverein (ETV) beginnen.

Die Kinder erhalten einen Judoanzug und eine Jahresmitgliedschaft im Verein; neben dem Training werden sie am UKE sportmedizinisch und psychologisch untersucht; außerdem erhalten sie und ihre Eltern dort eine Ernährungsberatung, die darüber aufklärt, wie viele Kalorien in bestimmten Lebensmitteln enthalten sind und was dick macht. Die Ernährung sei allerdings zweitrangig, sagt Ganschow, denn als Hauptursache für Übergewicht gelte Bewegungsmangel. "Deshalb geht es uns auch in erster Linie darum, den Kindern Spaß an der Bewegung zu vermitteln. Wir legen nicht fest, dass sie in einem bestimmten Zeitraum so und so viel Kilogramm abnehmen sollen. Das unterscheidet uns von anderen Projekten, in denen Druck aufgebaut wird."

+++ Dicke fühlen sich in Deutschland diskriminiert +++

Von Druck hält auch Dominiks Mutter wenig, deshalb möchte sie auch nicht von einem Problem sprechen. Stattdessen setzt sie auf Humor. "Nennen wir es eine Baustelle", sagt Claudia Leiß mit Blick auf ihren Sohn, der gerade seine erste Wurftechnik übt, den O Soto Gari, übersetzt: große Außensichel. Aus ihrer Sicht ist die Baustelle entstanden, seit Dominik eine Ganztagsschule besucht, die in der Regel um 16 Uhr endet. "Da fehlt der nötige Ausgleich", sagt sie. Dominiks Kinderärztin erzählte der Mutter dann von dem UKE-Programm. Und da Dominik in den Jahren zuvor ohnehin immer mal wieder mit Judo liebäugelte, meldete Claudia Leiß ihn an. Jetzt ist sie begeistert: "Mir gefällt, wie spielerisch das Training aufgebaut ist. Dominik wird hier nicht schief angeguckt, falls er mal außer Atem ist, und er weiß, das ist eine faire Sache, auf die er sich hier einlässt. Das ist ihm sehr wichtig."

Tatsächlich sind die gegenseitige Rücksichtnahme und der Respekt vor dem Gegner und vor dem Trainer wesentlich für Judo. Letzteres verdeutlichen die Verbeugungen zu Beginn und am Ende des Trainings, bei denen absolute Stille herrschen muss. "Sanfter Weg" heißt die in Japan entstandene Kampfsportart übersetzt, die sich durch Würfe, Fußfeger und Haltegriffe am Boden auszeichnet (Tritte und Schläge gibt es nicht). Ein zentrales Prinzip heißt "Siegen durch Nachgeben": Indem man die Energie des Gegners nutzt, lässt sich dieser mit relativ geringem Kraftaufwand werfen; eine kleine Fußbewegung kann den Gegner aus dem Gleichgewicht bringen. Beim Bodenkampf kann auch das Gewicht ein Vorteil sein.

In dem Kursus in Niendorf lernen die Kinder Judo in kleinen Schritten. Und sie werden gemeinsam in die Pflicht genommen, indem sie helfen müssen, die Matten in der Halle auf- und abzubauen. Das stärkt das Gemeinschaftsgefühl. Wenn der Kursus zu Ende ist, so hofft Rainer Ganschow, werden möglichst viele der Kinder in den regulären Kursen des Vereins weitermachen oder - wenn sie weit entfernt wohnen - sich in anderen Klubs zum Judotraining anmelden.

Ein paar Schweißperlen auf der Stirn, leicht gerötete Wangen - Dominik sieht aus, als könnte er noch eine Trainingseinheit drauflegen, als er nach 1,5 Stunden aus der Halle kommt. Dann erzählt der Siebtklässler, dass er Computerspiele mag und Mangas, japanische Comics, Dinge also, die nach häufiger Lesart die Jugend vom Sport abhalten. Das muss aber nicht so sein. Warum Judo? Dominik schaut erstaunt, als verstehe er die Frage nicht. "Na ja, ich will doch nicht bloß herumsitzen, sondern etwas tun. Ganz einfach."