Leichtbau mit Kohlenstofffasern soll durch Spriteinsparung zum Klimaschutz beitragen. Doch das “Wundermaterial“ birgt Herausforderungen.

Hamburg. Ein Drittel leichter als Aluminium, nur halb so schwer wie Stahl - und dabei extrem stabil: Carbon gilt als Werkstoff der Zukunft. Zu dünnen Fäden gesponnen lässt sich der Kohlenstoff zu Matten verweben und mit Harz fixiert als sogenannter Carbon-faserverstärkter Kunststoff (CFK) in diverse Formen pressen.

Ursprünglich für die Raumfahrt entwickelt, war CFK noch vor zehn Jahren ein extrem teures Gut, das nur im Rad-, Motorrad- und Autorennsport zum Einsatz kam. Mittlerweile werden die Kohlenstofffasern zwar auch in Flugzeugen verbaut, allerdings nur in Form von nicht tragenden Teilen wie Flügeloberschalen. Auch diverse Sportartikel enthalten CFK, etwa Tennisschläger. Erheblich teurer als Stahl und Alu ist der Stoff jedoch immer noch. Der Durchbruch im Auto- und Flugzeugbau blieb CFK deshalb bisher verwehrt.

Doch angesichts des Klimawandels ist der Druck auf die Hersteller gestiegen, den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeuge zu reduzieren. Leichtbau mit Carbon soll das Problem lösen. Flugzeughersteller Boing fertigt einen Großteil des Rumpfs und damit mehr als 50 Prozent seines neuen Langstreckenfliegers 787 aus CFK; das Gleiche macht Konkurrent Airbus bei ihrer A350, die 2014 ausgeliefert werden soll. Auch die Autobauer starten durch: BMW will 2013 das "Megacity Vehicle" in den Handel bringen, ein leichtes Elektroauto mit einer Karosserie aus CFK. Es wäre das erste Großserienfahrzeug dieser Art. Allerdings kostet die Herstellung von Kohlenstofffasern erheblich mehr Energie, als für die Erzeugung von Stahl und Aluminium nötig ist. Selbst wenn ein dank CFK abgespecktes Fahrzeug weniger verbrauchen würde: Lohnt sich der verstärkte Einsatz des Materials unterm Strich wirklich? Oder ist der angebliche Klimavorteil nur Augenwischerei?

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Für den Energieverbrauch eines Flugzeugs spielt das Gewicht eine große Rolle. "Hier zählt jedes Kilogramm", sagt Prof. Ulrich Huber vom Department Fahrzeugtechnik und Flugzeugbau an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW). Der Airbus A350 soll dank seines Rumpfs aus CFK etwa ein Viertel weniger Treibstoff verbrauchen. Beim Auto verhält es sich etwas anders: Das Gewicht ist zwar bedeutend beim Beschleunigen und Bremsen, also insbesondere in der Stadt. Rollt das Fahrzeug jedoch erst einmal mit gleichbleibender Geschwindigkeit, ist das Gewicht für den Spritverbrauch fast egal. 100 Kilo weniger bringen im Durchschnittsmix gerade einmal 0,3 bis 0,5 Liter weniger auf 100 Kilometern, zeigen Berechnungen. Dennoch mache ein stärkerer Einsatz von CFK auch beim Auto Sinn, sagt Verkehrsexperte Andreas Ostermeier vom Umweltbundesamt: "Wir gehen davon aus, dass die Einsparungen in der Betriebsphase langfristig so groß sind, dass der höhere Energieverbrauch in der Herstellung wahrscheinlich mehr als kompensiert werden wird."

BMW gibt jetzt schon an, der CO2-Ausstoß seines "Megacity Vehicles" werde über den gesamten Zyklus gesehen - also von der Produktion der Carbonfasern über den Betrieb bis zur Entsorgung - sogar ein Drittel niedriger ausfallen als bei einem konventionell produzierten Fahrzeug mit Bauteilen aus Stahl und Aluminium. Möglich werde dies, weil das vom Zulieferer SGL Carbon betriebene neue Kohlenstofffaserwerk in Moses Lake (USA) ausschließlich Strom aus Wasserkraft nutze. Überprüfbar sind diese Angaben nicht. Ob die Klimabilanz von CFK in der Auto- und in der Flugzeugindustrie tatsächlich besser ausfallen wird als die von Stahl und Aluminium, muss sich erst noch erweisen. Klar ist aber schon jetzt: Das Potenzial der schwarzen Fasern ist noch lange nicht ausgereizt. "Wenn etwa genauer bekannt wäre, wie sich CFK bei bestimmten Belastungen verhält, könnte man noch viel Gewicht sparen - und damit den Verbrauch und CO2-Ausstoß weiter senken", sagt Ulrich Huber von der HAW. Er erforscht mit seinem Team, wie Temperaturunterschiede, die während eines Flugs auftreten, die Festigkeit von CFK-Bauteilen beeinflussen. So können in dem Material winzige Risse auftreten. In welchem Ausmaß solche Schäden zum Problem werden, ist jedoch erst teilweise erforscht, weil die Eigenschaften von CFK sehr komplex sind. Um etwa die Elastizität des Materials zu berechnen, müssen 21 Werte berücksichtigt werden - bei Stahl sind es nur zwei. Bisher konstruieren die Hersteller CFK-Bauteile deshalb vorsichtshalber dicker - und damit schwerer als womöglich nötig.

Das Gewicht reduzieren könnte man auch durch neue Methoden bei der Montage, sagt Prof. Wolfgang Hintze vom Institut für Produktionsmanagement und -technik der Technischen Universität Harburg. Am Forschungszentrum CFK Nord in Stade erproben seine Kollegen vom Fraunhofer Institut IFAM, wie sich CFK-Bauteile dauerhaft stabil verkleben lassen. Bisher werden Nieten eingesetzt. Klingt nach einer Kleinigkeit, doch im Flugzeug werden einige Hunderttausend Nieten verbaut. Durch Klebeverbindungen ließen sich etliche Kilos einsparen.

Parallel arbeitet Hintze daran, die Bearbeitung von großen Carbonteilen schneller und billiger zu machen. Dazu testet er, wie sich verstärkt Roboter einsetzen lassen, etwa, um Fensterausschnitte in einen Rumpf zu fräsen. "An dieser Forschung ist auch die Autoindustrie sehr interessiert", sagt der Ingenieur. CFK bei Autos in Großserie zu verarbeiten, ist nur machbar, wenn die Produktion weitestgehend automatisiert abläuft. Roboter könnten dabei eine große Hilfe sein.

Auch eine weitere Herausforderung ist noch nicht bewältigt: die Wiederverwertung von CFK. Bisher war Carbon am Ende seiner Lebenszeit quasi Sondermüll, der wertvolle Werkstoff wurde meist verbrannt oder geschreddert und als Füllmaterial genutzt. Seit einem Jahr jedoch können Kohlenstofffasern zumindest im niedersächsischen Wischhafen wiederaufbereitet werden. Dort betreibt eine Tochtergesellschaft der Karl Mayer AG eine europaweit einzigartige CFK-Recyclinganlage. Das Material wird dort bei 500 bis 1000 Grad in einem sogenannten Pyrolyseofen erhitzt. Dabei verdampft das Harz, das die Fasern verbindet; die dabei entstehenden hochgiftigen Dämpfe werden separat verbrannt. Zurück bleiben Kohlenstofffasern, deren Qualität ausreicht, um aus ihnen Laptopgehäuse, Autotürverkleidungen oder Kopferraumabdeckungen zu machen.

Immerhin bis zu 1500 Tonnen CFK-Abfälle kann die Anlage pro Jahr recyceln. Dennoch werden viele weitere Betriebe dieser Art nötig sein, um alle künftig anfallenden Reste wiederzuverwerten.