Berlin. Zahl der Verordnungen hat sich seit 2006 verdoppelt. Grund könnte auch die gewichtsreduzierende Wirkung der Medikamente sein.

Die Zahl der Verordnungen von Schilddrüsenhormonen für junge Erwachsene zwischen 20 und 34 Jahren hat sich seit 2006 verdoppelt. Das geht aus dem aktuellen Gesundheitsbericht der Techniker Krankenkasse (TK) hervor. Besonders häufig wurde Levothyroxin, ein Mittel zur Behandlung von Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose), verschrieben.

„Aus medizinischer Sicht ist eine Hormongabe nach einmaligem Befund nicht sinnvoll“

Die Verordnungen bei Studenten sind um 111 Prozent gestiegen, bei jungen Erwerbstätigen um 94 Prozent. Die Zahl der Patienten mit Schilddrüsenunterfunktion scheint demnach stark gestiegen zu sein. Doch die Autoren des Berichts fanden keine plausible medizinische Erklärung dafür. Sie vermuten eine veränderte ärztliche Praxis. Experten bestätigen das. „Schilddrüsenhormone werden in Deutschland großzügig eingesetzt. Ich habe manchmal junge Patienten bei mir, die nehmen Schilddrüsenhormone, ohne dass sie eingehender untersucht wurden“, sagt etwa Professor Matthias Weber, Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und Leiter des Schwerpunktes Endokrinologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.

Richtwert für die Diagnose einer Hypothyreose ist der sogenannte TSH-Spiegel im Blut. Er steigt an, wenn die Schilddrüse zu wenig der beiden jodhaltigen Hormone Triiodthyronin und Thyroxin produziert. Sie sind wichtig für den Energiestoffwechsel des Körpers. „Dieser TSH-Spiegel wird im Gegensatz zu früher inzwischen auch von Hausärzten und damit häufiger bestimmt“, erklärt Andreas Pfeiffer, Direktor der Endokrinologie an der Charité in Berlin, die gestiegenen Verordnungszahlen. Doch ein einmalig erhöhter Wert muss noch keine Gabe von Hormonpräparaten erfordern. „Häufig findet eine zu schnelle oder eine Fehlmedikation statt“, so Pfeiffer. Das bestätigt auch Matthias Weber: „Aus medizinischer Sicht ist eine Hormongabe nach einem einmaligen Befund nicht sinnvoll und notwendig.“

Es gibt eine weitere Vermutung: Die TK Niedersachsen schreibt über die gestiegenen Verordnungen: „Auf Grund ihrer (der Schilddrüsenhormone, Anm. d. Red.) stoffwechselsteigernden Wirkung kann es zu einer Gewichtsabnahme führen. Manche Menschen, die abnehmen möchten, geraten daher in Versuchung, mehr Hormone zu nehmen, als sie benötigen.“

Ein Blick in Internetforen zeigt: Levothyroxin wird häufig erwähnt, wenn es ums Abnehmen geht. Obwohl es keine validen Daten dazu gebe, sei „es kein großes Geheimnis, dass Levo­thyroxin missbräuchlich mit dem Ziel Gewichtsabnahme eingenommen wird“, sagt Andreas Waltering vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Eine Praxis, die Risiken birgt: „Will man mit Schilddrüsenhormonen abnehmen, muss man sehr hohe Dosen einnehmen“, erklärt Matthias Weber. Doch das führt zu einer Schilddrüsenüberfunktion mit Beschwerden wie Herzrasen, Heißhungeranfällen und Muskelschwäche, da es zu einem Abbau von lebensnotwendigen Eiweißen wie etwa Muskelproteinen kommt.