Warnemünde. Bundesamt für Naturschutz präsentiert wertvolle Rifflebensräume in der Kadetrinne in der Ostsee. Sie ist auch ein Nadelöhr der Schifffahrt.

Die Kamera fährt über steinigen Sandboden, durch Algen- und Tangwälder. Zwischen den Pflanzenbüscheln huschen Fische hindurch, auf den Sandflächen sind Muscheln und Seesterne zu sehen. Das Wasser ist klar, die Sicht in 20 Meter Tiefe gut. Die Unterwasserwildnis liegt im meist befahrenen Gebiet der Ostsee, am Rand der Kadetrinne. 65.000 Schiffe passieren die enge Rinne zwischen der Halbinsel Darß und der dänischen Insel Falster jedes Jahr, darunter auch Großtanker mit russischem Öl. Dennoch ist sie als Natura 2000-Gebiet nach europäischem Recht geschützt.

„Die Kadetrinne ist ein kleines Schutzgebiet mit einer großen Bedeutung“, sagt Prof. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN). Ihr gefällt der gesunde Riff­lebensraum, den sie auf dem Bildschirm sieht. „Oh, da vorn schwimmt ein Dorsch vorbei“, ruft ein Zuschauer. „Und das hier ist ein Klippenbarsch. Er ist eng an die Steine gebunden und geht fast nie ins Netz. Von Fischarten, die nicht kommerziell genutzt werden, wissen wir allerdings nur wenig“, erläutert Prof. Henning von Nordheim, beim BfN für den Meeres- und Küstennaturschutz zuständig, einer Gruppe Journalisten. Sie befindet sich direkt über dem Meeresabschnitt, der live auf dem Computer-Bildschirm zu sehen ist.

Das BfN ist zu Gast auf dem Kon­trollschiff „Eschwege“ der Bundespolizei See. Die Grenzschützer leisten Amtshilfe und haben die Naturschutzexperten direkt zum Schutzgebiet am Rand der Rinne gebracht. Im normalen Einsatz überwachen sie in mehrtägigen Fahrten die deutsche Seegrenze, werden aber auch bei Havarien, Seenot­fällen oder Umweltverschmutzungen aktiv. Jetzt staunen sie über das vielfältige Leben in dem Meer, von dem sie meist nur die Oberfläche sehen.

Dort ist, wie üblich, ebenfalls viel los: Ein Containerschiff und eine Fähre begegnen sich, weitere Schiffe folgen in beiden Richtungen wie an einer Perlenschnur gezogen. Die Naturschutz­experten sehen das Treiben im Nadelöhr der Ostseeschifffahrt skeptisch. Bei einer Kollision oder einer Grundberührung sind nicht nur die Schiffe in Gefahr, sondern auch die unter ihnen liegenden wertvollen Riffe. Sie sind sehr seltene Lebensräume und müssen deshalb nach der FFH-Richtlinie der EU erhalten werden.

Zudem hat die Kadetrinne für die zentrale Ostsee eine große Bedeutung: Mit einer Tiefe bis zu 32 Metern durchbricht sie die sogenannte Darßer Schwelle und bahnt damit sauerstoffreicherem Wasser aus der Nordsee einen Weg ins Herz der Ostsee. „70 Prozent des Wasseraustausches zwischen Nord- und Ostsee erfolgt über die Kadetrinne“, sagt Beate Jessel. „Und sie ist eine wichtige Passage für Wanderfische und andere Meeresbewohner.“ Die Schwelle trennt die Beltsee im Westen vom Arkona-Becken. Während westlich der Schwelle die Ostsee einen Salzgehalt von 1,7 Prozent hat, beträgt er östlich nur noch 0,8 Prozent. Die Kadetrinne sorgt dafür, dass das am Boden entlang strömende sauerstoffhaltigere Salzwasser überhaupt das Arkona-Becken erreicht.

Der starke Schiffsverkehr mache die Kadetrinne aber auch zu einem der „lärmreichsten deutschen Gewässerabschnitte“, sagt Jessel. Das sei zum Beispiel für die in der Ostsee stark bedrohten Schweinswale, die die Rinne durchwandern müssen, ein Problem: „Eine neue dänische Studie, für die einzelne Schweinswale mit Sendern ausgestattet wurden, hat nachgewiesen, dass die Tiere abtauchen, wenn ein Schiff die Umgebung passiert. Es gibt einen Scheucheffekt, der die kleinen Wale unter Stress setzt und sie viel Energie kostet.“

Das Beispiel Kadetrinne zeigt, wie schwierig es angesichts der starken Nutzung ist, Gebiete unter Schutz zu stellen. Anfang Februar verklagten sieben Umweltverbände das BfN, weil das Amt in den zehn Meeresschutzgebieten die Fischerei nicht eingeschränkt hat. Die Verbände wollen mit der Klage erreichen, dass die besonders schädliche Fischerei mit schweren Grundschleppnetzen in der Nordsee und mit Stell­netzen in der Ostsee in ausgewählten Natura 2000-Gebieten verboten wird.

Die zu starke Befischung, überhöhte Nährstoffeinträge und die Verlärmung seien die drei Hauptprobleme des Meeresschutzes, sagt die BfN-Präsidentin. Ein Papier, das vor allem die Fischerei in den Schutzgebieten der Nordsee regeln soll, befindet sich zwischen den Umwelt- und dem für die Fischerei zuständigen Landwirtschaftsministerium in der Endabstimmung.

Die zehn deutschen Meeresschutzgebiete

Mit Blick auf die Kadetrinne fordert das BfN eine Lotsenpflicht, um das Risiko einer Havarie zu reduzieren. Auch die internationale Schifffahrtsorganisation IMO empfiehlt, den bislang freiwilligen Lotseneinsatz verbindlich vorzuschreiben. Aber dazu müssten alle Anrainerstaaten der Ostsee grünes Licht geben. Schon 2010 plädierte der Leiter des Havariekommandos Cuxhaven, Hans-Werner Monsees, für die Lotsenpflicht. Doch Russland mache aus strategischen Gründen nicht mit, hieß es damals wie heute.

Das BfN und das Umweltministerium haben eine nationale Schutzgebietsverordnung für die Kadetrinne und weitere Meeresgebiete erarbeitet und den anderen Ministerien zur Abstimmung vorgelegt. Wenn die Regeln in Kraft sind, muss deren Einhaltung kontrolliert werden. Das BfN würde dazu gern die Bundespolizei See mit ins Boot holen. Deren Leiter Stefan Wendrich kann sich vorstellen, auch hier Amtshilfe zu leisten: „Durch unsere Überwachungstätigkeiten zeigen wir Präsenz. Und bei Auffälligkeiten könnten wir Kontakt mit dem BfN aufnehmen und beraten, was zu tun ist.“