Mannheim. Dreck im OP-Besteck: Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft. In die laufenden Untersuchungen platzt jetzt eine neue Affäre.

Erst Dreck im OP-Besteck, dann schlecht gereinigte Endoskope – ein Hygieneskandal erschüttert das Universitätsklinikum Mannheim. Seit Monaten ermittelt die Staatsanwaltschaft. In die laufenden Untersuchungen platzt jetzt eine neue Affäre: Nach Recherchen der Funke-Mediengruppe verschleierten Verantwortliche einen Eklat in der Expertenkommission, die den Skandal aufklären soll. Die beiden einzigen Hygieneexperten in dem sechsköpfigen Gremium sind ausgetreten. Die Klinik tat auf Anfrage so, als wäre die Kommission noch komplett.

Es ist eine neue Facette in dem deutschen Klinikskandal mit dem bisher prominentesten Opfer in leitender Funktion: Im Zuge der Hygieneaffäre trat Alfred Dänzer als Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) ab. Dänzer, dem verantwortlichen Geschäftsführer des Uniklinikums Mannheim, fiel der Skandal auf die Füße. Der 66-Jährige, einer der bestvernetzten Lobbyisten im Sinne wirtschaftlicher Gesundheit, war nicht mehr zu halten. Erst räumte er den Stuhl des Klinikchefs. Dann zog er sich aus der DKG zurück. Ein schwerer Schlag für den Dachverband der deutschen Krankenhausträger, der Stimme von rund 2000 deutschen Krankenhäusern, in denen jährlich 19 Millionen Patienten stationär und weitere 18 Millionen ambulant behandelt werden.

Rückblick: Im Oktober 2014 durchsuchen Staatsanwälte, Regierungsbeamte und Polizisten die Uniklinik Mannheim. Eine anonyme Anzeige hat die Ermittler auf den Plan gerufen; Berichte über so unappetitliche Dinge wie eine tote Fliege im OP-Besteck. Die Fahnder schleppen kistenweise mögliches Beweismaterial aus dem 1350-Betten-Haus, das jährlich an die 300.000 Patienten ambulant und stationär versorgt. Der Verdacht: Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz und gegen Hygienevorschriften – die Vorwürfe reichen bis zu gezielter Verunreinigung von medizinischem Gerät.

Im Uniklinikum taugte die Sterilgutaufbereitung nicht. Pflichtabläufe zur Reinigung, Desinfektion und Sterilisation von medizinischen Geräten konnten offenbar seit Langem nicht eingehalten werden. Die Klinik gesteht ein: Waschmaschinen zur Reinigung von OP-Besteck fehlte ein TÜV-ähnliches Siegel; Reinigungspersonal sei ungenügend qualifiziert. Die Folge: Das OP-Programm muss drastisch heruntergefahren werden. Wochenlang kommen nur noch Notfälle unters Messer. Als weitere Mängel auffallen, werden auch endoskopische Eingriffe stark eingeschränkt. Für vorgeschriebene Reinigungs- und Desinfektionsschritte fehlt auch hier das nötige Gerät.

Zwei Drittel ihrer gesamten OP-Instrumente hat die Klinik inzwischen durch neue ersetzt. Welche Infektionen wie viele Patienten erlitten, die mit den alten Bestecken operiert wurden, ist bis heute nicht absehbar. „Wir ermitteln gegen sechs namentlich bekannte Beschuldigte“, sagt Staatsanwalt Andreas Großmann. Ob die Ermittler auch die Führungsebene der Klinik im Visier haben, „dazu wollen wir nichts sagen, sonst wären die Personen zu leicht identifizierbar“, so der Staatsanwalt. Er ließ auch offen, ob gegen Dänzer ermittelt wird.

Schweigen ist auch ein Gebot für die Mitglieder der Untersuchungskommission. Eingesetzt hat sie der Aufsichtsrat des Klinikums unter dem Vorsitzenden Peter Kurz (SPD). Kurz ist nicht nur Chef des Kontrollgremiums, sondern auch Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, die das Uniklinikum trägt. Beides will er bleiben. Am 14. Juni wählt Mannheim einen neuen OB. Kurz tritt wieder an.

Die Kommissionsmitglieder haben eine Vereinbarung mit dem Klinikum, vertreten durch Kurz. Dort steht auch: Aus der Kommission, die den Hygieneskandal aufklären soll, darf nichts nach außen dringen. Dazu mussten sich die Experten bei Eintritt in das Gremium schriftlich verpflichten. Außerdem wurden sie zur Verschwiegenheit über die von ihnen abgegebene Verschwiegenheitsverpflichtung verpflichtet.

Bald stießen Motivation und Arbeitsweise des Gremiums auf Kritik. „So kann man keine Hygienemängel aufdecken“, bemängelte eine Stimme aus der Runde. Innerhalb von zwölf Wochen habe sich die Kommission nur einmal vor Ort im Klinikum getroffen – „ohne die beiden Hygieniker“. Komplett angetreten sei man nur zu Telefonkonferenzen. „Doch an meinem Telefon kann ich nicht prüfen, ob das Krankenhaus sauber ist.“ Das Vorgehen des Gremiums sei „nicht auf belastbare Ergebnisse ausgerichtet“ gewesen.

Ende Januar kam es zum Bruch. Innerhalb von drei Tagen traten zwei Kommissionsmitglieder aus: am 30. Januar Professorin Heike Martiny aus Berlin, Expertin für die sterile Aufbereitung medizinischer Geräte, und am 2. Februar Professor Heinz-Michael Just aus Nürnberg, Klinikhygieniker und Mitglied der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert-Koch-Institut in Berlin.

In der Untersuchungskommission arbeiten keine Hygieneexperten

Zurück blieben vier Mitglieder mit anderen Stärken: Kommissionschef Prof. Oliver Kölbl ist Chef der Strahlenklinik und Ärztlicher Direktor am Uniklinikum Regensburg, Frank-Michael Vrede Geschäftsführer des Krankenhausdienstleisters Vamed, Harald Schmidt Ex-Manager der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers, Harald Heck Leiter der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht beim Mannheimer Anwaltsverein. Folge: Die vom Aufsichtsrat des Klinikums eingesetzte Instanz zur Aufklärung des Hygieneskandals stand ohne Hygienekompetenz da.

Und das wurde vertuscht. Sechs Wochen nach den Austritten übermittelten die Verantwortlichen auf Anfrage der Funke-Mediengruppe eine Liste mit der Ursprungsbesetzung. Auf die Nachfrage nach Austritten schoben die Verantwortlichen ein Stück Wahrheit nach: Ja, Professorin Martiny habe „ihre Arbeit in der Kommission Ende Januar beendet“.

Erneute Nachfrage: Warum wird auch der Rücktritt von Professor Just verschwiegen? Als Antwort kommt ein Satz: „Professor Just arbeitet weiterhin in der unabhängigen Expertenkommission mit.“ Das ist kein Widerspruch zu dem, was Just selbst verbreitet hat: Er habe – nach seinem förmlichen Austritt und auf Bitten – dem Restgremium angeboten, bei Bedarf mit Rat zur Verfügung zu stehen, auf freiwilliger Basis.

Die Vorgänge lösen eine Welle der Empörung aus. „Nichts dazugelernt“ hätten die Verantwortlichen, kritisiert die Deutsche Stiftung Patientenschutz. „Die groß angekündigte Untersuchungskommission ist gescheitert, bevor sie zu Ergebnissen gekommen ist“, sagt Vorstand Eugen Brysch. Ohne Hygiene-Experten sei die Aufklärung des Sachverhalts unmöglich. Brysch: „So können keine Konsequenzen gezogen werden, damit sich die Vorfälle in Zukunft nicht wiederholen.“

„Die Vorgänge in Mannheim sind unglaublich“, sagt auch Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Hygieniker. „Über Jahre hinweg wird gegen geltendes Recht verstoßen.“ Die Aufbereitung von Medizinprodukten sei zum Schutz des Patienten eindeutig geregelt. „Hygieneexperten brauchen maximal zwei Tage für die Analyse der Arbeit in der Sterilgutaufbereitung. In Mannheim blickt man nach vier Monaten immer noch nicht durch.“

Der Abschlussbericht der Expertenkommission sollte ursprünglich im Februar vorliegen. Jetzt heißt es, man rechne „im Frühjahr 2015“ damit.