Xing-Gründer Lars Hinrichs will in Rotherbaum Apartments eröffnen, deren elektronische Geräte über das Internet vernetzt sind. Der Komplex soll nicht weniger als das „intelligenteste Haus Deutschlands“ werden.

Hamburg. Seinen großen Durchbruch hatte Lars Hinrichs eigentlich schon vor elf Jahren, doch in seiner Firma am Gänsemarkt sieht es so aus, als würde er immer noch darauf warten. Ein unauffälliger Eckbau, 6. Stock, neben dem Eingang zum Büro steht ein Flipperautomat. Glaswände trennen vier Arbeitsplätze.

Der Chef empfängt in einem Besprechungszimmerchen mit schwarzem 2-Sitz-Sofa, Aktenordnern und einer Andy-Warhol-Variation an der Wand. Hinrichs, Sohn einer Hamburger Unternehmerfamilie, hatte 2003 das Internetnetzwerk Open BC gegründet, das später in Xing umbenannt wurde. Heute hilft das Portal nach eigenen Angaben 14 Millionen Mitgliedern weltweit, berufliche Kontakte zu knüpfen.

Der Gründer stieg 2010 aus, verdiente durch den Verkauf 48 Millionen Euro. Da war er 33 Jahre alt. Seine nächste Geschäftsidee namens HackFwd, die Programmierer motivieren sollte, eigene Firmen zu gründen, war allerdings ein Flop – 2013 gab er die Idee auf.

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Das konnte es natürlich nicht gewesen sein für einen, der „gerne den Status quo hinterfragt“, wie Hinrichs über sich sagt. Nun meldet sich der nunmehr 37-Jährige mit seinem jüngsten Projekt zurück: einem komplett vernetzten Haus. „Apartimentum“ nennt der Unternehmer das Gebäude am Mittelweg in Rotherbaum. Es wird gerade umgebaut. Ab Herbst 2015 sollen zunächst Wohnungen mit 110 bis 220 Quadratmetern vermietet werden, später auch kleinere Einheiten ab 50 Quadratmeter. 37 Apartments insgesamt. Hinrichs behauptet mit dem ihm eigenen Selbstvertrauen: „Es wird das intelligenteste Haus Deutschlands werden – vielleicht sogar der ganzen Welt.“

Grundsätzlich neu ist die Idee nicht. Microsoft-Gründer Bill Gates ließ sich bereits in den 90er-Jahren ein vollautomatisiertes Haus bauen, in dem angeblich sämtliche elektronischen Geräte – von der Musikanlage bis zum Kühlschrank – vernetzt waren. 63 Millionen US-Dollar soll der Milliardär für das Haus ausgegeben haben. Seitdem wurde das Thema „Smart Home“ zunehmend nicht nur in den USA diskutiert, sondern auch in Deutschland auf Computermessen.

Auch Forscher sprangen auf den Zug auf. Kai von Luck etwa, Informatikprofessor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg, präsentierte 2011 den Prototyp einer Wohnung, die “mitdenkt“, in der modernste Technologien bei der Organisation des Lebens helfen sollen.

Smart-Home-Konzepte sahen bisher meist vor, dass zentrale Steuergeräte im Haus die elektronischen Geräte vernetzten. Lars Hinrichs verfolgt einen anderen Ansatz: Die Steuerung soll mithilfe von Online-Systemen erfolgen, der sogenannten Cloud. In diesem Sinne ist die Idee vom vernetzten Haus Teil eines Konzepts, das auch „Internet der Dinge“ genannt wird: Diverse Geräte könnten künftig über das Internet miteinander kommunizieren.

IT-Unternehmen versprechen sich von Smart Home steigende Erlöse

Befürworter versprechen sich davon mehr Komfort und mehr Sicherheit in jeder Lebenslage. Wenn die eine Hand wisse, was die andere tue, komme es zu weniger Problemen, dann ließen sich Zeit, Energie und Geld sparen, heißt es. Die Heizung passt sich An- und Abwesenheiten an, der Kühlschrank meldet, wenn Vorräte zur Neige gehen – es sind diverse Anwendungen denkbar.

Während das klassische Computergeschäft fast stagniert, versprechen sich IT-Unternehmen von Smart Home steigende Erlöse. Das zeigt etwa der Umstand, dass Google Anfang des Jahres für 3,2 Milliarden Dollar den Smart-Home-Spezialisten Nest Labs übernahm. Die US-Marktforscher von Zpryme Research erwarten, dass 2015 weltweit mit Smart-Home-Technik knapp 15,2 Milliarden Dollar umgesetzt werden. 2012 war es ein Drittel.

Wegen der hohen Kosten war Smart Home bisher eher ein Projekt finanzkräftiger, technikverliebter Eigenheimbesitzer. Lars Hinrichs richtet sich an Mieter, wobei er wohl auch eher jene mit gehobenem Einkommen im Blick hat. Seine Zielgruppe seien Menschen, die für eine Zeit lang nach Hamburg kommen, um hier in Führungspositionen zu arbeiten. „Diese Gruppe wächst“, sagt Hinrichs und beugt sich in seinem Stuhl vor. „In Hamburg haben wir viele sehr gute Firmen, die sich mehr und mehr Fachkräfte aus dem Ausland holen.“

Die Wohnung soll den Mieter anhand seines Smartphones erkennen

Solche Leute könnten und wollten nicht dauerhaft sesshaft werden, aber sie suchten für jeden Zeitabschnitt besonderen Komfort. Eben dies wolle er mit Apartimentum bieten, sagt Hinrichs und präsentiert katalogreife Formulierungen: „Ich vermiete keine Wohnungen, sondern ein Lebensgefühl.“ Die Mieter sollten sich „sofort zu Hause fühlen“, sagt der Unternehmer. „Technologie unterstützt dieses Gefühl.“

Die Wohnungen sollen teilmöbliert eingerichtet sein und sich zu jeder Zeit vollautomatisch in den Dienst des Bewohners stellen. Morgens öffnen sich die Jalousien, die Fußbodenheizung läuft an, die Dusche startet ein individuelles Wellness-Programm, und auch abends soll laut Hinrichs in der „persönlichen Wohlfühloase“ alles so angenehm wie möglich verlaufen.

Einen Haustürschlüssel bräuchten die Bewohner nicht mehr. Die Wohnung soll den Mieter anhand seines Smartphones erkennen und ihm öffnen. „Die Vorstellung, einen Schlüssel zu haben für eine Wohnung in einer digitalen Welt, ist ja eine Katastrophe“, sagt der Unternehmer und verschränkt die Arme hinter dem Kopf.

Es gibt Schwachstellen gegen Zugriffe

Die Frage ist nur: Wird die Vernetzung vieler verschiedener Geräte über das Internet funktionieren, birgt dies nicht auch das Risiko einer höheren Fehleranfälligkeit? „Auch die sogenannten KNX Systeme, die nicht über das Internet laufen, sind keineswegs fehlerfrei“, sagt Hinrichs. Die Steuerung über das Internet habe unter anderem den Vorteil, dass sich mühelos Softwareupdates installieren ließen, um Probleme zu beheben.

Wie aber steht es beim vernetzten Haus um den Schutz vor Kriminellen aus dem Netz? Erst im August zeigten Hacker auf der Sicherheitskonferenz Defcon in Las Vegas, dass viele Smart Home-Geräte noch etliche Schwachstellen haben, wie „Spiegel Online“ berichtete. Die Gruppe GTVHacker erklärte demnach, sie habe in den vergangenen Wochen 22 für Privathaushalte konzipierte Geräte gehackt, vom Thermostaten bis zum Fernseher.

Das Magdeburger Unternehmen AV-Test, das für Softwarehersteller deren Schutzprogramme, Virenfilter und Firewalls auf Sicherheitslücken überprüft, analysierte kürzlich für das Magazin „Wirtschaftswoche“ sieben in Deutschland verfügbare Smart-Home-Systeme auf Schwachstellen gegen Zugriffe von Fremden. Mit „sehr durchwachsenen Ergebnissen“, wie das Magazin berichtete. „Während die Magdeburger drei der jeweils 90 bis 300 Euro teuren Einsteigerpakete eine „gute“ bis „sehr hohe“ Sicherheit gegen Hackerangriffe attestieren, bieten die vier übrigen Systeme nur „niedrigen“ oder gar nur „sehr niedrigen“ Schutz gegen Attacken“, hieß es in dem Artikel.

Attacken aus dem Netz? Apartimentum sei sehr sicher, behauptet Hinrichs

Wäre es nicht auch bei Apartimentum möglich, über das Internet Geräte zu manipulieren oder sich unerlaubt Zugang zur Wohnung zu verschaffen? „Auch in einer ganz normalen Wohnung ist es möglich, sich unerlaubt Zutritt zu verschaffen. Das ist bei uns schon um einiges schwieriger“, behauptet Hinrichs. „Die Schwachstelle sitzt meistens zwischen Stuhl und Tastatur“, sagt er und spielt damit auf die Unvorsichtigkeit vieler Internetnutzer an, die zum Beispiel für ihre E-Mail-Konten sehr einfache Passwörter nutzen, die sich leicht knacken lassen. Wenn sich der Apartimentum-Mieter bei der Bedienung seiner Wohnung richtig verhalte, könne eigentlich nichts passieren.

Selbst wenn alles problemlos funktioniert – wollen die Leute das wirklich, dass ihnen digitale Technik das Management ihres Lebens abnimmt? „Wenn das de facto Geld spart, etwa, weil die vollvernetzte Wohnung weniger Energie verbraucht, möchte ich mal die Argumentation von Skeptikern sehen, die sagen: Ich zahle lieber mehr“, sagt Hinrichs. „Geld kann man nur nehmen für Dienstleistungen, die Geld sparen, das Leben effizienter machen oder einen digitalen Mehrwert kreieren.“

Zur Miete will der Unternehmer noch keine Angaben machen. Nur so viel: „Es wird eine Flatrate geben, im Mietpreis sind also alle Nebenkosten inklusive.“ Sechs Monate bis maximal drei Jahre will Hinrichs die Wohnungen jeweils vermieten. Ab September 2015 sollen die ersten Apartments bezugsfertig sein.

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