Früherkennungsuntersuchungen können helfen, Krankheiten zu heilen und Fehlentwicklungen zu vermeiden. Fast alle Untersuchungen werden von der Krankenkasse bezahlt.

Hamburg. Kinder und ihre Entwicklung gut im Blick haben, Störungen frühzeitig erkennen und behandeln – das ist das Ziel der Früherkennungsuntersuchungen für Kinder. Sie beginnen gleich nach der Geburt und enden in der späten Pubertät. Fast alle Untersuchungen werden von den Krankenkassen bezahlt. Über das dichte Netz dieser Untersuchungen und ihre jeweiligen Schwerpunkte sprach das Abendblatt mit Dr. Stefan Renz, niedergelassener Kinderarzt in Hamburg und Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte.

U1 – gleich nach der Geburt

Die erste Vorsorgeuntersuchung findet schon im Kreißsaal statt. Dabei werden Herz und Lunge abgehorcht. Es wird untersucht, ob das Kind den Start ins Leben ohne Verletzungen überstanden hat und wie insgesamt sein Gesundheitszustand ist. Auch werden Größe und Gewicht gemessen. „Es ist die erste orientierende Untersuchung. Die Vitalität des Kindes wird über den sogenannten APGAR-Score geprüft. Dabei wird auch entschieden, ob das Kind gesundheitlich so fit ist, dass es bei der Mutter bleiben kann, oder ob es in die Kinderklinik muss“, sagt Renz.

U2 – zwischen 3. und 10. Lebenstag

Bei der U2 werden Organe, Geschlechtsteile, Haut und Knochen des Kindes gründlich untersucht. Dabei überprüft der Arzt auch die Verdauungstätigkeit und das Nervensystem. Ein Stoffwechseltest zeigt an, ob das Baby zum Beispiel an einer Unterfunktion der Schilddrüse leidet. „Bei der U2 geht es insbesondere darum, ob das Kind einen Herzfehler oder andere angeborenen Fehlbildungen hat. Es wird das Hörvermögen getestet und mit einem Augenspiegel untersucht, ob es an einer kindlichen Form des Grauen Stars leidet“, sagt Renz. Es werde auch überprüft, ob der Säugling richtig und genug Milch trinkt.

U3 – 3. bis 4. Lebenswoche

Auch hier geht es um das Erkennen von Fehlbildungen, aber auch darum, wie Eltern und Geschwister mit dem neuen Familienmitglied zurechtkommen. Renz: „Wir erkundigen uns unter anderem, wie zufrieden die Eltern mit der Entwicklung sind, wie die Geschwister sich dem Baby gegenüber verhalten, ob es mit dem Stillen klappt, ob eine Familienhebamme kommt, wie insgesamt die Stimmung in der Familie ist.“ Außerdem kann sich bereits bei dieser Untersuchung eine Asymmetrie zeigen. Sie kann entstehen, wenn das Kind zur Prävention des plötzlichen Kindstods immer auf dem Rücken liegt. „Dann rutscht der Kopf oft auf eine Seite und kann sich platt liegen. Erschwerend kommt hinzu, dass bei dieser Kopfhaltung aufgrund der kindlichen Reflexe der Arm auf der gleichen Seite gestreckt und auf der anderen Körperseite ständig gebeugt ist. Das kann auf Dauer zu Asymmetrien, also zur Verkürzung bestimmter Muskeln, führen. Mithilfe eines Lagerungskissens können die Eltern versuchen, den Kopf in der Mittellage zu halten. Eventuell brauchen die Kinder auch eine Physiotherapie“, sagt Renz. Im Rahmen der U3 wird auch zum Ausschluss einer Hüftdysplasie (Fehlbildung im Hüftgelenk) eine Ultraschalluntersuchung der Hüften durchgeführt.

U4 – 3. bis 4. Lebensmonat

Bei der U4 werden neben den Organen die Beweglichkeit und das Reaktionsvermögen des Kindes getestet, zum Beispiel ob es mit den Augen Gegenstände oder Bewegungen von Personen verfolgt, oder ob es seinen Kopf schon halten kann, wenn es an beiden Händen hochgezogen wird. „Außerdem spricht der Arzt mit den Eltern ausführlich über die Ernährung, weil Ende des 4. Monats bis Anfang des 5. Monats die Zufütterung von Breikost beginnt“, sagt Renz. Ab dem Beginn des dritten Lebensmonats stehen die ersten Impfungen an: gegen Wundstarrkrampf, Diphterie, Kinderlähmung, Hämophilus Influenzae (Hib), Keuchhusten, Hepatitis B, Pneumokokken und Rotaviren.

U5 – 6. bis 7. Lebensmonat

Mit einem halben Jahr ist das Kind schon putzmunter. Es beginnt sich zu drehen, greift nach seinen Füßen und nach Gegenständen. „Bei der U5 klären wir die Eltern darüber auf, dass sie jetzt Unfallprävention betreiben müssen, weil das Kind zunehmend mobiler wird. Das heißt, die Wohnung muss kindersicher gemacht werden, und die Eltern müssen das Kind immer gut im Blick haben, damit es sich nicht irgendwo verletzt. Und wir weisen darauf hin, dass der Fernseher kein Babysitter ist“, sagt Renz. Hör- und Sehvermögen des Babys werden nochmals getestet.

U6 – 10. bis 12. Lebensmonat

Das Kind beginnt jetzt, die Welt für sich zu erobern. „In diesem Alter sollte es schon sicher krabbeln, frei sitzen und sich in den Stand hochziehen können. Die Feinmotorik sollte so weit entwickelt sein, dass es kleine Gegenstände mit Daumen und Zeigefinger greifen kann“, sagt Renz. Bei der U6 gibt es auch wieder einen kleinen Pieks, denn es stehen die nächsten Impfungen an.

U7 – 21. bis 24. Lebensmonat

In diesem Alter kann das Kind schon deutlich zeigen, was es will – und auch, was es nicht will. „Es wirft jetzt schon Gegenstände weg oder zieht an der Mutter, wenn es in einen anderen Raum will. Bei Kindern in diesem Alter sind wir Ärzte gar nicht beliebt. Die Untersuchungen verlaufen meistens nicht ohne Geschrei“, sagt Renz. Bei der U7 überprüft der Arzt auch die Sprachfähigkeit des Kleinkindes. „Es sollte schon 50 Wörter sprechen können, wobei die Varianz relativ groß ist, und Zwei-Wort-Sätze bilden können“, erklärt der Kinderarzt.

U7a – mit drei Jahren

„Jetzt sollte das Kind schon richtig sprechen können. Sonst wird man über weitere Untersuchungen und eventuell über eine Förderung nachdenken“, sagt Renz. Außerdem sollte es sich selbst auf Fotos erkennen können und wissen, wie es heißt. Der Arzt untersucht das Kind außerdem auf Allergien, Zahn-, Mund- und Kieferanomalien sowie auf Sozialisations- und Verhaltensstörungen.

U8 – mit vier Jahren

Bei dieser Untersuchung stehen die Motorik und die Körperbeherrschung im Mittelpunkt. „Wir fragen, ob das Kind Dreirad fahren und Treppen steigen kann. Bei der Untersuchung muss es auf einem zehn Zentimeter breiten Streifen entlanglaufen und auf einem Bein stehen“, sagt Renz. Zur U8 gehören auch ein Seh- und ein Hörtest und die Kontrolle der Sprachfähigkeit. „Außerdem untersuchen wir seine psychische Entwicklung, fragen die Eltern, wie es im Kindergarten zurechtkommt, ob es eher traurig oder fröhlich ist und womit es seine Zeit verbringt“, so der Kinderarzt.

U9 – mit fünf Jahren

Jetzt kommen die Kinder in die Vorschule. „Sie sollten sicher auf einem Bein durch den Raum hüpfen, einen größeren Ball fangen und mit der Kinderschere gerade Linien schneiden können“, sagt Renz. Außerdem sollten sie flüssig Geschichten erzählen und Farben erkennen können. „Bei dieser Untersuchung geht es auch um die Beurteilung der Schulreife“, sagt der Kinderarzt.

U 10 – mit sieben bis acht Jahren

Die Kinder sind nun in der Schule, und diese spielt bei der U10 die Hauptrolle. Renz: „Wir lassen uns von den Kindern meistens ein Schulheft mitbringen, das wir uns genau anschauen. Und sie müssen etwas vorlesen und vorrechnen.“ In diesem Alter können sich schon die ersten Anzeichen von Überforderung bemerkbar machen, zum Beispiel durch psychosomatische Beschwerden wie Kopf- oder Bauchweh. „Auch eine Depression kann sich durch solche Symptome zeigen. In solchen Fällen beziehen wir einen Kinderpsychiater in die Behandlung mit ein“, sagt Renz. Die U10 wird nicht von allen Krankenkassen bezahlt.

U11 – mit neun bis zehn Jahren

„Auch bei der U11 geht es viel um die Schule, um Lernstörungen oder Teilleistungsstörungen wie die Lese- und Rechtschreibschwäche, die sich erst in diesem Alter deutlich zeigt“, sagt Stefan Renz. Außerdem wird das Gewicht überprüft. Das Kind wird auf Allergien und Zahnprobleme untersucht. Auch die U11 wird nicht von allen Krankenkassen bezahlt.

J1 – mit 12 bis 14 Jahren

„Jetzt zeigt sich, ob der Arzt über die Jahre eine gute Beziehung zu dem Kind aufgebaut hat. Davon hängt es ab, ob der Jugendliche offen mit dem Arzt über das spricht, was ihn bewegt“, erläutert Renz. In dem Gespräch, das ohne die Eltern stattfindet, geht es um Probleme mit der Pubertät, das Verhältnis zu Gleichaltrigen, um Probleme in der Familie, Sexualität, um Essstörungen und den Umgang mit Alkohol, Rauchen und Drogen. Zur J1 gehört auch eine gründliche körperliche Untersuchung.

J2 – mit 16 bis 17 Jahren

Die Schulzeit neigt sich dem Ende zu, und der Jugendliche denkt über seinen zukünftigen Beruf nach. Deshalb geht es bei der J2 auch um eventuelle gesundheitliche Einschränkungen, die sich auf die Berufswahl auswirken. „Aber wichtig ist auch das psychische Befinden des Jugendlichen, etwa sein Selbstwertgefühl und Probleme wie Stottern, Erröten und Nägelkauen sowie Ängste, Sportunlust und Schuleschwänzen“, sagt Stefan Renz.