Auch heute gibt es immer noch Bereiche im Antarktischen Ozean, die so gut wie nicht erkundet sind. Forscher der Universität Hamburg haben jetzt dazu beigetragen, einen Zensus dieses Meeres zu erstellen.

Hamburg/Auckland. Die Antarktis gibt ihre Geheimnisse nicht leicht preis. Der erste Versuch, Fauna und Flora des Südlichen Ozeans zu erfassen und zu beschreiben, wurde bereits 1872–1876 unternommen, als die britische HMS „Challenger“ zur meereskundlichen Expedition rund um die Welt segelte – und dabei auch in den antarktischen Polarkreis vordrang. Doch auch heute gibt es immer noch Bereiche in dem auch Südpolarmeer oder Antarktischer Ozean genannten Meeresgebiet, die so gut wie nicht erkundet sind. Immerhin rund 9000 Lebewesen haben Wissenschaftler identifiziert. Prof. Angelika Brandt und Dr. Stefanie Kaiser haben mit ihrer Forschungsarbeit am Zoologischen Museum der Universität Hamburg dazu beigetragen, jetzt einen Zensus dieses Meeres zu erstellen.

Der daraus entstandene biogeografische Atlas des Südlichen Ozeans wird gerade anlässlich eines Treffens des „Scientific Committee on Antarctic Research (SCAR)“ in Auckland (Neuseeland) vorgestellt. Angelika Brandt, in deren Hamburger Arbeitsgruppe der Erforschung von Artenvielfalt, deren Zusammensetzung und ihren Ursachen in verschiedenen marinen Regionen nachgegangen wird, ist auf der Konferenz dabei. Sie hat sich für den Atlas mit der Verbreitung verschiedener Organismengruppen unterhalb von 3000 Meter Tiefe, also in der Tiefsee, auseinandergesetzt.

„Es ging bei unseren Arbeiten vor allem darum, eine Basis und Grundlage für die Verbreitung der Organismen in der Tiefsee zu erarbeiten“, sagt Brandt. Die Beispiele erstrecken sich dabei durch die häufigsten wirbellosen Tiergruppen aller Größenklassen – von kleinsten Fadenwürmern über Krebse und Meeresborstenwürmer bis hin zu Stachelhäutern wie Seesternen, Seeigeln oder Seegurken.

Eine spezielle Tiergruppe, die Meeresasseln, beschreibt Dr. Stefanie Kaiser. Während ihrer Promotion am Zoologischen Museum der Universität Hamburg erforschte die Biologin, die inzwischen am Senckenberg-Zentrum für Marine Biodiversitätsforschung in Wilhelmshaven tätig ist, die Verbreitung der Isopoden, besser bekannt als Asseln, die im marinen Lebensraum in allen Tiefen vorkommen und sich durch eine hohe Anpassung und Artenvielfalt auszeichnen.

Große Dunkelziffer

„Es gibt ungefähr 700 beschriebene Arten von Isopoden in der Antarktis – und noch eine große Dunkelziffer“, sagt die Wissenschaftlerin. Während die den meisten Menschen bekannten Kellerasseln bis zu 20 Millimeter groß würden, lägen die meisten der Meeresasseln nur bei etwa fünf Millimeter Körperlänge, sagt Kaiser. „Aber manche Arten sind auch riesig, sie werden zehn Zentimeter und größer.“

Ihr verbreitetes Auftreten in großen Zahlen und ihre sensible Reaktion auf Umweltveränderungen machten sie zu einem spannenden Forschungsobjekt, auch in Bezug auf Klimaveränderungen, sagt die Biologin: „Dafür ist der Atlas jetzt eine schöne Momentaufnahme, die man in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit neuen Daten vergleichen kann.“

„Dieser Atlas wird für die Antarktisforschung von großer Bedeutung sein“, ist sich auch Angelika Brandt sicher. „Wir haben dafür alle verfügbaren Daten zusammengefasst. Dazu gehören auch Daten, die wir 2002 auf zwei Expeditionen mit dem Forschungsschiff ‚Polarstern‘ gesammelt haben sowie Daten von Expeditionen in den Jahren 2005, 2008 und 2012.“ Sie fanden bei den Expeditionen unter anderem heraus, dass mehr als die Hälfte der Isopodenarten sehr selten sind und nur mit ein bis zwei Exemplaren auf mehr als 120.000 Quadratmetern Meeresboden vorkommen. Außerdem hätten die Meeresasseln einen sehr hohen Endemismusgrad, seien also Arten, die nur in dieser Region gefunden würden.

Im Vergleich zu den Forschungsansätzen vorheriger Jahrzehnte basieren die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die von 147 Autoren aus 22 Ländern im Atlas zusammengetragen wurden, auf deutlich umfangreicheren Datensätzen sowie neuen molekularen und genetischen Untersuchungen.

Von der Assel bis zum Wal

Anstoß für den Atlas waren zwei große Forschungsprojekte der vergangenen Jahre, in denen die „Volkszählung der Meeresorganismen“ des Antarktischen Eismeers umfassend untersucht wurde. Der „Census of Antarctic Marine Life (CAML)“ untersuchte von 2005 bis 2010 die Eigenschaften, das Vorkommen und die Häufigkeit aller lebenden Organismen des Südlichen Ozeans. In enger Verbindung mit diesem Projekt initiierte das SCAR Marine Biodiversity Information Network (SCAR-MarBIN) ein Netzwerk aus Datenbanken, die historische und aktuelle Forschungsergebnisse verbinden und ein umfassendes Register antarktischer Meeresspezies bilden.

In den 66 Kapiteln des neuen Atlas untersuchen die Wissenschaftler die physikalische Umgebung, die evolutionäre Entwicklung und Genetik sowie den möglichen Einfluss des Klimawandels auf die marinen Lebewesen, von der Assel bis zum Wal. Es ist die erste so umfangreiche Darstellung der Region, seit die Amerikanische Geologische Gesellschaft 1969 ein Portfolio antarktischer Karten herausgebracht hat.

Doch der Atlas ist mehr als eine Sammlung in Papierform, wie Julian Gutt vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, Mitherausgeber und Autor mehrerer Kapitel des Biogeografischen Atlas, sagt: „Das Projekt ist auch deshalb zukunftsweisend, weil wir jetzt an einer Onlineversion des Atlas arbeiten. So kann dann jeder überall auf der Erde jederzeit komfortabel alle Daten abrufen – einschließlich neu Hinzukommender.“