Der BUND will wissen, wie viele Tiere in diesem Land leben und wo. Die Zählmethode ist kompliziert, denn sie funktioniert über Umwege – die Katzen selbst merken davon jedoch nichts.

Frankfurt am Main. Sie sind keine Schmusekätzchen, die schnurrend auf dem Sofa liegen – Wildkatzen leben bei Wind und Wetter im Wald, das ganze Jahr. Zu sehen bekommt sie kaum jemand, denn sie sind extrem scheu. Nachts macht Felis s. silvestris auf samtenen Pfoten Jagd auf Mäuse, aber auch Frösche, kleine Vögel oder Eidechsen gehören zur Beute. Der Tag wird verschlafen. Noch vor einigen Jahren sorgten sich Artenschützer um das Überleben der Art in Deutschland. Jetzt gibt eine umfassende Untersuchung vorsichtig Entwarnung.

Die Wildkatze ist keine verwilderte Hauskatze, sondern eine eigene Katzenart. Mit ihrem grau getigerten Fell könnte sie mit Stubentigern verwechselt werden, aber der dicke, buschige Schwanz mit schwarzen Ringen macht sie unverkennbar. Wie viele dieser noch vor Jahrzehnten verfolgten Katzen in deutschen Wäldern leben, ist nicht bekannt, aber ihre Zahl steigt wohl seit Jahren wieder. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, dass die scheuen Raubtiere lange übersehen wurden. Eine bundesweite Zählung mit genetischem Nachweis soll Aufschluss über den aktuellen Stand bringen.

Im Projekt „Wildkatzensprung“ des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) wird derzeit untersucht, wo Wildkatzen leben und wie viele es sind. Die bisherigen Ergebnisse haben überraschend viele Tiere nachgewiesen. In fast allen großen Waldgebieten sind Wildkatzen heimisch, ihre Zahl wird auf einige Tausend geschätzt. Kerngebiete seien die ausgedehnten Wälder in Hunsrück, Westerwald und Taunus sowie die Eifel und der Pfälzer Wald, sagt BUND-Projektleiter Mark Hörstermann. Dort lebe fast die Hälfte des gesamten Bestandes. Im hessischen Nationalpark Kellerwald-Edersee wurden Wildkatzen 2007 nachgewiesen. „Der ganze Osten bis auf Thüringen und Teile des Harzes ist aber unbesiedelt“, sagt Hörstermann. Warum, sei bislang nicht erklärbar.

Die Zählmethode ist kompliziert, denn sie funktioniert über Umwege – die Katzen selbst merken davon nichts. Freiwillige Helfer schwärmen aus, schlagen Holzpflöcke in den Boden, sprühen Baldrianextrakt darauf. Wie alle Katzen lieben Wildkatzen Baldrian. Am duftenden Holzpflock reiben sie sich genüsslich und streifen dabei Haare ab. Helfer sammeln diese ein und schicken sie an das Senckenberg-Institut nach Gelnhausen in Osthessen. Dort werden die Haarproben genetisch analysiert.

Rund 10.000 Haarproben seien inzwischen untersucht worden, sagt Senckenberg-Fachgebietsleiter Dr. Carsten Nowak. 5000 Proben stammten von Wildkatzen und hätten rund 2000 einzelnen Tieren zugeordnet werden können. Dabei kam auch heraus, dass sich die Wildkatzen nur sehr selten mit Hauskatzen mischen – wohl, weil sie sich kaum begegnen. Der Anteil der Mischlinge liegt laut Nowak bei zwei Prozent.

Überrascht waren die Forscher, wie viele Wildkatzen in den deutschen Wäldern leben. Ob die Tiere sich in den vergangenen Jahren so stark ausgebreitet haben oder ob sie früher einfach übersehen wurden, sei nicht klar. „Aber Wildkatzen sind noch lange keine häufige Art“, sagt Nowak. Auf der Roten Liste der bedrohten Arten seien sie inzwischen abgestuft in die Kategorie „gefährdet“ – 1998 sei ihr Status noch „stark gefährdet“ gewesen.

Vor allem die zentralen und nördlichen Mittelgebirge sind wieder nahezu komplett besiedelt – von Nordbayern bis zum Harz. Im Süden (Bayern, Schwarzwald, entlang der Rheinebene) ist das Vorkommen noch dünn und lückig, aber auch dort geht es voran. Anders in Nord- und Ostdeutschland. Nowak: „Ob sie diese Regionen überhaupt flächig besiedeln wird oder ob sie etwa aus klimatischen Gründen dort fernbleibt, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.“ Auch überraschend ist, dass sich die Wildkatze wieder von alleine, fast ohne menschliche Hilfe ausgebreitet hat. Carsten Nowak: „Auswilderungen in Bayern haben die Ausbreitung regional begünstigt, aber auch in den Auswilderungsgebieten finden wir einen hohen Anteil von DNA von Tieren aus den umliegenden Populationen. Die Korridorprojekte des BUND werden die weitere Ausbreitung beschleunigen“, sagt der Ökologe.

Der BUND arbeitet seit zehn Jahren an einem Netz aus Korridoren zwischen den Waldgebieten. „Katzen gehen nicht durch ausgeräumte Landschaft, sie brauchen ihre Fluchtbäume“, erläutert Hörstermann. „Wir pflanzen die Verbindungen.“ Davon könnten auch andere Arten wie Fledermäuse, Luchse, Baummarder oder Dachse profitieren. Allein im Projekt „Wildkatzensprung“ seien 150.000 Quadratmeter für Waldkorridore gesichert worden – durch Kauf oder Pacht. Bisher habe das 150.000 Euro gekostet.

Hörstermann freut sich auch über die vielen ehrenamtlichen Naturschützer, die das Projekt in die Wälder bringt. Rund 1000 seien es derzeit. Von den Katzen sehen sie freilich nur die Haare am Baldrian-Pflock. Auch Mark Hörstermann hat bisher nur ein einziges Mal eine Wildkatze in der Natur gesehen – im Harz.