Der Bericht „Lage der Natur in Deutschland“ nennt Gewinner und Verlierer durch Schutzmaßnahmen und Landnutzung seit 2007. Inzwischen brüten rund 630 Seeadlerpaare in Deutschland, vorwiegend im Nordosten.

Die Biber fühlen sich in ganz Deutschland wieder wohl. Nachdem sie vor 100 Jahren fast ausgestorben waren, schätzen das Bundesumweltministerium (BMU) und das Bundesamt für Naturschutz (BfN) ihren „Erhaltungszustand“ als günstig ein. Seeadler, Wildkatze und Wolf gewinnen an Terrain zurück. Andere Tiere, etwa viele Amphibien und Wiesenvögel, seien jedoch akut bedroht beziehungsweise von deutlichen Bestandsrückgängen betroffen; auch etliche Lebensräume, etwa Mähwiesen und Dünen, seien in keinem guten Zustand, heißt es in dem Bericht „Die Lage der Natur in Deutschland“, den das BMU und sein Fachamt am Mittwoch in Berlin präsentierten.

„Die Ergebnisse zeigen ein durchaus gemischtes Bild“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Teils seien sie besorgniserregend. „Wenn wir gefährdete Tiere und Pflanzen in Deutschland erhalten wollen, brauchen wir eine Kurskorrektur in mehreren Bereichen.“ Der Naturschutzbund Deutschland wertet den Bericht als „Alarmsignal“. Die Lage sei „noch dramatischer als erwartet“.

EU-Mitglieder erfassen Daten über bedeutende Tier- und Pflanzenarten

Alle sechs Jahre müssen die EU-Mitglieder Berichte zum Zustand ihrer Natur nach Brüssel senden. Die EU-Kommission erhält damit ein Bild, wie gut die zwei großen europäischen Schutzbestimmungen in den einzelnen Ländern umgesetzt werden: die Fauna-Flora-Habitat- (kurz: FFH-)Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie (siehe Infokasten). Dabei werden Daten über 195 EU-weit bedeutsame Tier- und Pflanzenarten sowie zu 92 Lebensraumtypen erhoben; sie gelten als repräsentativ für den Zustand der Natur. Die erste umfassende Erhebung erfolgte 2007.

Die deutsche Inventur zeigt: Bei einzelnen Tier- und Pflanzenarten gibt es zwar eine Aufwärtstendenz, doch nur 25 Prozent der in den FFH-Gebieten erfassten Arten liegen im grünen Bereich. Dagegen steht die Bewertungsampel bei 31 Prozent der Arten auf Gelb (Erhaltungszustand unzureichend), bei 28 Prozent auf Rot (schlechter Zustand). Für 16 Prozent ließ sich keine Aussage treffen.

Mindestens so wichtig wie die aktuelle Situation sind Bestandsentwicklungen. So können beispielsweise Arten, die heute zwar noch recht zahlreich vertreten sind, bei drastischen Rückgängen schnell zu gefährdeten Arten werden. So ergeht es gerade der Feldlerche: Sie brütet zwar noch immer annähernd flächendeckend mit weit mehr als einer Million Paaren in Deutschland. Aber europaweit haben sich ihre Bestände seit 1980 fast halbiert, und auch hierzulande sind sie stark gesunken. Deshalb ist die Feldlerche auf der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands inzwischen als „gefährdet“ eingestuft.

Viele Veränderungen bei den FFH-Arten und -Lebensräumen seien auf eine verbesserte Datenlage zurückzuführen oder methodisch bedingt, schränkt der Bericht ein. Tatsächliche Trendaussagen lassen sich demnach nur für 34 Arten treffen. Bei 18 verschlechterte sich die Lage, 16 Arten geht es heute besser als 2007. Unter den Lebensräumen gab es nur Verlierer.

Bei 13 Lebensraumtypen gibt es Negativtrends. Sechs davon sind auf eine schonende Nutzung oder auf Pflege angewiesen (etwa Mähwiesen, Dünen, Heiden). Durch starke Düngung und häufiges Mähen seien blumenreiche Wiesen jedoch zu „artenarmen Graskulturen“ verkommen, schreiben die Autoren. „Trotz umfangreicher Förderung im Rahmen von Agrar-Umwelt- und Vertragsnaturschutzprogrammen aus EU-Mitteln, Bundesmitteln und Mitteln der Bundesländer auf circa 40 Prozent der Agrarfläche sind die landwirtschaftlich genutzten Lebensräume der Agrarlandschaft nach wie vor überwiegend in einem schlechten Erhaltungszustand. Teilweise haben sie sich in den letzten sechs Jahren sogar weiter verschlechtert.“

Europa ist in neun sogenannte biogeografische Regionen eingeteilt. Drei davon liegen auch in Deutschland: Die atlantische Region reicht von der niederländischen Grenze bis zum östlichen Stadtrand Hamburgs und von der dänischen Grenze bis nach Sachsen-Anhalt. Der größte Landesteil ist kontinental geprägt; ganz im Südosten liegt der alpine Raum. Im atlantisch beeinflussten Nordwestdeutschen Tiefland ist die Situation der Tier- und Pflanzenarten am schlechtesten. 40 Prozent von ihnen liegen im roten Bereich, nur 20 Prozent geht es gut. Als Ursachen nennt der Bericht die dichte Besiedlung und die intensive Landwirtschaft.

Dennoch gibt es auch hier einige Gewinner. In der Tierwelt wechselten die Fischarten Barbe und Bitterling vom gelben in den grünen Bereich, ebenso die Kegelrobbe. Und der Biber. Selbst auf Hamburger Stadtgebiet hat sich der 30-Kilo-Nager von der Elbe aus seit 2010 wieder angesiedelt. Die Loki-Schmidt-Stiftung beobachtet die Landnahme und hat sieben bis acht Biberreviere registriert, in denen insgesamt rund ein Dutzend Tiere leben.

630 Seeadlerpaare brüten hierzulande, vorwiegend im Nordosten

Richtig gut entwickeln sich seit mehr als zwei Jahrzehnten die Seeadler. Das zeigt der Vogelschutzbericht, die zweite Datenquelle des Zustandsreports. Inzwischen brüten rund 630 Seeadlerpaare in Deutschland, vorwiegend im Nordosten. 2012 gab es auf Hamburger Stadtgebiet die erste erfolgreiche Brut seit mehr als 100 Jahren: Die Adler zogen im FFH-Gebiet Heuckenlock an der Süderelbe zwei Junge groß und starteten 2013 einen zweiten erfolgreichen Versuch mit dreiköpfigem Nachwuchs. Schutzmaßnahmen und geringere Belastungen durch Gifte haben den Adlern geholfen, heißt es in dem Bericht. Allerdings gebe es neue Risiken für die majestätischen Vögel, etwa die Vergiftung mit Bleimunition in erlegtem Wild oder die Kollision mit Windrotoren.

„Bei vielen Arten zeigen Naturschutzmaßnahmen erste Erfolge“, schreiben die Autoren. Doch viele Arten und Lebensräume seien noch nicht in einem guten Zustand. Ein wichtiger Faktor ist demnach die intensive Landwirtschaft – nur noch 11,8 Prozent der Agrarflächen haben einen hohen Naturwert, Tendenz fallend.

Flächenverbrauch für Siedlungen, Gewerbe und Verkehr sei zu hoch

Flussauen spielten als Lebensadern der Natur eine zentrale Rolle, so der Bericht, doch an 79 untersuchten deutschen Flüssen seien zwei Drittel der Auwaldflächen durch Deichbau zerstört worden. An Elbe, Rhein, Donau und Oder sei der Verlust „an vielen Abschnitten noch deutlich höher“. Die Fischerei setze der Meereswelt zu, die südeuropäische und afrikanische Vogeljagd den Zugvögeln.

Noch immer sei der Flächenverbrauch für Siedlungen, Gewerbe und Verkehr zu hoch. In den vergangenen Jahren wurden Tag für Tag durchschnittlich 74 Hektar Land überbaut – der Zielwert der Bundesregierung für das Jahr 2020 liegt bei 30 Hektar pro Tag. Die EU setzt der ausufernden Infrastruktur eine „grüne Infrastruktur“ entgegen: Wertvolle Lebensräume sollen vernetzt werden, damit ihre Bewohner mobiler werden und isolierte Populationen wieder in Kontakt kommen.

Von diesem Konzept profitierte bereits die scheue Wildkatze, die sich durch „Wildkatzenkorridore“ neue Lebensräume und den genetischen Austausch mit zuvor getrennt lebenden Artgenossen erschlichen hat. Sichtbares Zeichen des Konzepts sind sogenannte Grünbrücken, über die das Wild gefahrlos über Autobahnen oder stark befahrene Straßen wechseln kann.

Ein Großteil der Daten ist unter www.bfn.de/0316_bericht2013.html veröffentlicht. Die europäischen Ergebnisse will die Kommission Mitte des Jahres im Internet veröffentlichen.