E-Zigaretten können Erwachsenen womöglich beim Entzug helfen – und andererseits bei Jugendlichen den Einstieg ins Tabakrauchen begünstigen

Hamburg . Mit dem „Dampfen“ begann Manu K. vor vier Jahren. Bis dahin hatte sie täglich anderthalb Schachteln Zigaretten geraucht. Um von den Glimmstängeln wegzukommen, probierte sie elektrische Zigaretten: batteriebetriebene Pfeifen, die keinen Tabak verbrennen, sondern eine nikotinhaltige Flüssigkeit. Den Nikotingehalt reduzierte K. mit der Zeit bis auf null. Seit eineinhalb Jahren sei ganz Schluss. „Das habe ich ohne Entzugserscheinungen dank der E-Zigarette geschafft“, berichtet sie in einem Internetforum und schließt: „Dampfen rettet Leben!!!“

Ist das wirklich so? Sind E-Zigaretten „sicher“, weil sie keinen schädlichen Rauch erzeugen, oder nur weniger riskant als herkömmliche Zigaretten? Oder sind sie mindestens genauso gefährlich? Kaum ein Gesundheitsthema ist derzeit so umstritten. Spitzenpolitiker diskutieren darüber, Mediziner, Lehrer. Von Chancen für erwachsene Raucher ist die Rede, von Gefahren dagegen für Kinder und Jugendliche.

Dass einige Experten von Chancen sprechen, hat mit den dramatischen Auswirkungen des klassischen Rauchens zu tun. „Im 20. Jahrhundert haben schätzungsweise 100 Millionen Menschen durch Tabakkonsum ihr Leben verloren“, sagte Wilson Compton vom US-amerikanischen National Institute on Drug Abuse (NIDA) auf der europäischen Wissenschaftskonferenz ESOF in Kopenhagen. Dort zitierte der Mediziner eine weitere Zahl aus dem Welttabakbericht der Weltgesundheitsorganisation: Wenn sich nichts ändere, könnten im 21. Jahrhundert gar eine Milliarde Menschen an den Folgen des Rauchens sterben.

Zigarettenrauch enthält mehr als 4000 chemische Substanzen, zum Beispiel Teer. Dieser Stoff entsteht, wenn Tabak verbrennt. Teer färbt die Lunge mit den Jahren schwarz, verklebt die Innenauskleidung der Atemwege, die damit anfälliger für Krankheitserreger und Schadstoffe werden. Etliche weitere Substanzen im Rauch, etwa Arsen, Benzol und Chrom stehen im Verdacht, Krebs zu erregen.

Und auch Nikotin, der eigentliche Suchtstoff, ist gefährlich. Einige seiner physiologischen Wirkungen – Erhöhung des Blutdrucks, erhöhte Thromboseneigung – könnten zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen und das Schlaganfallrisiko erhöhen, schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Nikotin ist meistens auch in E-Zigaretten enthalten. Zwar ist unklar, ob die regelmäßige Aufnahme des Stoffs über E-Zigaretten das gleiche Risiko birgt wie beim herkömmlichen Rauchen. Es lässt sich derzeit aber nicht ausschließen.

Mittlerweile hat jeder fünfte Raucher schon E-Zigaretten ausprobiert. Vor allem jüngere Raucher testen das Dampfen. Ein Teil von ihnen testet auch, ob E-Zigaretten beim Aufhören helfen, wie eine Befragung von mehr als 26.000 Jugendlichen und Erwachsenen aus 27 EU-Ländern ergab. Hochgerechnet auf die gesamte Bevölkerung im Jahr 2012 hätten demnach mehr als 29 Millionen EU-Bürger bereits E-Zigaretten ausprobiert, berichteten Forscher um Constantine Vardavas von der Universität Harvard im Juni im Fachblatt „Tobacco Control“.

Unter sehr jungen Schülern, die meist keine Zigaretten rauchen, sind E-Shishas populär. Dem Namen nach eine Wasserpfeife, sind sie nichts anderes als elektrische Zigaretten, die eine Flüssigkeit verdampfen, wobei das Mundstück dem einer Wasserpfeife nachempfunden ist. Sowohl E-Shishas als auch E-Zigaretten gibt es mit verschiedenen Aromen, von Vanille bis Kaffee.

Der gefährliche Rauch fällt bei E-Zigaretten weg, und ihr Dampf enthält wohl erheblich weniger Substanzen. Dennoch gibt es neben den potenziell schädlichen Wirkungen des Nikotins weitere Unwägbarkeiten.

Für den Dampfeffekt von E-Zigaretten sorgt Propylenglykol, ein Stoff, der in Discos aus der Nebelmaschine kommt und in der Nahrungs-, Kosmetik- und Kunststoffindustrie verwendet wird. Für kurze Zeit eingeatmet sei das Mittel zwar „gesundheitlich relativ unbedenklich“, so das BfR. Bei empfindlichen Menschen könnten allerdings die oberen Atemwege und die Augen gereizt werden. Dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zufolge sind als kurzzeitige Folgen der Inhalation auch Reizungen des Mundes, Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Schlaflosigkeit beschrieben worden.

Außerdem bedenklich aus Sicht der Experten: In einzelnen Flüssigkeiten (Liquids) für E-Zigaretten wurden krebserregende Substanzen, etwa Nitrosamine, gefunden. Und im Dampf verschiedener E-Zigaretten seien schon krebsererregende Substanzen wie Formaldehyd, Acetaldehyd und Acrolein gemessen worden.

Was bedeutet all das nun? In einer Überblicksstudie, die im Juni im Journal „Otolaryngology“ veröffentlicht wurde, kommen US-Forscher um Paul Truman Harrell zu dem Schluss, dass bisherigen Daten zufolge E-Zigaretten im Vergleich zu herkömmlichen Zigaretten oftmals weniger giftige Stoffe enthalten und weniger schädliche Effekte haben. Langzeitstudien fehlen bisher allerdings, weil E-Zigaretten erst seit 2007 auf dem Markt sind. Auch deshalb warnen Wissenschaftler vor einer Verharmlosung möglicher Risiken.

Deborah Arnott, Geschäftsführerin der britischen Hilfsorganisation Action on Smoking & Health, brachte es bei der europäischen Wissenschaftskonferenz in Kopenhagen so auf den Punkt: Dampfen sei zwar weniger gefährlich, aber immer noch gefährlicher, als gar nicht zu rauchen.

Diese Erkenntnis hat sich offenbar auch auf die Vermarktungsstrategien der Hersteller ausgewirkt, wie US-Forscher um Shu-Hong Zhu im Journal „Tobacco Control“ berichteten. Noch im Jahr 2012 hätten die Hersteller die vermeintlich geringere Gesundheitsgefahr durch E-Zigaretten betont. Diese Hinweise finde man mittlerweile seltener. Zudem würden die Hersteller nicht mehr damit werben, dass E-Zigaretten dort geraucht werden dürften, wo andere Zigaretten verboten sind.

Aus gutem Grund. Wie etwa Chemiker um Tunga Salthammer vom Fraunhofer Wilhelm-Klauditz-Institut in Braunschweig 2013 im Journal „Indoor Air“ berichteten, werden durch den Konsum von E-Zigaretten unter anderem flüchtige organische Verbindungen, zum Beispiel Propylenglykol, Nikotin, und diverse Aromastoffe freigesetzt. Die Konzentration dieser Stoffe in die Umgebungsluft fällt zwar erheblich geringer aus als bei herkömmlichen Zigaretten. Trotzdem gilt: Wer neben einem Dampfer sitzt, dampft wohl passiv mit. Deshalb könnten Gefahren für Dritte nicht ausgeschlossen werden, schreiben das BfR und das DKFZ. Ginge es nach ihnen, sollte das Rauchen von E-Zigaretten in Gegenwart anderer Menschen verboten sein.

Aber können E-Zigaretten nun immerhin Rauchern beim Aufhören helfen? Das BfR schließt nicht aus, „dass tabakabhängige Raucher in einigen Fällen von E-Zigaretten profitieren können“. In der Überblicksstudie der US-Forscher um Paul Truman Harrell heißt es, die bisherigen Daten deuteten zwar an, dass E-Zigaretten beim Aufhören helfen könnten. Sie seien aber letztlich nicht beweiskräftig. Experten wie Wilson Compton und Deborah Arnott fordern mehr Forschung zu dieser Frage.

Einigkeit herrscht unter Gesundheitsexperten darin, dass E-Zigaretten wegen der genannten Unwägbarkeiten und der potenziell gesundheitsschädlichen Wirkung von Nikotin nichts in den Händen von Kindern und Jugendlichen verloren haben. Grundsätzlich sei durch E-Zigaretten eine Nikotinsucht möglich, so das BfR. Damit könnte ein späterer Einstieg in eine Raucherkarriere begünstigt werden. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) will E-Zigaretten und E-Shishas deshalb für Kinder und Jugendliche verbieten. Dafür hatte bereits die Drogenbeauftragte der Bundesregierung plädiert.

Selbst die Verkäufer von E-Zigaretten unterstützen die Jugendschutzpläne. „Elektrische Zigaretten sind ausschließlich für erwachsene Tabakraucher geeignet, um diesen eine bessere Alternative zu den herkömmlichen Tabakzigaretten zu bieten“, sagt Dac Sprengel, der Vorsitzende des Verbands des eZigarettenhandels (VdeH). Kein Verkauf von E-Zigaretten an Jugendliche – die Händler des VdeH halten sich angeblich strikt daran.