Mit dem digitalen Radioteleskop LOFAR wollen Forscher extrem schwache kosmische Signale auffangen, etwa von den ersten Sternen. Warum es die Forscher dafür ausgerechnet nach Norderstedt verschlägt.

„Dort vorne bei dem Traktor, da ist es“, sagt Marcus Brüggen. „Von hier aus werden wir bald ins Universum blicken.“ Der Forscher läuft über einen Feldweg am Rand von Norderstedt, vor ihm erstreckt sich ein Acker von der Größe eines Fußballplatzes, auf dem Roggen sprießt, begrenzt von alten Eichen. In den Bäumen zwitschern Meisen.

Brüggen ist Professor für Extragalaktische Astrophysik an der Uni Hamburg, er hat an Weltraumobservatorien in der chilenischen Atacamawüste und auf dem Vulkan Mauna Kea in Hawaii geforscht. Dass es ihn bei seiner Arbeit nun in die Niederungen Schleswig-Holsteins verschlägt, hat weniger mit einer Vorliebe für ländliches Idyll zu tun, als vielmehr mit einer Besonderheit dieses Ortes, die für sein jüngstes Projekt sehr wichtig ist. „Es gibt hier wenig Elektrosmog“, sagt Brüggen, „wenig Strahlung, die sich mit den extrem schwachen kosmischen Signalen vermischen würde, die wir aufspüren wollen“.

Bei dieser Suche werden der 41 Jahre alte Wissenschaftler und sein Team künftig von neuer Technik profitieren. Denn nach der Ernte des Roggens sollen auf dem Norderstedter Acker 192 Antennen aufgestellt werden, die das Low Frequency Array (LOFAR) ergänzen, einen Verbund aus derzeit 48 Stationen mit mehr als 10.000 Antennen, die über die Niederlande, Großbritannien, Schweden, Frankreich und Deutschland verteilt sind. Zusammen bilden sie ein neuartiges Radioteleskop.

Radiowellen sind elektromagnetische Wellen – wie sichtbares Licht, nur länger. Der Rundfunk sendet Daten in dieser Form, aber auch von Sternen wie unserer Sonne, Gashaufen zwischen Galaxien, Planeten wie Jupiter und Saturn und vielen weiteren Erscheinungen im Kosmos gehen Radiowellen aus, die sich auf der Erde empfangen lassen – nur dass sie zum Teil viele Milliarden Mal schwächer sind als etwa die Strahlung, die ein Handy verursacht.

LOFAR registriert kosmische Signale auf noch kaum erforschten Frequenzen zwischen 30 und 240 Megahertz. In diesem Band liegen auch viele UKW-Frequenzen – klar, dass ein Radiosender in der Nähe stören würde.

Hamburg kam deshalb nicht infrage, ebenso wenig Bielefeld, dessen Universität an der künftigen 49. LOFAR-Station beteiligt sein wird. Eineinhalb Jahre lang hatten Brüggen und seine Kollegen nach einem Standort gesucht, sie liefen mit Strahlungsscannern über ein Dutzend Äcker, fingen sich Absagen von Bauern ein, suchten weiter.

Erst Hans-Peter Krohn sagte zu. Der Landwirt lehnt an seinem Traktor, er trägt einen grünen Overall – Kontrastprogramm zu Brüggen, der mit seiner sportlichen blau-roten Jacke und Turnschuhen mit roten Schnürsenkeln auch Werbung für Mode machen könnte. Nun ja, sagt Krohn, ein merkwürdiges Gefühl sei das schon, die seit Jahrzehnten landwirtschaftlich genutzte Fläche für die nächsten 15 Jahre an Forscher zu verpachten. Aber irgendwie scheint ihm die Sache auch Spaß zu machen: „Ich erzähle den Leuten einfach, dass hier eine Startbahn für Raketen gebaut wird“, sagt er und lacht.

Tatsächlich wird die Station äußerlich unspektakulär ausfallen: Einfache Drähte in Form einer Pyramide, maximal 1,70 Meter hoch, werden einen Teil des Antennenfeldes bilden; der andere Teil wird aus kachelförmigen, von schwarzer Folie überspannten Empfängern bestehen, die Solarpaneelen ähneln. Etwa eine Million Euro soll die Anlage kosten; finanziert wird sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie von den Ländern Hamburg und Nordrhein-Westfalen.

Forscher, die das LOFAR nutzen wollen, müssen sich um Beobachtungszeit bewerben, über die ein internationales Komitee entscheidet. Wozu aber brauchen sie einen Verbund von mehr als 10.000 Antennen überhaupt?

Unseren Augen zeigt sich das Universum nur im sichtbaren Licht. Das reicht, um nachts die Pracht der Sterne zu bewundern. Doch erst Teleskope öffnen Fenster zu den übrigen Spektralbereichen, von Infrarotlicht über Gammastrahlen bis zu Radiowellen. Anhand dieser Signale wollen Forscher die noch dunklen Abschnitte in der Geschichte des Universums erhellen.

Ein Beispiel: Vor etwa 13,6 Milliarden Jahren entstanden aus neutralem Wasserstoff vermutlich die ersten Sterne – wie genau, ist unklar. Von neutralem Wasserstoff gehen Radiowellen mit einer Frequenz von 1,4 Gigahertz aus. Die uralten Strahlen aber haben sich durch die Ausdehnung des Universums so „gestreckt“, dass sie heute eine Länge aufweisen, die das LOFAR registrieren kann. „Allerdings ist es sehr schwierig, diese Signale von anderen elektromagnetischen Wellen zu unterscheiden, die etwa von dazwischenliegenden Galaxien ausgehen“, sagt Brüggen, während er über den Acker spaziert.

Wichtig für die Unterscheidung von kosmischen Radiowellen ist die Auflösung von Teleskopen. Sie bezeichnet, wie scharf sich weit entfernte, nah beieinanderstehende Objekte darstellen lassen. Maßgeblich dafür ist die Ausdehnung eines Teleskops: „Je größer sie ist, desto mehr Signale können wir registrieren“, erläutert Marcus Brüggen.

Um eine möglichst große Ausdehnung zu erreichen, behelfen sich Radioastronomen bei neuen Anlagen mit einem Trick: Statt auf ein einziges Riesenteleskop setzen sie auf viele kleine miteinander verschaltete Antennen. Die Abstände dürfen allerdings nicht zu groß sein. „Zwischen den LOFAR-Stationen in Ost-, Mittel- und Süddeutschland und den Stationen in den Niederlanden gibt es eine große Lücke von mehreren hundert Kilometern“, sagt Brüggen. „Das hat zur Folge, dass wir für bestimmte Teile des Kosmos blind sind. Deshalb ist die Norderstedter Station so wichtig.“

Kleinere Lücken würden durch die Erddrehung ausgeglichen. „Vom Himmel aus betrachtet verändern sich die Abstände zwischen den Stationen ständig, so dass wir viele Punkte im Laufe eines Tages bereits abdecken.“

Die von den Antennen aufgefangenen kosmischen Signale werden zunächst in den einzelnen LOFAR-Stationen verstärkt, dann digitalisiert und in Hochgeschwindigkeitskabeln zu einem Supercomputer nach Groningen in den Niederlanden geschickt. Diese Maschine schafft bis zu 34 Billionen Gleitkommaoperationen pro Sekunde – so viel wie einige Tausend handelsübliche PC zusammen – und errechnet aus den Einzelsignalen ein Gesamtbild.

Der eigentliche Clou ist jedoch das Scharfstellen. Gewöhnliche Radioteleskope sehen aus wie Satellitenschüsseln und funktionieren prinzipiell auch so: Sie werden auf eine Himmelsregion gerichtet, reflektieren die von dort kommenden Signale und bündeln sie in einem Brennpunkt. Das LOFAR besteht statt reflektierenden Schüsseln aus Antennen, von denen jede fast den ganzen Himmel erfasst. Weil sich die digital gespeicherten Daten zu einem virtuellen Brennpunkt kombinieren lassen, können Forscher nachträglich per Software ihren Fokus festlegen – und das beliebig oft. „Mit einer einzigen Messung“, erläutert Brüggen, „können wir also in viele Richtungen schauen – und das auf dieser Frequenz so scharf wie nie zuvor: Nicht nur, weil die Ausdehnung des Teleskops so groß ist, sondern auch, weil sich dank des Supercomputers zum ersten Mal alle Störungen in der oberen Atmosphäre herausfiltern lassen.“

Wie sensibel LOFAR schon jetzt ist, zeigt folgender Vergleich: „Wenn auf 10.000 Metern Höhe ein 1 Zentimeter breites Stück Alufolie fliegen würde, könnte LOFAR die Radiosignale sehen, die von diesem Stück reflektiert werden“, sagt Brüggen und blickt in den Himmel über Norderstedt.

Dort sind an diesem Tag nur graue Wolken zu sehen, trotzdem erscheint der Kosmos ganz nah, wenn man dem Astrophysiker so zuhört, wie er von Galaxienhaufen aus mehreren Tausend Galaxien erzählt, zwischen denen sich ein extrem heißes Gas befinde, „das wir überhaupt nicht verstehen“ – einem seiner Forschungsschwerpunkte –, und von den ebenfalls rätselhaften Magnetfeldern zwischen Sternen.

„Jedes Mal, wenn man ein neues Fenster zum Universum geöffnet hat, gab es Überraschungen“, sagt Brüggen. „Ich hoffe, so wird es auch mit LOFAR.“