Das UKE hat in der Psychiatrie einen eigenen stationären Bereich für Jugendliche und junge Erwachsene eingerichtet. Die Nachfrage ist anders als erwartet.

Hamburg Wer an chronischen oder immer wiederkehrenden Krankheiten leidet, braucht viel Unterstützung und vertraute Menschen an seiner Seite – auch in der medizinischen Versorgung. Kranke Kinder brauchen dabei eine andere Betreuung als Erwachsene. Auch deswegen ist für kranke Jugendliche der Wechsel vom Kinderarzt zum Erwachsenenspezialisten oft schwierig. „Das gilt auch für die Psychiatrie. Wir haben die Patienten bislang immer mit 18 Jahren offiziell an die Erwachsenenpsychiatrie abgegeben, ohne dass die Erwachsenenpsychiatrie wirklich Konzepte für diese Altersgruppe hatte. Und dann waren manchmal die 18- bis 19-Jährigen mit 50-Jährigen auf einer Station. Das passt nicht gut zusammen“, sagt Prof. Michael Schulte-Markwort, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE).

Um den Übergang in die Erwachsenenpsychiatrie und eine kontinuierliche Behandlung sicherzustellen, wurde im April 2013 in der Psychiatrie am UKE ein stationärer Bereich mit 21 Behandlungsplätzen für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 25 Jahren geschaffen, die Adoleszentenstation. „Wir wollen damit vermeiden, dass Krankheiten chronisch werden, und den Verlauf verbessern, gerade bei Jugendlichen mit einem hohen Risiko für schwere psychische Erkrankungen“, sagt Oberärztin und Privatdozentin Dr. Anne Karow. Sie leitet diesen Bereich, ein gemeinsames Projekt der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Erwachsenenpsychiatrie, die von ProfessorDieter Naber geleitet wird.

Der größte Teil der Patienten leidet an einer Depression oder einer emotional instabilen Persönlichkeitsentwicklungsstörung, die mit einem erhöhten Risiko für Selbstverletzungen und Suizid einhergeht. „Wir haben aber auch Patienten, die erste Symptome einer beginnenden Psychose haben, das heißt einer Schizophrenie oder einer bipolaren Erkrankung, bei der es zum Wechsel zwischen manischen und depressiven Phasen kommt. Durch das Erkennen der ersten Symptome hoffen wir, dass wir die Entstehung einer solchen schweren Erkrankung verhindern und negative psychosoziale Konsequenzen abschwächen können“, sagt Karow.

Die Ärzte machten dabei eine überraschende Beobachtung: Ein großer Teil der Patienten auf der Station hatte vorher noch keinen Kontakt zur Kinder- und Jugendpsychiatrie. „Wir stellten fest, dass 30 bis 40 Prozent der Patienten zum ersten Mal in der Psychiatrie waren und vorher noch nie wegen einer psychischen Erkrankung behandelt worden sind“, sagt Schulte-Markwort. Dennoch haben viele dieser Patienten schon Schweres durchgemacht. „Viele haben sexuelle Übergriffe oder Gewalt erlebt und sind von Gleichaltrigen gemobbt worden. Viele haben psychische Erkrankungen in ihrer Familie, einige auch psychisch kranke Eltern, die selbst an Suchterkrankungen, Depression oder anderen Erkrankungen leiden“, erzählt Karow. Die Auswirkungen sind dann psychische Auffälligkeiten, die meist ein bis drei Jahre vor dem Klinikaufenthalt begonnen haben.

„Viele von ihnen werden von Gleichaltrigen ausgegrenzt, haben keinen Schulabschluss oder eine Lehre abgebrochen. Die Eltern fühlen sich nicht mehr richtig zuständig und überfordert, wissen nicht, wie sie ihren Kindern in dem Alter noch helfen sollen. Die Jugendlichen leben meist noch zu Hause, aber es kommt zu erheblichen familiären Konflikten. Und es ist in der Regel auch eine Klientel, die nicht bis in den ersten Arbeitsmarkt vordringt. Wir haben nicht gedacht, dass diese Gruppe so groß ist“, sagt Schulte-Markwort.

Auch die Altersstruktur hatten die Psychiater am UKE anders eingeschätzt. „Wir haben vorher gedacht, dass wir einen höheren Anteil von jungen Erwachsenen im Alter von 22, 23 Jahren haben werden. Jetzt stellt sich heraus, dass es einen sehr großen Bedarf gerade um das 18. Lebensjahr herum gibt. Das ist auch der Altersdurchschnitt. Die meisten Patienten sind zwischen 17 und 19 Jahre alt“, sagt Anne Karow. Bisher seien diese Jugendlichen nicht behandelt worden, und viele seien dann ohne Ausbildung erst Jahre später bei einem Psychotherapeuten oder in einem Krankenhaus aufgetaucht.

Aber gerade dieses Alter fällt in die Phase, die für die Entwicklung von psychischen Erkrankungen am wichtigsten ist. „Wir wissen, dass zwei Drittel der psychischen Erkrankungen zum ersten Mal im Alter zwischen 16 und 24 Jahren auftreten. Wir hatten aus dem Blick der Erwachsenenpsychiatrie häufig das Problem, dass wir Patienten, die schon einmal mit zwölf oder 15 Jahren in der Kinder- und Jugendpsychiatrie waren, erst im Alter von 25 Jahren wiedergesehen haben. Dann waren sie oft bereits seit acht bis neun Jahren schwer erkrankt“, sagt Anne Karow. „Vom 16. Lebensjahr an finden noch massive Umbauprozesse im Gehirn statt“, ergänzt Schulte-Markwort. „Diese Phase ist ein Umbruch von der Pubertät in das Erwachsenenalter, in dem die Jugendlichen noch verletzlicher sind als in der Pubertät. Wer die Pubertät gut überstanden hat, hat für sich Lösungen gefunden und wird diese Phase in der Regel auch gut überstehen. Wenn aber jemand schon nicht gut durch die Pubertät gekommen ist, dann besteht die Gefahr, dass er in dieser Zeit erst recht den Boden unter den Füßen verliert und psychisch krank wird“, so der Kinderpsychiater.

Um den Jugendlichen zu helfen, werden sie auf der Station mit unterschiedlichen Verfahren der Verhaltenstherapie behandelt, mit denen sie lernen, Depressionen zu bewältigen und mit Suizidgedanken und Stimmungen anders umzugehen. „Wir können in den durchschnittlich zweieinhalb Monaten, die die Patienten auf der Station sind, nicht das ganze Leben verändern, aber Impulse setzen und eine ambulante Weiterbehandlung vermitteln. So können wir erreichen, dass diejenigen, die in einem instabilen Zustand zu uns kommen, die Klinik in einem stabilen Zustand verlassen und idealerweise ohne Pause in die ambulante Weiterbehandlung bei einem Psychotherapeuten wechseln“, sagt Anne Karow.

Die Patienten auf der Station bewegen die gleichen Dinge wie gesunde Gleichaltrige: Sie „chillen“ zusammen, kommunizieren über Facebook und WhatsApp, lästern über einander und verabreden sich. Aber diese Jugendlichen erleben das Auf und Ab der Stimmungen in diesem Alter viel ausgeprägter. „Das Problem ist, dass sie so wenig psychische Ressourcen haben, dass schon ein heftiger Liebeskummer dazu führen kann, dass sie sich das Leben nehmen wollen oder sich selbst Verletzungen zufügen“, so Karow. Deswegen brauchen sie viel Unterstützung und erfahrene Therapeuten. Zum Team gehören zwei Kinderpsychiater, ein Erwachsenenpsychiater, eine Psychologin, eine Sozialpädagogin sowie Erzieher, Pflegekräfte, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten.

„Es gibt eine gute Kooperation von Erwachsenenpsychiatern und Kinderpsychiatern – wir konnten einiges voneinander lernen“ erzählt Schulte-Markwort. „Zum Beispiel sprechen Erwachsenenpsychiater die Patienten mit Sie und dem Nachnamen an und damit in ihrer Erwachsenenrolle, wir mit Sie und dem Vornamen und damit mehr in der Kinderrolle. Das war für mich eine sehr spannende Erfahrung. Außerdem haben wir sehr viel über Medikamente gelernt, vor allem über die Bandbreite der möglichen Therapien. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie setzen wir nur einige wenige Mittel ein.“ Auf der Station werden nur 40 bis 50 Prozent der Patienten mit Medikamenten behandelt, der Schwerpunkt der Behandlung liegt auf der Psychotherapie. „Als Erwachsenenpsychiater appelliert man viel an die Eigenverantwortung der Patienten und hat weniger einen pädagogischen Schwerpunkt. Da mussten wir ebenfalls umdenken. Es gibt dort auch einen erzieherischen Anspruch. Da muss man unter anderem einmal Grenzen aufzeigen und sagen: ‚Jetzt ist aber Schluss‘“, sagt Karow.

Mittlerweile hat sich die Station voll etabliert und ist immer ausgelastet. Bislang wurden 120 Patienten behandelt, etwa jeweils zur Hälfte junge Frauen und Männer. Für Patienten, die hier eine stationäre Psychotherapie machen wollen und nicht als Notfall in die Klinik kommen, gibt es bereits eine Warteliste. Die Wartezeit liegt zurzeit bei vier Wochen. Wird ein Patient von einem niedergelassenen Arzt angemeldet, erhält er zunächst einen Termin für ein Vorgespräch mit einem Therapeuten. Dabei wird das Konzept vorgestellt und geklärt, ob die Therapie für den Patienten geeignet ist.

Weitere Infos und Termine für Beratungsgespräche über die Früherkennungsambulanz für Psychische Störungen am UKE: Tel. 74105-7483. Aufgenommen werden können allerdings nur

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