Gerade blühte in Hamburg für eine Nacht die gewaltige Titanenwurz. Ein Hamburger Wissenschaftler versucht, mit Europas größter Sammlung mehr über diese außergewöhnliche Pflanzengattung zu erfahren.

Hamburg. Ihre gewaltige Größe wird es für die meisten Menschen sein, für manche auch der abscheuliche Gestank. Wo immer die Titanenwurz in botanischen Gärten dieser Welt zur Blüte gelangt, fasziniert sie Besucher. Und zieht sie in solchen Massen an, wie sich Amorphophallus titanum, so der wissenschaftliche Name, im Freiland bestäubende Insekten nur wünschen könnte. Am vergangenen Wochenende hatte ein Exemplar im Tropengewächshaus von Planten un Blomen in Hamburg für eine Nacht ihren 1,71 Meter hohen Blütenstand entfaltet; zuletzt hatte es vor 84 Jahren ein solches Ereignis in der Hansestadt gegeben. Doch während die Aufmerksamkeit der Besucher schon am übernächsten Tag, exponentiell mit dem Welken des gewaltigen Gebildes nachließ, hält sie bei Cyrille Claudel seit Jahren ungebrochen an. Der Hamburger Botaniker forscht an der Gattung Amorphophallus, zu der die Titanenwurz gehört. Und versucht unter anderem, den Pflanzen ihre Geheimnisse mit einer Wärmebildkamera zu entlocken.

Eine Sache, die die zu den Aronstabgewächsen zählenden Pflanzen können, ist im wahrsten Sinne eine heiße Erkenntnis: „Sie können ihren Blütenstand auf 40 Grad Celsius erwärmen“, sagt Claudel. Seit sieben Jahren – erst für seine Diplom- und mittlerweile für seine Doktorarbeit – forscht er an den Amorphophallus-Arten. „Die Titanenwurz ist die berühmteste, aber es gibt mehr als 220 Arten in der Gattung“, sagt Claudel.

Und so groß die Vielfalt der Arten ist, so unterschiedlich sind auch die Formen des Aufheizens, hat der Doktorand am Biozentrum Klein Flottbek herausgefunden: „Manche Arten glimmen nur ein wenig, andere heizen über Stunden“, sagt er. Auch was erhitzt wird, ist unterschiedlich: „Bei manchen Pflanzen sind es nur die männlichen Blüten, bei anderen der sogenannte Appendix, der abschließende Fortsatz des Spadix oder Kolbens – und bei wieder anderen beide gemeinsam“, erklärt Claudel. Das konnte der Botaniker durch Aufzeichnungen eines externen Thermometers und Bilder einer Thermokamera sichtbar machen.

Um verstehen zu können, warum die Pflanzen das eigentlich machen, muss man den besonderen Aufbau dessen kennen, was Laien als „Blüte“ eines Amorphophallus-Vertreters bezeichnen. Die eigentlichen Blüten sitzen nämlich eng an eng auf einem zentralen Kolben (Spadix). Dieser wird bei manchen Arten wie der Titanenwurz von einem voluminösen, dekorativen Hüllblatt umgeben. Cyrille Claudel: „Unten auf dem Spadix sitzen immer die weiblichen Blüten, darüber die männlichen.“ In der ersten Nacht der „Blüte“ blühen die kleinen, knubbeligen weiblichen Blüten auf und sind damit empfängnisbereit. In der Nacht danach blühen die männlichen Blüten und setzen dabei den Pollen frei. Durch die Zeitversetzung kann es nicht zu einer Selbstbestäubung der Pflanze kommen.

Und das Aufheizen? „Dazu gibt es mehrere Thesen“, sagt Claudel. Die gängigste lautet, dass über die Wärme die Duftstoffe der Pflanze besser transportiert werden – hauptsächlich nach Aas riechende chemische Verbindungen, die Insekten anlocken sollen. „Manche der Pflanzen riechen aber auch nach Käse, andere nach vergorener Banane und wieder andere nach Schuhcreme“, sagt Claudel. Eine neu beschriebene Art soll sogar richtig gut duften – eine Ausnahme in dieser Pflanzengattung, wie der Botaniker lachend verrät.

Lock-Leuchtmittel für Insekten

Die Insekten, fehlgeleitet auf der Suche nach einem Ablageplatz für ihre Eier, bestäuben die weltweit in den Tropen und Subtropen (mit Ausnahme von Amerika) beheimateten Pflanzen. „In manchen Fällen erfolgt die Erwärmung aber separat zur Freisetzung der Duftstoffe, das spricht gegen die These, dass die Wärme der Duftverbreitung dient“, sagt Claudel.

Eine alternative Erklärung sei deshalb, dass die Insekten, die für die Bestäubung angelockt werden sollen, von der Wärme auf irgendeine Weise profitieren. Cyrille Claudel: „Das würde natürlich nur für Pflanzen in kühleren Regionen Sinn machen, und nicht bei den tropischen Arten.“

Deshalb gibt es noch einen dritten Ansatz, die Wärmebildung (wissenschaftlich Thermogenese) bei der Pflanzengattung zu erklären, verrät der Hamburger Botaniker: „Die von der Pflanze ausgehende Infrarotstrahlung könnte ein Lock-Leuchtmittel für die Insekten sein.“ Viele Insekten haben spezielle Infrarot-Rezeptoren, zum Beispiel der Schwarze Kiefernprachtkäfer, der damit Waldbrände wahrnimmt. Nicht dass er vor ihnen dadurch schneller fliehen könnte: Er steuert sogar auf sie zu. Die Weibchen legen in der verbrannten Rinde der Bäume ihre Eier ab; schneller als andere Käferarten besiedeln sie so einen neuen Lebensraum.

Der Aspekt der Wärmebildung ist jedoch nur ein Thema, das Cyrille Claudel untersucht. Hauptsächlich interessiert den Wissenschaftler, was von den 220 Arten die ursprünglichen und was die modernen Formen der Gattung sind. Genug Pflanzen, um mithilfe von vergleichenden DNA-Analysen die bisher ungeklärte Stammesgeschichte von Amorphophallus zu erhellen, hat er jedenfalls: auf 100 Quadratmeter Gewächshausfläche stehen in Klein Flottbek 1200 Pflanzen aus 130 Arten. Damit hat er in Hamburg mittlerweile die größte Sammlung Europas dieser besonderen Pflanzen zusammengetragen.

Bis zu 150 Kilo schwere Knollen

Angefangen hat diese botanische Leidenschaft für die Gewächse, die zwischen fünf Zentimeter und fünf Meter groß werden und bis zu 150 Kilogramm schwere Knollen entwickeln können, übrigens mit einem Gebot: „Im Internet habe ich eine Amorphophallus konjac ersteigert. Danach mussten einfach mehr Arten her“, sagt Claudel und lacht. Einen großen Sprung machte sein Vorhaben, als die bis dahin größte Sammlung des „Amorphophallus-Papstes“ (wie Claudel ihn nennt) Wilbert Hetterscheid in Wageningen (Niederlande) aufgelöst wurde und viele der Pflanzen nach Hamburg kamen. Darunter übrigens auch die Titanenwurz, die am vergangenen Wochenende in Planten un Blomen geblüht hatte.

Heute ist Claudel glücklich und dankbar, mit der Unterstützung des Botanischen Gartens und vor allem von Gärtnerin Kerstin Arendt den vielen Pflanzen für seine Forschung einen idealen Standort und die richtige Pflege angedeihen lassen zu können. Denn Titanenwurz und Co. sind nicht nur in der Blüte speziell – „danach, und besonders wenn sie Früchte getragen haben, sind die unterirdischen Knollen anfälliger als sonst“, verrät der Botaniker.

Überhaupt die Knollen: Immer, wenn bei den Gewächsen ein neues Blatt ausgetrieben ist, bildet sich eine neue Knolle aus, die auf der alten sitzt. Die alte Knolle stirbt ausgelaugt ab – bei diesem Prinzip müssten die neuen Knollen irgendwann aus der Erde hinaus an die Oberfläche wachsen. Doch auch hier zeigt sich eine Besonderheit: Kontraktile, also zusammenziehbare Wurzeln, ziehen die neuen Knollen wieder tiefer in die Erde zurück. Zum heißen Geheimnis der Pflanzen kommt also noch ein unterirdisches hinzu.