Anwohner fühlen sich durch Motorräder gestört, doch gegen laute Maschinen kann man wenig tun. „Der Fahrstil ist entscheidend“, sagt Christian Popp, Geschäftsführer des Beratungsbüro Lärmkontor.

Hamburg. Sonne und blauer Himmel: ideale Verhältnisse für Motorradfans, ihre Freiheit auf zwei Rädern auszuleben. Einige von ihnen kitzeln dabei möglichst viel Lautstärke aus ihren Maschinen heraus – und fallen damit vor allem Anwohnern von beliebten Ausflugsstrecken auf die Nerven. Wenn diese gemütlich auf ihren Terrassen sitzen, fehlt ihnen meist jedes Verständnis für rasante Fahrer, die nur so zum Spaß mit kreischenden Geräuschen die Gegend verlärmen. Der Nutzungskonflikt zwischen Menschen, die ihre Freizeit entspannt im Freien genießen wollen und solchen, die lieber auf heißen Öfen sitzen, ist ein Ärgernis, das kaum aus der Welt zu schaffen ist.

„Der Fahrstil ist entscheidend“, sagt Christian Popp, Geschäftsführer des Hamburger Beratungsbüro Lärmkontor. „Es kann einen Unterschied von 20 Dezibel ausmachen, ob jemand verantwortungslos oder vernünftig fährt.“ Natürlich gebe es lautere und leisere Motorräder, so der Lärmexperte, aber beide Varianten ließen sich mit mehr oder weniger Lautstärke bewegen. Dabei sei es schwierig, den Draufgängern unter den Motorradfahrern beizukommen. „Wenn ein Biker nachts durch die Grindelallee rast und dabei Tausende Menschen weckt, die in lauen Nächten bei geöffneten Fenstern schlafen, ist dieses Fehlverhalten nicht zu ahnden“, so Popp. Auch dann nicht, wenn der rücksichtslose Fahrer in Schnelsen gestellt werde: „Weder seine Geschwindigkeit noch der entstandene Schallpegel sind nachträglich zu ermitteln.“

Den großen Einfluss des Fahrers betonen auch der Arbeitskreis (AK) Motorradlärm des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) und die Vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm (VAGM). Auf der gemeinsamen Internetseite (www.motorradlaerm.de) heißt es: „Viele Motorräder lassen sich mit etwas Disziplin mit einer akzeptablen Lautstärke bewegen, aber es geht auch anders: Beschleunigungsorgien in kleinen Gängen, die Gänge voll ausdrehen und immer am Limit fahren, das ist in der Regel sehr laut.“

Dies liege auch daran, dass die Norm für die Typenprüfung von Motorrädern nicht die Spitzenlautstärke erfasse, betont Holger Siegel, Sprecher des AK Motorradlärm. „Das Verfahren, nach dem die Lärmemissionen zu ermitteln sind, ist jahrzehntealt und berücksichtigt nicht, dass manche Motorräder heute Leistungen von 150, 160 PS haben. Es schreibt Messungen in einem bestimmten Drehzahlbereich vor, nicht aber bei höchster Drehzahl. Die Hersteller haben darauf reagiert: Das Motormanagement moderner Zweiräder erkennt den kritischen Drehzahlbereich und schließt dann automatisch die Auspuffklappen, damit das Fahrzeug in dem für die Prüfung relevanten Betriebsmodus leiser wird.“

Die Typenprüfung sei deshalb realitätsfern, urteilen beide Experten. Sie erlaube es den Herstellern, die geltenden Regeln so auszuschöpfen, dass der Grenzwert von 80 Dezibel nur in dem bestimmten Fahrmodus eingehalten wird. Doch damit nicht genug: Mindestens ebenso lärmträchtig seien Zubehörauspuffe. Sie werden hauptsächlich gekauft, um der Maschine einen besseren Sound zu verleihen, so Siegel. Das zeigt sich auch im Online-Auftritt der Zeitschrift „Motorrad“. Wer dort unter „Zubehör“ nach Auspuffen sucht, findet „einen neuen Sound zum dranstecken“ aus der Serie Furore, ein Produkt des Herstellers Remus, das der BMW R 1200 GS „mehr Sound verleiht“ und „kerniger klingt“, oder einen „Video-Soundcheck: Auspuffanlagen für Hondas Fireblade“.

Die röhrenden Zubehörauspuffe werden nach den sogenannten UNECE-Regeln zugelassen und können damit in fast allen EU- und einigen Nicht-EU-Staaten beantragt werden. Natürlich gelten auch für sie Geräuschlimits, doch „diese Auspuffe sind in 99Prozent aller Fälle weitaus zu laut“, urteilt der AK Motorradlärm. Die Marktübersicht im „Motorrad“-Magazin könne „getrost als Einkaufsführer für laute Auspuffe“ verwendet werden. Zudem machten es die Produkte den Haltern oft einfach, Manipulationen für einen satten Sound durchzuführen, so das Umweltbundesamt (UBA). Geräuschmindernde Einsätze (dB-Eater) könnten mit wenig Aufwand herausgenommen werden, womit der Betrieb des Motorrads allerdings illegal werde. Auch haben manche Schalldämpfer Klappensysteme, die „mit wenigen Handgriffen oder elektronisch verstellt werden können“, so das UBA.

Die Polizei kann nur eingeschränkt gegen Motorradlärm vorgehen. Das Vorbeifahrgeräusch zu messen ist technisch zu aufwendig. Die Polizei Hamburg verfüge „über drei geeichte Präzisionsschallpegelmessgeräte, mit denen das Standgeräusch von Krafträdern festgestellt werden kann“, antwortet Polizeisprecher Andreas Schöpflin auf die Abendblatt-Frage nach technischen Kontrollmöglichkeiten. Aber „aus der Standgeräuschmessung können kaum Rückschlüsse auf die Geräuschemissionen im Betrieb gezogen werden“, urteilt das UBA.

Die Hamburger Polizei mache in unregelmäßigen Abständen Verkehrskontrollen von motorisierten Zweirädern entlang der Elbe, so Schöpflin. Und sie nutze den bekannten Treffpunkt am Anleger Zollenspieker „für präventive Aufklärungsaktionen“. Zudem gebe es „speziell fortgebildete Beamte, die in der Lage sind, technische Manipulationen zu erkennen“. Immerhin sind die Bußgelder etwa für nachweisbare Manipulationen wie das Fahren ohne dB-Eater von 25 Euro auf maximal 135 Euro (plus vier Punkte in Flensburg) angehoben worden. Zudem muss der Fahrer sein Motorrad dann stehen lassen – falls er den dB-Eater während der Kontrolle nicht „zufällig“ in seinem Rucksack wiederfindet.

Anders als etwa beim Fluglärm leiden meist nur wenige Anwohner in landschaftlich reizvollen Gegenden unter Motorradlärm. Er fließt in die Lärmkartierungen der kommunalen Verwaltungen nicht ein. „Bei den Kartierungen werden Jahresmittelwerte gebildet, da fällt eine zusätzliche Belastung an einzelnen Tagen nicht ins Gewicht“, sagt Lärmschutzexperte Popp. Mit Blick auf die Gesamtbevölkerung spiele Motorradlärm politisch keine Rolle.

Für Menschen, die im Lärmumfeld von Autobahnen wohnen, kann sich Popp eine einfache Lösung vorstellen: ein durchgängiges Tempolimit von 120 oder 130 Kilometern pro Stunde. „Das würde nächtlichen Ruhestörungen durch schnelle Auto- und Motorradfahrer vorbeugen, die angesichts der freien Strecke richtig aufdrehen und dann weit mehr als Tempo 200 erreichen. Und generell helfen durchgängige Tempolimits, den Verkehrsfluss zu verstetigen. Auch das ist Lärmschutz, denn Beschleunigungsvorgänge sind besonders lärmträchtig.“

Lärmgeplagte Orte könnten zwar (laute) Motorräder nicht ausschließen, aber vergrämen, sagt Popp und nennt das Beispiel Sudelfeld, eine Berglandschaft im südöstlichen Oberbayern: „Hier führten die Behörden Tempo 50 ein und erließen mit zwei durchgezogenen Linien auf der Straße ein Überholverbot. Gleichzeitig hatten sich die Bewohner der anliegenden Ortschaften verabredet, sich an das Tempolimit zu halten. Damit nahmen sie den Ausflugsfahrern auf zwei oder vier Rädern ihren Spaß und hatten sehr bald ihre Ruhe. Auch bei sonnigem Wetter.“