Ein Wettbewerb sucht die besten Univideos. Sind Moocs die Zukunft der Bildung? Erst etwa sechs deutsche Hochschulen haben bisher Moocs angeboten.

Hamburg. „Nehmen wir zum Beispiel diese wunderschönen Pyrit-Kristalle“, sagt Frank Hoffmann und deutet auf einen grau-goldenen Steinblock, den er auf seiner linken Handfläche balanciert. „Funkelnde, formvollendete Würfel“ seien das, sagt er, während die Kamera an das Objekt heranzoomt.

„Interessanterweise“, fährt Hoffmann fort, bestehe die innere Struktur dieses goldfarbenen Minerals „wiederum aus lauter kleinen Miniwürfeln“. Kurz wird eine Zeichnung eingeblendet, die eine Art Gitter zeigt – dann ist die Kamera wieder bei Hoffmann. Er hebt den Zeigefinger: „Das mag ja vielleicht noch gar nicht so erstaunlich sein, aber nehmen wir andererseits ein simples Wassermolekül. Als Kristall, nämlich als Schneeflocke, ist es immer hexagonal – sechseckig. Warum ist das so?“ Frank Hoffmann, 44, grauer Kapuzenpulli, erinnert an einen Verkäufer, wie er da in seinem Internetvideo gestenreich um Aufmerksamkeit buhlt, immer ein leichtes Lächeln auf den Lippen – nur dass es sich bei seiner „Ware“ um Wissen handelt. Wissen, das der promovierte Chemiker von der Universität Hamburg nicht nur Studenten vermitteln möchte, sondern jedermann. Und das kostenlos – vorerst zumindest.

Hoffmans Präsentation dürfte all jene Hochschulabsolventen überraschen, die sich an zähe Vorlesungen und Seminare erinnern, in denen sich viele Lehrkräfte nicht gerade überschlugen, um ihre Studenten zu begeistern. Und Nicht-Akademiker, die Universitäten womöglich für einen abgeschotteten, elitären Kosmos halten, sehen in dem Video, wie Hoffmann vor seiner Fakultät steht, mit einer einladenden Armbewegung auf den Eingang weist und sagt: „Jetzt gehen wir einfach mal rein.“ Da kann man eigentlich nicht Nein sagen.

Videos als Lehrmittel sind an sich zwar nichts Ungewöhnliches mehr an deutschen Hochschulen; Tafel und Kreide haben vielerorts längst ausgedient. Etliche Dozenten zeichnen ihre Vorträge bereits auf und laden sie im Intranet ihrer Hochschule oder bei YouTube hoch. Doch ihr Publikum ist meist klein. Erheblich mehr Menschen könnten sich durch neue Präsentationsformen angesprochen fühlen, die derzeit entstehen, inspiriert durch eine Bewegung in den USA. Diese sogenannten Massive open online courses, kurz Moocs, sind ebenfalls kostenlos, aber es handelt sich nicht um Einzelveranstaltungen, sondern um zusammenhängende Einheiten mit festem Lehrplan, die von vornherein als Online-Kurse konzipiert werden. Sie sind frei zugänglich, es wird kein Schulabschluss oder eine Berufsausbildung verlangt.

Frank Hoffmann möchte gerne einen Mooc anbieten, in dem er den inneren Aufbau von Kristallen eingehender darstellen würde. Deshalb hat er zusammen mit seinen Kollegen Michael Sartor und Prof. Michael Fröba ein Bewerbungsvideo erstellt, mit dem die drei Chemiker an einem weltweiten Wettbewerb teilnehmen. Zehnmal 25.000 Euro für die Produktion eines Moocs haben der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und das Berliner Start-up-Unternehmen iversity ausgelobt. 255 Forscherteams reichten Videos ein; unter ihnen auch Wissenschaftler von renommierten Hochschulen aus dem Ausland wie Cambridge, Columbia und Berkeley. Hamburg ist mit drei Bewerbungen vertreten. Im Internet konnten User die Videos bewerten – dabei wurden mehr als 100.000 Stimmen abgegeben. Die finale Entscheidung trifft eine Jury. Am 10. Juni gibt sie die Gewinner bekannt.

Aus Sicht der Veranstalter steht eine gewaltige Umwälzung bevor – auch dank ihres eigenen Engagements. „Berliner Start-up bringt US-Uni-Revolution nach Europa“, ließ iversity vollmundig wissen. Es gehe darum, auch hierzulande die „Demokratisierung von Bildung“ zu fördern. Und der Stifterverband sieht die Resonanz auf den Wettbewerb als Zeichen, „dass die Digitalisierung der Hochschulbildung auch in Deutschland vor dem Durchbruch steht“, wie der stellvertretende Generalsekretär Volker Meyer-Guckel mitteilte. Eher zurückhaltend äußern sich Vertreter der deutschen Hochschulen, die an dem Wettbewerb teilnehmen – insbesondere jene, die schon Erfahrung mit Moocs haben. „Das Thema wird derzeit sehr gehypt. Die Unis wollen sich innovativ geben“, sagt Claudia Bremer, Geschäftsführerin von studiumdigitale, der E-Learning-Plattform der Uni Frankfurt. Sie organisierte 2011 den ersten deutschen Mooc. Bremer zufolge haben hierzulande erst etwa sechs Hochschulen Moocs angeboten. „Gemessen an der Zahl der klassischen Seminare und Vorlesungen ist der Anteil von Moocs noch extrem klein.“ Das Problem seien die zusätzlichen Kosten, sagt Bremer: „Die Hochschulen brauchen für Moocs ein Geschäftsmodell. Und daran hapert es noch.“

Wie aufwendig ein Mooc sein kann, zeigt sich am Beispiel von Frank Hoffmann. Das Bewerbungsvideo sei noch relativ einfach und zügig zu produzieren gewesen, erzählt der Chemiker. Eine Spiegelreflexkamera hatte er schon, ein Mikrofon auch, hinzu kam eine Videoschnittsoftware für etwa 100 Euro. Der Dreh mithilfe seines Kollegen Michael Sartor habe sich über zweieinhalb Tage erstreckt; für den Schnitt des drei Minuten langen Videos hätten sie acht Stunden gebraucht. Das sei auch technischen Herausforderungen geschuldet gewesen, sagt Hoffmann; „künftig sollte es dank einer besseren Ausstattung deutlich schneller gehen“.

Dennoch: Ein ganzer Kurs, etwa ein Einführungsseminar in Form eines Moocs, würde aus 14 Teilen à 30 Minuten bestehen – und für jeden Teil wären etwa fünf bis zehn Stunden Produktionszeit nötig, also insgesamt mindestens 70 Stunden. Mit 25.000 Euro, wie sie jetzt bei dem Wettbewerb zu gewinnen sind, wäre das zwar locker machbar, sagt Frank Hoffmann. Ohne eine solche Förderung allerdings sei der Kurs zumindest in diesem Umfang nicht zu produzieren.

Dabei könnten Moocs helfen, die Hochschullehre effizienter zu gestalten, glaubt Hoffmann. Sein Vorschlag: Würde man Veranstaltungen, die jedes Semester den gleichen relativ einfachen Stoff vermitteln, etwa Einführungsseminare, als Mooc produzieren, hätte dies gleich mehrere Vorteile: Die Studenten könnten sich ihre Zeit freier einteilen und die Videos beliebig oft anschauen; und die Dozenten, die sonst im Hörsaal stehen, könnten die gesparte Zeit in eine intensivere Betreuung stecken. Dieter Lenzen, Präsident der Uni Hamburg, scheint nur bedingt überzeugt: Ja, „allenfalls für hochstandardisierte Lehrinhalte“ könnten Moocs „in Betracht kommen“ – für mehr wohl nicht. Ob derartige Moocs finanziert werden könnten, habe die Hochschulleitung noch nicht entschieden.

Angenommen, Hochschulen würden künftig zumindest Einführung-Moocs anbieten – eine „digitale Revolution“ wäre das noch nicht. Möglich wäre eine solche Umwälzung zwar, glaubt Claudia Bremer von der Universität Frankfurt. Dafür müssten Entscheider an den Hochschulen aber über ihren Tellerrand hinausblicken. Zunächst erscheine es als Minusgeschäft, wenn eine Hochschule auch Studenten anderer Universitäten und Interessierten ohne Abitur kostenlose Moocs anbiete. Allerdings biete dies die Chance, die Hochschule bekannter zu machen, im Weiterbildungsbereich aktiver zu werden und so „langfristig neue Einnahmequellen zu erschließen“. Die Moocs selbst könnten kostenlos bleiben; für die Betreuung oder für ein Zertifikat könnten die Hochschulen aber Geld verlangen, schlägt Bremer vor. Die Universität Frankfurt wolle dies bald testen.

In den USA erproben private Online-Akademien wie Udacity und Coursera solche Modelle bereits – zum Erfolg halten sich die Unternehmen allerdings noch bedeckt. Bislang werden sie von Investoren finanziert. An den Elite-Unis Stanford, Harvard und MIT, die Moocs überhaupt erst populär gemacht haben und damit teilweise mehr als 100.000 Menschen erreichen, sind die Online-Kurse weiterhin kostenlos.

Frank Hoffmann möchte zwar auch möglichst viele Menschen begeistern. Eine mögliche Betreuung bei Moocs müsse sich aber auf jene Teilnehmer beschränken, die eine Hochschulzugangsberechtigung hätten, sagt Hoffmann. „Ein Dozent kann sich nicht um Zehntausende Teilnehmer kümmern.“

Auch wenn er und seine Kollegen am 10. Juni nicht zu den Gewinnern zählen sollten, wolle er weiterhin versuchen, einen Mooc zu produzieren, sagt Hoffmann. „Es wäre schade, nicht einmal zu testen, ob sich die Hoffnungen erfüllen können, die mit Moocs verbunden sind.“

Das Video der Hamburger Chemiker: www.abendblatt.de/mooc