Resistenzen nehmen zu. Neue Strategien in der Antibiotikaforschung fordern die Hamburger Akademie der Wissenschaften und die Leopoldina.

Hamburg. "Es droht uns, dass wir wieder in die Zeit vor der Antibiotika-Ära zurückfallen", sagte Prof. Ansgar Lohse, Direktor der I. Medizinischen Klinik am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf, am Montag in Hamburg. Anlass war die Vorstellung der Stellungnahme "Antibiotikaforschung: Probleme und Perspektiven" von der Hamburger Akademie der Wissenschaften und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, in dem die Mediziner ein Bündel von Maßnahmen im Kampf gegen resistente Bakterien fordern. Denn immer mehr Krankheitserreger werden gegen Antibiotika unempfindlich. Die Weltgesundheitsorganisation hat das weltweite Auftreten von diesen Antibiotika-Resistenzen zu den größten Gefahren für die menschliche Gesundheit erklärt. Nach Schätzungen sterben allein in der Europäischen Union jährlich 25.000 Menschen an den Folgen einer Infektion durch resistente Bakterien.

"Das Problem ist aber nicht allein dadurch zu lösen, dass wir weniger Antibiotika geben", sagte Lohse, der im Auftrag der Hamburger Akademie die Arbeitsgruppe zu dieser Stellungnahme geleitet hat. Resistenzen seien ein uraltes Problem, das es schon immer gegeben habe. Deswegen sei es notwendig, immer neue Antibiotika zu entwickeln. Doch die Zahl der Antibiotika, die in den vergangenen Jahren auf den Markt gebracht wurden, ist laut Lohse deutlich geringer als vor 30 Jahren.

"Immer dann, wenn neue Resistenzen auftraten, konnte man sich auf die Pipeline aus der Industrie verlassen, die ein neues Medikament zur Verfügung stellt. Das ist heute nicht mehr so", ergänzte Prof. Werner Solbach vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck. Alle neuen Entwicklungen sind danach meist Nischenprodukte, die nur für eine kleine Zahl von Patienten infrage kommen. "Wir sind in der Situation, dass wir eine zunehmende Resistenz haben", sagte Solbach. Als Beispiel nannte er nicht nur den Krankenhauskeim MRSA.

Das größte Problem sind mittlerweile die sogenannten gram-negativen Bakterien, die in Gemeinschaften zusammenleben und die Fähigkeit besitzen, Resistenzgene untereinander auszutauschen. Ein Beispiel ist der Darmkeim Escherichia coli. "Jeder fünfte dieser Keime ist mittlerweile resistent", sagte Solbach. Auch bei einem anderen Problemkeim, dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa, haben die Resistenzen in den vergangenen fünf Jahren dramatisch zugenommen.

Laut Solbach werden völlig neue Medikamente gebraucht. Zwar sind mittlerweile Hunderte von Antibiotika auf dem Markt. "Aber sie haben insgesamt nur fünf Angriffspunkte. Wir müssen neue Ziele finden, an denen wir angreifen können", sagte Solbach und nannte als ganz neuen Zugangsweg Substanzen, die alle gram-negativen Bakterien daran hindern, ein bestimmtes Merkmal in ihrer Zellwand herzustellen.

Zur Situation in der Tiermedizin sagte Prof. Stefan Schwarz vom Institut für Nutztiergenetik am Friedrich-Loeffler-Institut Neustadt-Mariensee, dass der Einsatz von Antibiotika nicht wahllos erfolge, sondern sich an Leitlinien orientiere, über die jeder Tierarzt in Deutschland informiert sei. Es gebe auch ein Resistenzmonitoring vom Bundesamt für Verbraucherschutz. "Die Situation zeigt, dass bei Lebensmittel liefernden Tieren die Situation günstig ist", sagte Schwarz. Bei Hunden und Katzen hingegen sind schon Bakterienstämme bekannt, die gegen alle Antibiotika resistent sind.

Durch das neue Arzneimittelgesetz in Deutschland werde es möglich, den Einsatz von Antibiotika in der Tiermedizin zu erfassen. "Das ist eine wichtige Maßnahme, um den Einsatz von Antibiotika in der Veterinärmedizin zu reduzieren", sagte Schwarz.

Um der Resistenzentwicklung entgegenzutreten und die Produktion von neuen Antibiotika zu fördern, haben die beiden Akademien in ihrem gemeinsamem Bericht acht Empfehlungen für Lösungsansätze in Forschung, Politik und Gesellschaft ausgesprochen: die Stärkung der Grundlagenforschung in den Bereichen Resistenzbildung und Entwicklung neuer Antibiotika, die Verbesserung von strukturellen Voraussetzungen für Innovationen, zum Beispiel durch internationale Koordination von Maßnahmen zwischen Regierungen und Industrie, Erleichterungen für die klinische Forschung, Weiterentwicklung von regulatorischen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel beschleunigte Zulassungsverfahren von neu entwickelten Antibiotika gegen kritische Erreger, Einschränkung des Einsatzes von Antibiotika in der Tiermedizin und im Pflanzenschutz, Überwachung von Resistenzentwicklungen, Stärkung der sozioökonomischen Forschung und die Einrichtung eines runden Tisches zu Antibiotika-Resistenzen und neuen Antibiotika, an dem Wissenschaft, Politik, Behörden und Industrie beteiligt sind.

"Wir haben versucht, die Grundlagen- und die klinische Forschung in den Mittelpunkt zu stellen", sagte Prof. Jörg Hacker, Präsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina und ebenfalls Leiter einer Arbeitsgruppe, die den Bericht für die Leopoldina erarbeitet hat. Nach seinen Worten ist es auch wichtig, die Wirkung von Antibiotika im Menschen zu analysieren und den Antibiotikaverbrauch zu untersuchen.