Der Chemiker Christian Klinke erforscht neuartige Nanostrukturen, die Silizium als Halbleiter in elektronischen Bauteilen ersetzen könnten.

Hamburg. Wie ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk kam Christian Klinke die Nachricht vor, die ihn Ende Oktober erreichte: 1,5 Millionen Euro wird er in den nächsten fünf Jahren vom Europäischen Forschungsrat erhalten. Mit dem ERC Starting Grant fördert die Institution herausragende Nachwuchswissenschaftler. Klinke, Juniorprofessor für physikalische Chemie an der Universität Hamburg, hatte für das Geld in Brüssel "vortanzen" müssen, wie er sagt. Seine Darbietung gefiel der 20-köpfigen Auswahlkommission offensichtlich, obwohl sie nur Laborergebnisse präsentiert bekam. Die allerdings sind vielversprechend.

Der 41 Jahre alte Forscher will Computerchips und Solarzellen billiger machen - zwei Bauteile für unterschiedliche Anwendungen, die eine Gemeinsamkeit haben: Sie bestehen bisher überwiegend aus Silizium. An dem Rohstoff dafür - Quarzsand - herrscht zwar kein Mangel, doch es ist viel Energie nötig, um daraus Silizium herzustellen. In Hochöfen wird bei über 1000 Grad aus dem Quarzsand Rohsilizium gewonnen; anschließend wird daraus in einem mehrstufigen Prozess hochreines Silizium hergestellt. Dieses Material fungiert als Halbleiter, durch den sich Elektronen bewegen können.

In Computerchips geschieht dies, wenn Elektronen unter dem Einfluss einer elektrischen Spannung dazu gebracht werden, Transistoren - winzige Schalter - elektrisch zu laden oder zu entladen. Eine Einstellung steht für Null, die andere für Eins, die beiden Zeichen des digitalen Alphabets. In Solarzellen werden die Elektronen des Siliziums durch den Einfall von Licht auf ein höheres Energieniveau "gepumpt". Anschließend werden die Teilchen in eine bestimmte Richtung gelenkt, sodass sie zu einem elektrischen Strom werden.

Alles prima eigentlich - wenn die Bauteile nicht so teuer wären. Was das bedeutet, zeigt sich etwa bei den erneuerbaren Energien: Solarzellen steuerten 2011 hierzulande erst drei Prozent zur Energieerzeugung bei. Dass die Preise sinken, wäre auch bei Computerchips zu begrüßen. Erreichen ließe sich dies, wenn man auf Silizium verzichtete und stattdessen einen anderen Halbleiter einsetzte, der sich mit weniger Energie herstellen und verarbeiten ließe.

Aus Berechnungen wissen Forscher wie Klinke, dass etliche Stoffe prinzipiell die Energie der Sonne mindestens genauso gut umwandeln und elektrischen Strom genauso gut leiten können wie Silizium, wenn sie in Form winziger Partikel vorliegen. "Im Nanoformat haben viele Stoffe andere physikalische Eigenschaften als im makroskopischen Bereich", sagt Klinke. "Das wollen wir nutzen." Dabei arbeitet er mit Forschern der Hamburger CAN GmbH (einer Ausgründung der Universität) zusammen, die am Aufbau neuartiger Solarzellen tüfteln.

Klinkes Forschungsgegenstände, Nanopartikel aus Bleisulfid, messen nur wenige millionstel Millimeter. Die Teilchen entstehen, wenn in einem Lösungsmittel bei 70 bis 90 Grad relativ große Bleikristalle und schwefelhaltige Moleküle miteinander reagieren. Die so erzeugten winzigen Kristalle würden sich normalerweise zusammenballen und größere Kristalle bilden, doch organische Moleküle (etwa Ölsäure) in der Lösung verhindern dies.

Die in der Lösung schwimmenden Nanoteilchen lassen sich nun bei Umgebungstemperatur auf einen Träger aufbringen. Das Lösungsmittel verdampft, übrig bleiben eingetrocknete Nanokristalle aus Bleisulfit, die prinzipiell genauso gut funktionieren wie Siliziumkristalle, nur dass Erstere eben einfacher und billiger hergestellt und verarbeitet wurden.

Die erzeugte Schicht besteht aus extrem vielen einzelnen Nanokristallen. Werden nun in den Kristallen durch Licht Elektronen angeregt, lässt sich deren Energie nutzen, wenn die Teilchen zu einer Elektrode wandern können. Bisher gibt es allerdings ein Problem: "Bildlich gesprochen müssen die Elektronen von Nanokristall zu Nanokristall hüpfen. Dabei verlieren sie Energie", erläutert Klinke. "Das lässt sich vergleichen mit einem Hürdenläufer, der erschöpft ins Ziel kommt."

Vor einigen Jahren machte der Chemiker eine erstaunliche Entdeckung, die er 2010 mit anderen Forschern im Fachjournal "Science" präsentierte: Wenn in die Lösung zusätzlich chlorhaltige Moleküle eingebracht werden, docken diese an einigen Stellen an die Nanokristalle an und verdrängen dort die Ölsäure, die ja eine Zusammenballung verhindern soll. Die Folge ist, dass sich die Kristalle zusammenballen, allerdings nicht in der Höhe, sondern in der Breite - es entsteht ein einziger ultraflacher Kristall, der nur acht bis zehn Atome hoch ist (etwa drei Nanometer, also drei millionstel Millimeter hoch), aber zwei tausendstel Millimeter (Mikrometer) breit. In diesem Gebilde haben Elektronen nach oben und unten so wenig Platz, dass sie sich nur in der Fläche - also zweidimensional - bewegen können. Dabei müssen sie nun nicht mehr von Kristall zu Kristall hüpfen, da es sich um ein zusammenhängendes Material handelt. "Das ist so, als hätte man die Hürden weggeräumt", sagt Christian Klinke.

So weit, so gut - nur: Wie die zusätzlich eingebrachten Moleküle das Wachstum der Nanokristalle beeinflussen, wie genau also die neuartige Struktur entsteht, hat Klinke bisher nicht verstanden. Das aber wäre die Voraussetzung, um breitere Stücke des ultraflachen Kristalls zu produzieren. Denn aus Abschnitten, die nur zwei Mikrometer breit sind, lassen sich schwerlich ein Meter breite Solarmodule herstellen, zumal dann auch wieder Lücken zwischen den Kristallen entstünden, neue Hürden, die zu überwinden wären. Hätten sie das Wachstum erst einmal durchblickt, sollte sich auch die Höhe des Kristalls variieren lassen, wodurch sich seine Eigenschaften so "einstellen" ließen, wie es für Solarzellen und Transistoren ideal wäre, sagt Klinke.

Das Fördergeld aus Brüssel ist dem Hamburger Forscher deshalb hochwillkommen. In den nächsten Monaten will er sein Team von vier auf acht Mitarbeiter aufstocken. Nach der Bescherung geht nun die Arbeit weiter.