An der Fischwelt von geologisch jungen Kraterseen beobachten Wissenschaftler, wie sich Arten entwickeln.

Als Charles Darwin vor 150 Jahren seine Evolutionstheorie vorstellte, galten Hunderttausende oder Millionen von Jahren noch als Maßstab beim Entstehen von Arten. Moderne Evolutionsforscher wie Axel Meyer von der Universität Konstanz kennen Fälle, in denen in nur 100 Jahren eine Art entsteht, und können der Evolution daher beinahe "über die Schulter schauen".

Ähnlich wie Charles Darwin fängt Axel Meyer aber mit der Evolutionsbiologie während seiner Doktorarbeit in den USA eher zufällig an. Um die Anpassungsfähigkeit der Buntbarsche unter die Lupe zu nehmen, gibt er ihnen unterschiedliches Futter. Die Fische ändern nicht nur ihr Verhalten, sondern passen auch die Form von Zähnen und Kiefern an die jeweilige Nahrung an. Das ist ungewöhnlich, legen doch normalerweise die Gene den Körperbau ziemlich unwiderruflich fest. Wenn Buntbarsche aber im Laufe des Lebens ihren Körperbau an die Umwelt anpassen, könnte es sein, dass es viel weniger als die von Biologen gezählten 2500 bis 3000 Buntbarsch-Arten gibt.

Ein Blick ins Erbgut der Buntbarsche kann also helfen, ihre Vielfalt zu erklären. Als Postdoc nimmt Axel Meyer daher in der Gruppe von Allan Wilson an der University of California in Berkeley die Erbsubstanz DNA genauer unter die Lupe. Das entpuppt sich zunächst als reichlich frustrierend. Findet doch der junge Evolutionsbiologe in hundert Buntbarsch-Arten weniger genetische Unterschiede als eine Kollegin in der DNA verschiedener Menschen, die nur eine Art bilden. Sollte also die bunte Vielfalt der Buntbarsche zu einer einzigen Art gehören? Allan Wilson hat die zündende Idee: Unterschiede im Erbgut häufen sich im Laufe sehr langer Zeiträume an. Je größer die Unterschiede zwischen zwei Arten sind, umso länger gehen sie getrennte Wege, lautet eine grobe Faustregel der Evolutionsbiologie. Daher könnte die geringe Zahl der Unterschiede auch bedeuten, dass viele Buntbarsch-Arten erst in jüngerer Zeit entstanden sind. Axel Meyer studiert die Fische im Victoria-See in Afrika. Dieses Gewässer ist mit einem Alter von rund einer halben Million Jahren relativ jung. In dieser Zeit haben sich dort aber 500 Buntbarsch-Arten entwickelt. "Das ist eine Evolution im Zeitraffer und ein absoluter Weltrekord in der Geschwindigkeit der Artbildung." Allerdings spielt die Zeit allein nicht die entscheidende Rolle für die Evolution der Buntbarsch-Arten. Mit dem Tanganjika- und dem Malawi-See gibt es in Ostafrika zwei weitere Gewässer, in denen Hunderte von Buntbarsch-Arten leben. Mit gut zehn Millionen Jahren ist der Tanganjika-See zwar der Methusalem dieser Gewässer, trotzdem ist die Buntbarsch-Vielfalt dort mit 250 bis 300 Arten zwar spektakulär, aber auch die geringste in den drei Seen. Das Alter des Malawi-Sees liegt mit zwei bis vier Millionen Jahren genau zwischen den beiden anderen Gewässern. Mit bis zu 1000 Buntbarsch-Arten aber ist dort die Artenvielfalt am größten.

Um die grundlegenden Mechanismen aufzudecken, studierte Axel Meyer einen Kratersee in der Vulkanregion Nicaraguas, der 8000 Jahre alt ist und in dem mehrere Buntbarsch-Arten leben. Zwei von ihnen unterscheiden sich äußerlich sehr auffällig. Ein Teil dieser Fische hat goldglänzende Schuppen, während die meisten Exemplare schwarz-weiß gestreift sind. Wie alle Buntbarsche haben auch die Kraterfische einen ausgeprägten Sinn fürs Familienleben: Zumindest für eine Saison bleiben Weibchen und Männchen in festen Paaren zusammen und laichen in einer geschützten Höhle. Eine solche Familie aber gründen fast immer nur zwei Fische der gleichen Schuppenfarbe, Mischehen finden die Forscher so gut wie nie.

Axel Meyer und seine Mitarbeiter untersuchten das Erbgut dieser Buntbarsche. "Danach handelt es sich um zwei Arten", erklärt der Evolutionsbiologe, der diese Ergebnisse bald veröffentlichen will. Die Vorliebe der Buntbarsche für Partner mit der gleichen Schuppenfarbe hat binnen 8000 Jahren aus einer Art zwei entstehen lassen. Von einer solchen "Evolution im Zeitraffer" hätte Charles Darwin wohl nicht einmal zu träumen gewagt.