Die Infektionskrankheit galt schon fast als besiegt. Doch in vielen Weltregionen ist nun eine resistente Variante wieder auf Vormarsch.

Hamburg. Tuberkulose gehört zu den fünf großen Seuchen. Ein Drittel der Weltbevölkerung ist infiziert, jährlich erkranken mehr als zehn Millionen Menschen an dieser bakteriellen Infektion. 1,6 Millionen starben daran allein 2007, meldet die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Auch in Deutschland ist die Infektionskrankheit nicht besiegt. Vielmehr wird sie immer gefährlicher. Denn Tuberkulose, die Optimisten schon für ausgerottet hielten, ist mit einer neuen Variante auf dem Vormarsch. Das liegt vor allem daran, dass immer mehr Keime gegen herkömmliche Antibiotika resistent werden - damit eröffnet sich ein neues Gefahrenpotenzial, auch für Deutschland.

Diese Gefahr zu bekämpfen ist das Ziel von Professor Stefan Ehlers, dem Träger des ersten Hamburger Wissenschaftspreises. Die mit 100 000 Euro dotierte Auszeichnung erhält der Biomediziner morgen in einer Festveranstaltung im Hamburger Rathaus. Schirmherr ist Bürgermeister Ole von Beust.

Fast wäre er Jurist geworden, erzählt Ehlers dem Abendblatt, doch der Zivildienst brachte ihn auf die Idee, Krankenpflege zu lernen und Medizin zu studieren. "Nach dem Abschluss des Studiums war ich relativ desillusioniert über die Möglichkeiten, die Mediziner hatten, schwer kranken Menschen wirklich zu helfen. Wir wussten viel zu wenig über die Ursachen chronischer Erkrankungen. Deshalb ging ich in die Forschung." Heute leitet der Wissenschaftler, der Englisch, Französisch und Spanisch spricht, den Bereich Mikrobielle Entzündungsforschung am Forschungszentrum Borstel und hat einen Lehrstuhl für Molekulare Entzündungsmedizin an der Universität Kiel.

Mit seiner Arbeitsgruppe am Forschungszentrum versucht er an Mausmodellen, die Krankheitsentwicklung bei der Tuberkulose besser zu verstehen, um neue Behandlungsstrategien zu entwickeln. "Uns interessiert besonders die 'neue' Tuberkulose, die von bestimmten Varianten, den sogenannten Beijing-Genotyp-Stämmen, und von resistenten Keimen hervorgerufen wird", sagt Professor Ehlers. "Wir sind auf der Suche nach neuen Zielstrukturen für Antibiotika oder anderen Wirkstoffen, um die TB einzudämmen."

Den Weg ebnet er im Hochsicherheitstrakt seiner Mausklinik. Dort leben Mäuse, "die den natürlichen Infektionsverlauf und den natürlichen Krankheitsverlauf wie beim Menschen zeigen". Das gelang mit bisherigen Mausmodellen nicht so gut, weil bei den Nagern die Krankheit oft anders als bei Menschen verläuft.

Insbesondere die Schäden am Lungengewebe, die bei 80 Prozent der Erkrankten in Deutschland auftreten, bekommen die "normalen" Mäuse nicht. Doch mit seinen Gentech-Mäusen, die "Löcher in der Lunge" ähnlich wie kranke Menschen entwickeln, kann Ehlers jetzt testen, welche Mittel wie im erkrankten Gewebe wirken. "Wir wollen mit modernen bildgebenden Verfahren die Wirkung von Therapeutika in den Tieren studieren. Dann müssen wir die Tiere nicht mal narkotisieren oder gar töten."

Der Trick: Mit dem Forschungszentrum Borstel kooperierende Wissenschaftler heften den TB-Erregern Leuchtmoleküle an. Ihre Ausbreitung im Lungengewebe - und das Eindämmen durch neue Antibiotika - kann das Team von Ehlers mit einer Fluoreszenz-Kamera verfolgen. "Diese experimentellen Studien mit neuen Therapien können wir an Menschen natürlich nicht durchführen, uns bleibt nur der Weg über Tierversuche, die wir aber stets nur nach langem Nachdenken und gründlichem Abwägen machen", betont er.

Mit den 100 000 Euro Preisgeld, das die Hamburgische Stiftung für Wissenschaften, Entwicklung und Kultur Helmut und Hannelore Greve stiftet, will Ehlers die Forschung vorantreiben. Dabei soll ihm seine ägyptische Postdoktorandin Sahar Aly helfen, die ihre Erkenntnisse später in ihrer Heimat anwenden möchte. Dort ist die Krankheit seit mindestens fünf Jahrtausenden verbreitet, wie die Untersuchung an Mumien zeigte.

Die ältesten Spuren der Infektion entdeckten US-Forscher vor knapp zwei Jahren an der Innenseite eines Schädels von einem Homo erectus, der im Westen der Türkei gelebt hat. Demnach litten bereits die Frühmenschen vor 500 000 Jahren an Tuberkulose.

Erst 1882 entdeckte der deutsche Mediziner Robert Koch den Erreger unter dem Mikroskop. Die "mörderische Krankheit" wütete damals in Europa schlimmer als Pest und Cholera. "Davon sind wir weit entfernt", sagt Ehlers. "Aber wenn wir jetzt nicht anfangen, mit Nachdruck die 'neue' Tuberkulose zu erforschen und nachhaltig mit neuen Medikamenten zu bekämpfen, werden wir in wenigen Jahren eine böse Überraschung erleben. Denn die 'neue' Tuberkulose ist die größte Herausforderung der Infektiologie im kommenden Jahrzehnt."