Tod und Trauer werden aus unserem Alltag oft verbannt. Die Diplom-Psychologin Annette-Susanne Hecker erklärt, wie wichtig bewusste Trauerarbeit...

Tod und Trauer werden aus unserem Alltag oft verbannt. Die Diplom-Psychologin Annette-Susanne Hecker erklärt, wie wichtig bewusste Trauerarbeit ist.


Abendblatt:

Müssen wir wieder lernen, mit Sterben und Tod umzugehen?

Annette-Susanne Hecker:

Heutzutage ist Trauer ein Tabu, denn sie passt nicht in unsere Erfolgsgesellschaft. Trauer ist keine Krankheit. Untersuchungen haben jedoch ergeben, dass durch nicht gelebte Trauer Depressionen entstehen können. Es geht darum, Trauer nicht zu verdrängen, sondern in all ihrer Grässlichkeit zuzulassen, jedoch in dem tiefen Vertrauen, dass es Wege durch dieses Tal hindurch gibt.



Abendblatt:

Wie unterstützen Sie Trauernde?

Hecker:

Trauer ist immer individuell, und es gibt in der Trauer kein richtig oder falsch. Was dem einen Menschen guttut, ist für den anderen nicht denkbar. Es geht darum, den individuellen Weg der Trauer herauszufinden. Ich gebe im Gespräch der Trauer Raum, höre zu, halte die Trauer mit aus, frage und unterstütze. Ich gebe keine Ratschläge, setze aber in manchen Momenten Impulse.



Abendblatt:

Was sind das für Momente?

Hecker:

Wenn jemand in einer absoluten Negativspirale steckt, frage ich: Was glauben Sie, wie lange wird es Ihnen noch so schlecht gehen, und woran werden Sie merken, dass es besser geht? Ich lasse den Menschen spüren, wo seine Kräfte liegen. Wenn jemand zum Beispiel sagt, er habe früher gern gemalt, bestärke ich ihn darin.



Abendblatt:

Wie würden Sie Ihre Arbeit beschreiben?

Hecker:

Sie ist eine Wegbegleitung, und die Bezeichnung Trauerbegleiter ist schon zutreffend. Es geht darum, weder zu treiben noch anzuführen, sondern an der Seite des Trauernden zu bleiben.



Abendblatt:

Was kann in der Trauer hilfreich sein?

Hecker:

Für manche Trauernde ist es wichtig, einen festen Platz in der Wohnung mit einem Foto des Verstorbenen und einer Kerze zu haben. Vielen hilft das Sprechen über den Verstorbenen, oder sie finden Kraft im Malen oder Schreiben. Es gibt jedoch keine Rezepte. Jeder Trauernde muss sich fragen: Was tut mir in dieser Situation gut?



Abendblatt:

Wie können Traditionen und Rituale helfen?

Hecker:

Sehr wichtig ist, sich Zeit zu nehmen für den Abschied. Die Tradition der Aufbahrung hilft beim Trauern und dabei, durch diesen Prozess hindurchzugehen. Sich von dem Verstorbenen zum Beispiel bei Blumen und Kerzen ohne Hast zu verabschieden ist eine Bereicherung und kann später nicht mehr nachgeholt werden.



Abendblatt:

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Hecker:

Leider findet etwa die Hälfte der Sterbefälle in Deutschland im Krankenhaus statt. Das Sterben sollte an die Orte zurückgeholt werden, wo die Menschen leben. Vieles Schwere an der Trauer beginnt lange vor dem Tod. Später bereitet Ungelebtes und Ungesagtes oft Schmerzen. Deshalb sollte der Mensch in seinem Leben nichts Wesentliches aufschieben.



Abendblatt:

Hadern Sie nie mit dem Tod?

Hecker:

Nicht mehr als - mitunter - mit dem Leben. Die Vergänglichkeit hat auch etwas Tröstliches - auch alles Leiden hat ein Ende - und etwas Ermutigendes: Sie fordert uns auf, end-lich zu leben!