Weltall: 2005 könnte für die US- Raumfahrtbehörde das entscheidende Jahr werden. Die Fronten sind verhärtet. Der neue Chef steht vor einer großen Aufgabe. Soll das Geld in ehrgeizige Mars-Visionen oder ein breites Forschungs-Spektrum gesteckt werden?

Michael Griffin, der neue Direktor der US-Raumfahrtbehörde Nasa, muß auf seinen 100tägigen "Honeymoon", der Leuten in seiner Position normalerweise zugestanden wird, wohl verzichten. Der promovierte Raumfahrttechniker, der noch fünf weitere Universitätsabschlüsse hat, meinte nach seiner Bestätigung durch den US-Kongreß: "An Arbeit wird es mir bestimmt nicht mangeln, und vieles muß schnell entschieden werden." Treffender hätte es der 55jährige, der zuletzt als Professor an der Johns Hopkins University lehrte, jedoch schon über fünf Jahre in unterschiedlichen Positionen bei der Nasa gearbeitet hat, nicht sagen können.

So mußte Griffin am vergangenen Freitag verkünden lassen, daß der mit Spannung in aller Welt erwartete erste Shuttle-Start seit dem Columbia-Desaster im Februar 2003, verschoben werden muß. Ursprünglich sollte das Schwester-Raumschiff "Discovery" zwischen dem 15. Mai und dem 3. Juni abheben. Wegen "Problemen mit Sensoren in den Treibstofftanks und mit der Eisbildung an Treib-stoffrohren" kann der Start der "Discovery" jetzt frühestens zwischen dem 12. und 31. Juli erfolgen. Doch die aktuellen Shuttle-Schwierigkeiten dürften dem neuen Raumfahrt-Chef marginal erscheinen, im Vergleich zum Gesamtproblem Nasa.

Die von US-Präsident George W. Bush bekanntgegebene "Vision for Space Exploration" (Vision für die Erforschung des Weltraums), die nach jahrzehntelanger Pause wieder Menschen auf den Mond und erstmals auch den Mars fliegen soll, bringt viele Wissenschaftler in Rage. Grund: Die enormen Kosten von Bushs Vision würden dringend notwendige Mittel aus der Forschung abziehen und viele wissenschaftliche Nasa-Projekte zum Tode verurteilen. John Logsdon, Weltraumexperte an der George Washington University, sieht die Nasa am Scheideweg. Logsdon: "Ich glaube, 2005 wird das entscheidende Jahr für die Zukunft der Nasa, und der US-Kongreß muß entscheiden, ob die Pläne der Bush-Regierung der richtige Weg für die Nasa sind."

Nicht wenige Kritiker von Bushs Raumfahrts-Vision glauben, daß der US-Präsident sie, ohne lange nachzudenken, sehr emotional nach dem "Columbia"-Unglück am 1. Februar 2003, als alle sieben Besatzungsmitglieder starben, entschieden hat, um den Amerikanern etwas Konkretes zu geben, woran sie glauben können. Bushs Vision setzt sich aus drei Punkten zusammen.

Erstens: Fertigstellung der Internationalen Raumstation (ISS) bis 2010 und anschließend Außerdienststellung aller Shuttle. Bei Griffin stößt die 400 Kilometer über der Erde kreisende Raumstation nicht auf größte Liebe: "Wir haben in den Jahrzehnten seit Apollo schändlich wenig Fortschritt bei der Erforschung des Weltraums über den erdnahen Orbit hinaus gemacht", beklagte er auf einer Fachtagung.

Zweitens: Eine bemannte Mission zur Raumstation mit einem neu zu entwickelnden kostengünstigeren Fluggerät (Crew Exploration Vehicle) bis 2014. Griffin will alles daran setzen, den Shuttle-Ersatz früher zu bekommen um nicht vier Jahre ohne Fluggerät dazustehen: "Ich möchte uns nicht in der Lage sehen, daß wir beim Zugang zum All auf einen Partner angewiesen sind - einen verläßlichen oder unzuverlässigen."

Drittens: Eine bemannte Mondlandung bis 2020 und (so Bush) "mit der Erfahrung und dem Wissen, die auf dem Mond gewonnen werden, werden wir den nächsten Schritt der Weltraumforschung, eine bemannte Mission zum Mars, und darüber hinaus machen". Auch für Griffin ist dieser Schritt untrennbar mit der Zukunft Amerikas verbunden: "Wenn Amerika im 21. Jahrhundert und darüber hinaus eine der herausragenden Nationen bleiben soll, dann müssen wir auch die herausragende raumfahrende Nation sein."

Während die "Abenteurer" bei der Nasa über die verwegenen Pläne ihres Präsidenten jubeln, schlagen die meisten Wissenschaftler der US-Raumfahrtbehörde die Hände überm Kopf zusammen. Sie werfen Bush vor, daß er sich, lange nachdem er das Weiße Haus 2009 verlassen hat, noch ein Denkmal setzen will und dadurch unnütz Geld verpulvert, das dringend für die Forschung gebraucht würde. Zur Zeit fließen 6,7 Milliarden Dollar des 16-Milliarden-Haushaltes der Nasa in das Shuttle-Programm und die Raumstation. Der Rest geht fast ausnahmslos in die Forschung. Der Nationale Forschungsrat der USA warnte unlängst, daß die ehrgeizigen Pläne des Präsidenten "wichtige Forschungsprojekte gefährden". Der Forschungsrat nannte als Beispiel die Lösung des Geheimnisses um die Sonnenwinde und deren Einfluß auf Starkstromleitungen, Satelliten und Astronauten. Auch der Physiker Robert Park von der "American Physical Society" befürchtet, daß "das Budget für die wissenschaftliche Nasa-Forschung buchstäblich austrocknen wird", wenn der Kongreß Bushs Vision sein Placet gibt.

Prognosen des Haushaltsausschusses des US-Kongresses geben Park recht. So müßte die von Bush gewünschte Mondlandung auf 2027 verschoben werden, wenn die laufenden wissenschaftlichen Programme keinen Schaden nehmen sollen. Wenn wirklich 2020, erstmals seit 1972, wieder ein Amerikaner den Mond betreten soll, würde das Einbußen für die Wissenschaftler von "24 bis 46 Prozent pro Jahr" bedeuten.

Die Realisierung von Bushs "Vision for Space Exploration" ist jedoch alles andere als sicher. Selbst viele seiner republikanischen Parteigenossen werden ihm unter Umständen die Gefolgschaft verweigern, wenn es um die Finanzierung geht. Denn die beabsichtigten Kürzungen im aeronautischen Wissenschaftsbereich würde Tausende von Arbeitsplätzen in Staaten wie Ohio, Virginia, Kalifornien und Alabama kosten und Kongreß-Abgeordnete aus diesen Regionen unter Umständen im kommenden Jahr ihre Wiederwahl.

So erklärte der republikanische Senator John McCain: "Es ist wichtig, daß der Kongreß eine offene Debatte über die Raumfahrtpläne des Präsidenten und die Zukunft der Nasa hat, bevor Nasa mit dem Programm nach vorne prescht."

Für Ex-Nasa-Direktor Sean O'Keefe kommt es nicht darauf an, "daß man zehn Pfund in einen Fünf-Pfund-Beutel packt, sondern, daß die richtige Mischung in den Beutel kommt". O'Keefe ist optimistisch, daß das seinem Nachfolger auch gelingen wird: "Michael Griffin ist brillant und hat viel Erfahrung, er wird sicher eine gute Lösung für die Zukunft der Nasa finden."

Die Nasa im Internet :

www.nasa.gov