Auf der Automesse zeigen die Hersteller ein knappes Dutzend Weltneuheiten. Besonders im Rampenlicht stehen Ober- und Luxusklasse.

Moskau. 1,7 Millionen Zulassungen in sechs Monaten und wahrscheinlich 2,8 Millionen zum Ende des Jahres - Russland ist auf dem Weg zum größten Automarkt in Europa und damit der große Seelentröster für die leidgeplagten Manager im Westen: "Hier können wir zumindest teilweise die Einbußen ausgleichen, die wir auf anderen Teilen des Kontinents haben", sagt Opel-Vertriebsvorstand Alfred Rieck und erklärt damit, weshalb seine Firma die Moskau Motorshow in diesen Tagen sogar mit einer Weltneuheit beschickt. Und die Hessen sind nicht alleine: Obwohl schon in vier Wochen der Pariser Salon vor der Tür steht, feiert die Messe im piekfeinen Crocus-Center ein knappes Dutzend Premieren.

Weil 80 Prozent der russischen Wirtschaftskraft in Moskau konzentriert sind, in der Hauptstadt der Geldadel sitzt und der gemeine Oligarch gerne zeigt, was er hat, steht die Oberklasse besonders im Rampenlicht: Es sind deshalb vor allem protzige Limousinen, potente Geländewagen und trotz eines Tempolimits von 110 km/h jede Menge Supersportwagen, die bis zum 9. September immerhin rund 1,2 Millionen Besucher in ihren Bann ziehen sollen.

Mercedes feiert aus diesem Grund in Moskau und nicht Paris die Weltpremiere des GL 63 AMG. "Russland ist nach Amerika der zweitgrößte Markt für den großen Geländewagen", sagt Vertriebschef Joachim Schmidt - und für das 557 PS starke AMG-Modell könnte er sogar der größte werden, glaubt der Gast aus Stuttgart beim Blick auf die Straßen rund um den Roten Platz. Der Kreml fährt seit Jahren Mercedes, der G 55 gehört zum Straßenbild wie bei uns der Golf GTI, und jede zweite oder dritte M-Klasse hat ein AMG-Logo auf dem Heckdeckel. Ganz so weit geht Audi mit der Premiere des R8 nicht. "Bei diesen Straßen ist Russland nicht gerade prädestiniert für Supersportwagen", räumt ein Audi-Manager mit Blick auf die knietiefen Schlaglöcher zwischen Autobahnring und Basilius-Kathedrale ein. "Aber Q7 und A8 laufen hier so gut, dass wir uns mit einer Premiere revanchieren wollten."

Dritter im Bunde der schnellen Luxusliner ist der Bentley Continental GT Speed, der mit 625 PS und 330 km/h zum schnellsten Serienmodell in der Firmengeschichte aufsteigt und bei manch einem Oligarchen schon während der Messe einen spontanen Kaufreiz auslösen dürfte. "Denn Superlative sind hier echte Verkaufsargumente", hat Vladimir Vidulov vom Analyse-Institut Jato Dynamics beobachtet. Die nagelneuen Allradversionen für Jaguar XF und XJ mögen da zwar alltagstauglicher sein, gehen im Messetrubel aber fast unter - zumindest bis der nächste Winter kommt. "Und der dauert bei uns in der Regel sechs bis sieben Monate", warnt Vidulov.

Das kalte Wetter und die schlechten Straßen sind es auch, die Russland zum größten SUV-Markt der Welt machen. "Jedes dritte Auto ist bei uns ein Geländewagen", erläutert Vidulov, "da kommen selbst Amerika oder China nicht ran." Weil das vier Wochen später in Paris genau umgekehrt sein dürfte, haben einige Hersteller ihre SUV-Premieren vorgezogen: Kia zum Beispiel zeigt deshalb schon in Moskau den gelifteten Sorento, und bei Land Rover dreht sich ein neu geschminkter Freelander im Rampenlicht. Dass der jetzt nur noch vier statt sechs Zylinder hat und rund zehn Prozent weniger verbraucht, wird die Russen allerdings kaum interessieren, glaubt Vidulov: "Effizienz und Ökologie sind hier absolut kein Thema." Deshalb stehen auch die Elektroautos, die vor allem die europäischen Hersteller mitgebracht haben, ziemlich verloren auf den Ständen: "Das sind in unseren Augen nur Spielzeuge", spricht Vidulov aus, was auch in Westeuropa viele denken.

Neben den Luxuslinern und den SUV interessieren die Russen sich vor allem für Stufenhecklimousinen: "Ein Land, das vom Lada geprägt wurde, kann nicht aus seiner Haut: Hier brauchen die Autos einfach einen Kofferraum", sagt Vidulov. Das wissen natürlich auch die Importeure und haben deshalb eine Reihe neuer Viertürer nach Russland geschickt. Der wichtigste davon ist sicher der Mazda6, den der Rest der Welt in Paris dann als Kombi sieht. Das neue Flaggschiff der Japaner ist größer und geräumiger geworden, sieht schnittiger aus und soll sportlicher fahren. Aber der Wagen wird auch bis zu 100 Kilo leichter und braucht deshalb im besten Fall rund 20 Prozent weniger Sprit, reden sich die Japaner schon einmal für den Verkaufsstart Anfang 2013 warm.

Mit dem Mazda6 feiert in Russland auch die Stufenheck-Variante des Opel Astra Premiere. Sie wird in St. Petersburg gebaut und soll helfen, den Absatz der Hessen auf 80 000 Autos zu steigern. Trotzdem bleiben ein paar Exemplare für den Export übrig, sodass der 4,66 Meter lange Viertürer im Herbst nach langer Pause auch in Deutschland wieder angeboten wird. Vorerst keine Chance auf ein Visum für den Westen hat dagegen der Nissan Almera, der in Russland für Russland produziert wird und ins gleiche Horn wie der Astra stößt.

Was noch auffällt auf der Messe, ist das Standpersonal. Vor allem bei den heimischen Herstellern und bei Importeuren wie Mitsubishi oder Honda gleichen ausgesprochen leicht bekleidete Damen den mangelnden Reiz der Produkte aus. So lasziv wie in Moskau jedenfalls hat man das schmückende Beiwerk an den Kotflügeln schon lange nicht mehr gesehen. Dabei haben Lada & Co. einiges zu bieten: Immerhin sind die Russen mit großem Abstand Marktführer und sichern sich diese Position auf der Heimatmesse mit einem Update für den Bestseller Kalina. Außerdem zeigen sie eine ziemlich schmucke Cross-over-Studie Namens X-Ray, die dem Seat IBX schräg gegenüber in nichts nachsteht.

Die Autobosse hoffen zwar auf weiteres Wachstum, und alle Indikatoren deuten darauf hin, dass in Russland bald mehr Autos verkauft werden als bei uns in Deutschland. "Bis 2020 werden wir die 3,5-Millionen-Marke knacken", sagt Vidulov. Doch die etwa 15 Millionen Einwohner im Großraum Moskau werden jede weitere Zulassung verfluchen. Denn mindestens in einer Kategorie hat die russische Hauptstadt Auto- und Messemetropolen wie Paris, Frankfurt, Tokio oder Peking und Shanghai sogar schon abgehängt, sagt der russische Mazda-Statthalter Jörg Schreiber: "Beim Stau sind wir Weltmeister."