BRÜSSEL. Im Kampf um die EU-Verfassung droht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein schwerer Konflikt um die künftigen Rechte der nationalen Parlamente. Wie Brüsseler EU-Diplomaten dem "Handelsblatt" (Mittwochausgabe) bestätigten, fordern die Niederlande, Polen und Tschechien die Einführung einer Roten Karte für die Volksvertretungen der 27 EU-Staaten. Nach den Vorstellungen in Den Haag, Warschau und Prag soll jeder Gesetzgebungsvorschlag der EU-Kommission automatisch gescheitert sein, wenn ein Drittel der nationalen Parlamente dagegen protestiert.

Damit wollen die drei Mitgliedsstaaten das Subsidiaritätsprinzip in der EU stärken. Es besagt, dass die Gemeinschaft lediglich solche Aufgaben übernehmen soll, die nicht ebenso gut auf nationaler Ebene geregelt werden können. Die Niederländer hatten 2005 wie die Franzosen in einem Volksentscheid die EU-Verfassung abgelehnt und das Projekt damit auf Eis gelegt. Die derzeitigen Regierungen in Polen und Tschechien gelten als besonders EU-skeptisch.

Gemäß dem bisherigen Verfassungstext können die nationalen Parlamente der EU-Kommission lediglich die Gelbe Karte zeigen. Ist ein Drittel der Volksvertretungen der Ansicht, die Kommission überschreite mit einem EU-Vorschlag ihre Kompetenzen, muss die Brüsseler Behörde begründen, warum sie das jeweilige Projekt für notwendig hält. Stoppen können die Parlamente den Gesetzgebungsgang laut dem bisherigen Vertragsentwurf nicht.

Merkel versucht als amtierende Vorsitzende der EU-Ratspräsidentschaft, den Streit um die EU-Verfassung zu beenden. Bis Anfang Juni wertet die Bundesregierung die Positionen und Wünsche aller Mitgliedsländer aus. Dann sollen Ende Juni auf einem EU-Gipfel in Brüssel unter deutscher Regie Eckpunkte für ein geändertes Vertragsdokument sowie ein Fahrplan für dessen Ratifizierung festgelegt werden. Wenn es nach der Bundeskanzlerin geht, tritt der neue Vertrag 2009 zur nächsten Wahl des Europaparlaments in Kraft.

Die "Welt" berichtete unterdessen unter Berufung auf unmittelbar an den Verhandlungen zur Wiederbelebung des EU-Verfassungsprozesses beteiligte Kreise, dass der neue Verfassungsvertrag deutlich kürzer sein werde. Neben Streichungen werden demnach aber auch wichtige Ergänzungen mit neuen Inhalten vorgenommen. Mit diesen Änderungen sollen vor allem die Bedenken der Regierungen in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien, Polen und Tschechien ausgeräumt werden.

Nach Abschluss der bilateralen Konsultationen zwischen den EU-Regierungsbeauftragten für den Verfassungsprozess am vergangenen Freitag zeichnet sich ab, dass der neue Text zusätzliche Bestimmungen zum Klimaschutz und zu einem solidarischen Verhalten in Energiefragen beinhalten wird.

Als sicher gilt nach Angaben aus Verhandlungskreisen auch, dass die sogenannten Kopenhagener Kriterien in den neuen Vertrag aufgenommen werden: Rechtsstaatlichkeit, funktionierende Marktwirtschaft und Übernahme des EU-Regelwerks für beitrittswillige Staaten.