Hamburg/Istanbul. Offenbar unter dem Eindruck massiver Drohungen hat der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk ("Istanbul") eine Reise nach Deutschland abgesagt. Christina Knecht, Sprecherin vom Carl Hanser Verlag, der Pamuks Bücher verlegt, erklärte, der Autor habe ohne Angabe von Gründen seine Lesereise kurzfristig gestrichen. "Orhan Pamuk möchte aber seinen Deutschland-Besuch nachholen, und zwar so bald wie möglich", sagte Knecht dem Abendblatt. Der Verlag bedauere es sehr, respektiere aber die Entscheidung des Schriftstellers.

Pamuk war wegen seines Engagements zur Aufklärung des Genozids der Armenier im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs immer wieder von türkischen Nationalisten angefeindet worden. Nach dem Mord an dem türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink vor knapp zwei Wochen hatte ein mutmaßlicher Drahtzieher der Tat gedroht: "Orhan Pamuk, seien Sie klug." Wie Dink war der Autor nach Paragraf 301 wegen "Beleidigung des Türkentums" angeklagt worden. Der Prozess gegen Pamuk war aber vor einem Jahr eingestellt worden.

Der Grünen-Europaabgeordnete Cem Özdemir äußerte sich bestürzt über die Absage Pamuks. "Ich bedaure sehr, dass er nicht kommt", sagte Özdemir dem Abendblatt. "Das ist ein Warnruf an die Türkei und die Regierung in Ankara. Sie muss für die Sicherheit von Intellektuellen sorgen."

Laut Özdemir, der nach eigenen Angaben gut mit Pamuk befreundet ist und den Literaturnobelpreisträger in Berlin treffen wollte, sollte die Türkei den umstrittenen Strafrechtsparagrafen 301 abschaffen. "Der Paragraf schafft die Atmosphäre, dass Freigeister und Intellektuelle von Nationalisten bedroht werden", so der Abgeordnete.

Morgen hätte der 54 Jahre alte Schriftsteller in Berlin die Ehrendoktorwürde der Freien Universität erhalten sollen. Außerdem waren Lesungen in Köln, Hamburg, Stuttgart und München geplant gewesen.

Der Leiter des Hamburger Literaturhauses, Rainer Moritz, zeigte sich "todbetrübt" über die Absage Pamuks. "Wir hatten für die Lesung im Schauspielhaus schon 1000 Karten verkauft und hoffen sehr, dass die Veranstaltung doch bald stattfinden kann", sagte Moritz dem Abendblatt. Hanser-Sprecherin Christina Knecht äußerte sich dazu optimistisch. Wenn Pamuk die Reise nachhole, "werden wir selbstverständlich auch in Hamburg sein".

Die Gefahr eines Attentats auf Pamuk in Deutschland halten deutsche Sicherheitskreise indes für gering. Es gebe keine konkreten Hinweise auf eine Bedrohung des Schriftstellers durch in Deutschland lebende, nationalistische und rechtsextremistische Türken. Vielleicht habe es Pamuk in seiner verständlichen Angst vorgezogen, in der vertrauten türkischen Umgebung zu bleiben.