Sardinien: Italiens Ministerpräsident ließ sich auf Sardinien einen riesigen Villen-Komplex bauen - mit Amphitheater und Atombunker für die Regierung. Das treibt die Opposition auf die Barrikaden.

Sardinien. Ein Patrouillenschiff der italienischen Küstenwache Guardia costiera sah es in einer Nacht im März 2004 zuerst: Der wachhabende Offizier glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Was er da an einem Felsen an der sardischen Smaragdküste entdeckt hatte, schien eine Szene aus einem James-Bond-Film zu sein. Dutzende von Arbeitern in orangefarbenen Schutzanzügen bedienten einen gigantischen Bohrer, der rasch einen Tunnel in die Felsen an der Küste fräste.

Das Patrouillenboot näherte sich dem Strand und schaltete die Scheinwerfer an: Jetzt tauchten Kräne auf und das schwarze Loch eines Kanals, der zwischen den Felsen in einem gewaltigen, unterirdischen Tunnel verschwand. Weit am Ende des Kanals war Licht zu sehen. Dort schienen schwere Bagger in einer unterirdischen Höhle mit Zugang zum Meer zu arbeiten.

Das Schiff funkte das Hauptquartier an, die Kommandozentrale in Olbia, zuständig für ganz Sardinien. Dort war man besorgt und informierte die Polizei. Denn was immer da auch geschah, es geschah nur einige Kilometer entfernt von der Villa des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi.

Die unabhängige Bezirksregierung der Insel Sardinien wurde informiert, ebenso der sardische Senator Gianni Nieddu, der sofort das Innenministerium anrief. Er soll ins Telefon geschrien haben: "Was geht da vor?" Bei Tageslicht versuchte ein Boot der Küstenwache den seltsamen Ort erneut zu erreichen, doch ein Schiff der Carabinieri fing es diesmal ab. Begründung: "Hier darf niemand durch. Staatsgeheimnis."

Ende März bestätigte der militärische Geheimdienst SISMI, dass an einem Felsen Sardiniens, in der Nähe der sechs Villen des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, Arbeiten nötig geworden seien, die dem Staatsgeheimnis unterliegen. Die parlamentarische Kontrollkommission, die die Geheimdienste überwacht, ließ nur mitteilen, dass überhaupt keine Einzelheiten über den Bau verraten werden dürfen, weil die nationale Sicherheit davon abhänge. Bekannt wurde dann aber doch, dass in der rätselhaften Höhle ein atombombensicherer Bunker entstünde, in den sich im Falle eines Kriegs die italienische Regierung zurückziehen werde.

Doch gehört er auch der Regierung? Offiziell bezahlte Silvio Berlusconi alles aus eigener Tasche. Die Höhle gehört ihm. Der Grund und Boden an der Costa Smeralda, an der die unerhörten Bauarbeiten stattfinden, gehört ihm. Das Kabinett würde also im Ernstfall in Silvio Berlusconis privatem Bunker Schutz suchen.

Die Opposition ging nach Veröffentlichung dieser Nachricht auf die Barrikaden, zumal es noch ein weiteres kleines Problem gibt: Die komplette Küste untersteht dem Naturschutz, gehört zudem zu den von der UNO geschützten Welt-Naturressorts: Es gilt ein totales Bauverbot. An der Smaragdküste darf man nicht einmal die Steine, die auf den Feldern liegen, abtransportieren. Die Landschaft unterliegt dem kompletten Schutz. Das gilt für alle Grundbesitzer, nur für Silvio Berlusconi offenbar nicht.

Dass Silvio Berlusconis Komplex an der Smaragdküste mit den Vorstellungen gewöhnlicher Sterblicher ohnehin nicht viel zu tun hat, wissen die Italiener, seitdem zwei banale Rechnungen veröffentlicht wurden. Ein Großhändler lieferte in diesem Sommer für Silvio Berlusconis Besitz die Rasenmäher: für 289 000 Euro. Das ist eine Summe, die bei weitem den Betrag überschreitet, den ein Durchschnittsitaliener für die Immobilie seines Lebens ausgibt.

Als die Zahl bekannt wurde, begannen die Italiener zu ahnen, wie riesengroß der Besitz sein muss. Offiziell gibt es über den streng abgeschirmten Grund und Boden des Ministerpräsidenten keine Zahlen. Der Luftraum über der Villa wurde geschlossen. Es ist verboten, die Umgebung der Villa anzufliegen.

Anhand von alten Luftbildern schätzen Fachleute, dass es sich um ein Anwesen von etwa einer Million Quadratmetern handeln muss. Intern bewerten die Immobilienfirmen Berlusconis den Immobilienbesitz mit etwa 131 Millionen Euro. Der wahre Wert liegt aber viel, viel höher, sagte ein Sprecher des Berlusconi-Konzerns Fininvest.

Auch Silvio Berlusconis Wasserrechnung versetzte Italien in Erstaunen. Sie lag im vergangenen Jahr für den Komplex auf Sardinien bei 150 000 Euro. Silvio hatte sich einen See bei seiner Lieblingsvilla, Villa Certosa, geleistet - mit eigenen Enten. Daneben entstand angeblich der größte Kakteen-Garten der Welt mit mehr als 6000 zum Teil sehr seltenen Pflanzen.

Unweit davon ließ Berlusconi zwei Hubschrauberlandeplätze errichten und ein eigenes Amphitheater aus Granit mit 400 Plätzen, nach dem Vorbild des griechischen Theaters von Taormina (Sizilien). Das Theater braucht Silvio, weil er ein Musikfan ist und sich einen privaten Sänger leistet, Mario Apicella, der das Theatre auch einweihen durfte - im Duett mit Silvio Berlusconi.

Mehrfach schon hatte Silvio Berlusconi Regierungsmitglieder nach Sardinien gebeten, vor allem im vergangenen Winter, nachdem er sich das Gesicht hatte liften lassen. Nach Rom zu fliegen schien ihm zu aufwendig zu sein. Er wollte sich erst dann wieder in der Öffentlichkeit zeigen, nachdem die Narben gut verheilt waren. So lange galt Villa Certosa als Regierungssitz.

In dieser Zeit meldete das Innenministerium Bedenken an, ob die Villa sicher genug sei, und Silvio Berlusconi beschloss sie in eine Mischung aus Camp David und Versailles umzubauen. Die Wohnfläche fällt gemessen an Versailles, der größten Schlossanlage Europas, mit 14 000 Quadratmetern verteilt auf sechs Gebäude zwar relativ bescheiden aus, dafür verfügt Silvio Berlusconi aber über stattliche sechs Schwimmbäder und einen privaten Wasserfall: Das Wasser wird unter dem Meer mit Riesenpumpen angesaugt und auf einen 25 Meter hohen Felsen gepumpt, von wo es wieder ins Meer stürzt.

Nur Staatsgäste, wie vor zwei Tagen der britische Premier Tony Blair bekommen den Wasserfall zu sehen. Statt nach Rom lädt Silvio Berlusconi vorzugsweise nach Sardinien ein. Der russische Präsident Wladimir Putin kam bereits und genoss die Villa. Er bekam wie Tony Blair das komplette Programm geboten: Nach der Ankunft geht es gleich auf die 102-Meter-Yacht der Berlusconis zum Schwimmen. Am Abend gibt es ein Gala-Diner, bei Tisch gibt es Livemusik, vorzugsweise wird Star-Pop-Tenor Andrea Boccelli eingeflogen. Im Amphitheater singt Silvio Berlusconi schließlich selbst, danach gibt es ein abschließendes Feuerwerk.

Dem spanischen Ex-Premier Jose Maria Aznar gefiel das Programm ebenso wie den Töchtern von Präsident Bush. Die Villa wäre eigentlich in jeder Hinsicht perfekt, wenn Silvio Berlusconi dort nicht sehr einsam wäre. Nicht einmal zu Treffen mit dem Ehepaar Blair kam Berlusconis Ehefrau Veronica Berlusconi-Lario aus Mailand nach Sardinien.

Ihr Buch "Tendenza Veronica" scheint die Ehe mit ihrem Mann Silvio schwer belastet zu haben. Veronica hatte ihren Mann unter anderem als Lügner bezeichnet, weil Silvio gesagt hatte, dass er sich auf Drängen von Veronica Lario liften ließ. Sie schrieb darüber: "Zum Lifting würde ich niemandem raten, den ich liebe."