Kreml-Krach: Eskalation in der Affäre um verhafteten Öl-Milliardär. Aktien beschlagnahmt, mächtiger Stabschef entlassen. Jetzt stößt der russische Präsident auf Widerstand.

Moskau/Berlin. Die Beschlagnahme von Aktien des größten russischen Ölkonzerns Yukos und die Entlassung von Kreml-Stabschef Alexander Woloschin haben den Machtkampf in Russland dramatisch verschärft. Gut einen Monat vor den Parlamentswahlen schaltete sich Regierungchef Michail Kasjanow in die Affäre um den Yukos-Konzern ein und kritisierte das Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Er stellte sich damit gegen Präsident Wladimir Putin, der das Kabinett nach der Inhaftierung von Yukos-Chef Michail Chodorkowski vor einer Einmischung in die Arbeit der Justiz gewarnt hatte. Er sei "zutiefst besorgt" über das Einfrieren der Aktien von Yukos, sagte Kasjanow und sprach von einer neuen Form der Einflussnahme auf die Wirtschaft. Die Generalstaatsanwaltschaft, die am Vortag 44 Prozent der Aktien beschlagnahmt hatte, gab am Freitag einen kleinen Teil der Wertpapiere wieder frei. Die Ermittler waren nach eigenen Angaben zu der Erkenntnis gekommen, dass es sich bei 4,5 Prozent der Papiere um die Anteile von Personen handele, die "nicht in die Straftaten" verwickelt seien. Dem Yukos-Vorstandsvorsitzenden Chodorkowski, der Oppositionsparteien unterstützt hat, werden offiziell Betrug und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Die Moskauer Wertpapierbörse beruhigte sich umgehend. Bis zum Abend machten die Yukos-Papiere mit einem Plus von knapp neun Prozent wieder einen Großteil des 14-prozentigen Verlusts vom Vortag wett. In der Nacht zum Freitag hatte der Kreml ohne nähere Erläuterung verkündet, dass der 1999 vom damaligen Präsidenten Boris Jelzin ernannte Stabschef Michail Woloschin durch einen seiner Stellvertreter, den Putin-Vertrauten Dmitri Medwedjew, ersetzt werde. Woloschin gilt als Förderer der Interessen des vor einer Woche inhaftierten Chodorkowski und hatte bereits vor Tagen seinen Rücktritt angeboten. Beobachter werten die Entlassung als entscheidenden Sieg der Gefolgsleute Putins aus gemeinsamen KGB-Zeiten über die Mitglieder der einstigen "Jelzin-Familie", zu der unter anderem Woloschin, Regierungschef Kasjanow und auch Chodorkowski gezählt werden. In der Bevölkerung sind die Nutznießer der Privatisierungswelle unter Jelzin ohnehin noch immer verhasst. Am Tag nach den politischen Erschütterungen waren Politiker aus dem Umfeld Putins um Beruhigung bemüht. "Der Präsident bestimmt den Kurs, seine Verwaltung kümmert sich nur um die Ausführung", sagte der Vorsitzende des Föderationsrates, Sergej Mironow. Als unbegründet bezeichnete der frühere sowjetische Präsident Michail Gorbatschow die Aufregung um die jüngsten Entscheidungen. Dagegen sprach der Vorsitzende der liberalen SPS-Partei, Boris Nemzow, von einem "Schritt gegen die Interessen von Wirtschaft und Gesellschaft". In Berlin sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg, die Bundesregierung verfolge die Entwicklung "mit großer Aufmerksamkeit".