Wegen der Vorwürfe zieht Berlins Ex-Innensenator Körting sich aus der Kommission zurück. Kanzlerin Merkel fordert Konsequenzen.

Berlin/Hamburg. In der nicht enden wollenden Pannenserie um die Aufklärung der NSU-Morde muss der nächste Verantwortliche um seinen Job fürchten: Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) wird vor den Bundestagsuntersuchungsausschuss zitiert, der in die zähe Aufklärung rund um den "Nationalsozialistischen Untergrund" Licht bringen soll. Denn Henkel und sein Vorgänger Ehrhart Körting sollen Informationen über einen früheren Informanten des Berliner Landeskriminalamts verschwiegen haben.

+++Gab es 2002 Hinweise auf Aufenthaltsort der Terrorzelle?+++

+++Nach Ermittlungspanne: Henkel in der "Begründungspflicht"+++

Körting zog sich gestern aus der Bund-Länder-Kommission zur Aufklärung der NSU-Verbrechen zurück. Er wolle den "Anschein der Befangenheit" vermeiden, hieß es zur Begründung.

Thomas S. hatte offenbar enge Kontakte zu den abgetauchten NSU-Terroristen, die für zehn Morde verantwortlich gemacht werden. Während der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) mehr Kontrolle der Sicherheitsbehörden verlangte, zeigte sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erschüttert: "Die Aufklärung läuft an etlichen Stellen nicht so, wie wir das für richtig halten", sagte sie. "Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden." Die SPD stellte Henkel ein Ultimatum für die Aufklärung. Brisant dabei: SPD und CDU bilden in Berlin unter Bürgermeister Klaus Wowereit eine Große Koalition.

Im Abendblatt forderte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut, umfassende Aufklärung von allen politisch Verantwortlichen: "Ehemalige Innenminister oder -senatoren, wie Berlins Innensenator a. D. Körting, aber auch einstige Mitglieder der parlamentarischen Innenausschüsse sollten ihr etwaiges Wissen offenbaren. Dazu bedarf es nicht unbedingt einer Ladung vor den Untersuchungsausschuss."

Es gehe um "unsägliche Verbrechen", und deshalb müsse jeder zur Aufklärung beitragen. "Dies würde auch den Verdacht entkräften, Deutschland entwickele sich zu einer Vertuschungsrepublik." Der Polizeigewerkschafter sieht wegen der zögerlichen Aufklärung auch die Arbeit der Beamten beeinträchtigt: "Das Vertrauen in die deutschen Sicherheitsbehörden könnte einen kaum zu reparierenden Schaden nehmen. Es verfestigt sich der Eindruck, dass hochbrisante Details über Fehler in den Ermittlungen nur scheibchenweise ans Licht kommen. Der zu befürchtende Bumerangeffekt kann auch bald die Polizistin oder den Polizisten auf der Straße erreichen. Die Polizei hat noch einen hohen Vertrauensvorschuss in der Bevölkerung. Schwindet das Vertrauen, wird es die Polizei zukünftig wesentlich schwerer haben, erfolgreich und schnell zu ermitteln." Witthaut sagte, deshalb müsse der Wille zur Aufklärung bei Politik und Sicherheitsbehörden "spürbar" zunehmen. "Da ist noch Luft nach oben."

Berlins Innensenator Henkel ist vor allem wegen der Rolle von Thomas S. unter Druck. S. hat fast zehn Jahre als Zuträger für das Berliner Landeskriminalamt gearbeitet. Er hatte zuvor engste Kontakte zu dem Trio mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. Mit Zschäpe, der einzigen Überlebenden der rechtsextremen Terrorzelle, soll S. zwischenzeitlich liiert gewesen sein. S. soll den dreien Sprengstoff beschafft haben, bevor sie im Jahr 1998 mit seiner Hilfe untertauchten. Zwei Jahre später warb der Staatsschutz am Berliner LKA S. als V-Mann an.

Im Jahr 2002 soll S. seinem Kontakt im LKA gesagt haben, er kenne eine Person, die Hinweise auf drei "wegen Waffen und Sprengstoff" gesuchte Personen habe. Bis zum Januar 2011 - und damit auch in Körtings Amtszeit - soll S. Informationen geliefert haben. Im November des Jahres wurde die Mordserie des Trios öffentlich, Mundlos und Böhnhardt richteten sich selbst.

Als der Bundestagsuntersuchungsausschuss im März 2012 in den Ländern um Informationen über mögliche Kontakte der Terrorzelle bat, kam aus Berlin nichts. Erst als das Bundeskriminalamt Fotos möglicher NSU-Helfer verschickte, meldete sich ein Berliner Beamter, der S. erkannte.

Am 9. März soll Innensenator Henkel informiert worden sein. Kurz darauf erfuhr Generalbundesanwalt Harald Range davon. Während Range einen ausführlichen Bericht erhielt, bekam der NSU-Untersuchungsausschuss keine Informationen. Das müssen Henkel und Körting nun erklären. Der Grünen-Experte Hans-Christian Ströbele sagte: Wenn die Behörden den Hinweisen und Indizien systematisch nachgegangen wären, "dann wäre möglicherweise dieses Terror-Trio früh gestoppt worden, und dann wären Menschen nicht ermordet worden".