Mit dem Ja zum ESM nähern sich Verfassungsgericht und Bundesregierung wieder an. Hamburger Abgeordnete reagieren gespalten auf das Urteil

Berlin. Auch für Andreas Voßkuhle muss der gestrige Tag zweifellos einmalig gewesen sein. Was der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzende des Zweiten Senats zu verkünden hatte, sagte er in Passagen sogar lächelnd. Nahezu gelöst wirkte Voßkuhle, wissend, dass das einmal Ausgesprochene Politiker in Berlin und Brüssel auch von ihrer Anspannung und Furcht erlösen würde. Mehr noch: Als es so weit war und die Eilanträge gegen die europäischen Rettungsmaßnahmen offiziell abgewiesen waren, lobte der 48-jährige höchste Richter des Landes ausdrücklich die Bundesregierung dafür, dass sie die "Maßnahmen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise auf europäischer Ebene zu verrechtlichen und demokratisch rückanzubinden" versuche. Allerdings müsse beobachtet werden, "wie lange und wie weit dieses Bemühen letztlich trägt".

Derart versöhnliche Töne zwischen Karlsruhe und Berlin hatte es zuletzt selten gegeben. So hatten die Richter die Koalition etwa beim Wahlrecht zurechtgewiesen. Bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war die Freude nunmehr so groß, dass sie im Bundestag vor ihrem Redeauftritt zur Oppositionsbank ging und freudig die erste Reihe der SPD begrüßte. Schließlich hatte sie in diesem Fall gemeinsam mit der Opposition den europäischen Stabilitätsmechanismus ESM und den Fiskalpakt durch den Bundestag geboxt. In den hinteren Reihen des Plenums ging manchen die öffentlich vorgetragene Freude über Karlsruhe zu weit. Es hatte bekanntlich in allen Fraktionen Abweichler gegeben, so auch im Kreis der Hamburger Abgeordneten.

Diese nahmen das Ja zum ESM entsprechend gespalten wahr. CDU-Haushälter Rüdiger Kruse betonte, dass das Urteil den bisherigen Kurs der Bundesregierung bestätige und zugleich die Rechte des Bundestages stärke. "Dass jetzt der Ratifizierungsprozess beim ESM und Fiskalpakt bald abgeschlossen werden kann, ist ein wichtiger und richtiger Schritt in der Bewältigung der Vertrauenskrise in der Euro-Zone."

SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs sagte, dass das Urteil den jetzigen Sachstand bestätigt habe. "Was der Bundestag beschlossen hat, ist rechtsgültig." Doch für die Politik Angela Merkels sei dies kein Sieg. "Merkel hat mit dem ESM Zeit gekauft, aber nie gesagt, wofür. Sie hat keine Lösung. Daher billigt sie das Anwerfen der Gelddruckmaschine der Europäischen Zentralbank."

Im Saal des Bundesverfassungsgerichts hatte sich Grünen-Europapolitiker Manuel Sarrazin das Urteil angehört. Der Harburger stellte zufrieden fest, dass die Kläger mit ihrem Anliegen, den Euro vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall zu bringen, auf ganzer Linie gescheitert seien. "Die Klarstellungen des Gerichts für das Ratifikationsverfahren können meines Erachtens einseitig erfolgen und bestätigen unsere Interpretation des ESM-Vertrags." Der Vorbehalt des Gerichts zu den Informationsrechten des Bundestags entspreche den Grünen-Anträgen im Bundestag, so Sarrazin.

Die FDP-Abgeordnete Sylvia Canel, die den ESM und den Fiskalpakt gegen die Mehrheit ihrer Fraktion abgelehnt hatte, nannte das Urteil wiederum einen großen Erfolg für die Kläger, "denn mit der richterlichen Begrenzung der Haftungssumme der Bundesrepublik Deutschland auf 190 Milliarden Euro wurde dem ESM die Flatrate entzogen". Nun müsse Deutschland völkerrechtlich erklären, dass es sich hinsichtlich des ESM-Vertrages bei Summen, die darüber hinausgehen, nicht gebunden fühlt. "Eine grenzenlose finanzielle Verpflichtung Deutschlands würde gegen das Budgetrecht des Deutschen Bundestages verstoßen. Daraus folgt auch, dass der ESM-Vertrag kündbar sein muss, wenn das Stabilitätsziel als Gegenstand des Vertrages nicht erreicht wird, weil damit die Geschäftsgrundlage des Vertrages entfallen würde", forderte Canel.

Sie appellierte an die Mitglieder des Europäischen Parlaments, der EZB ebenfalls den grenzenlosen und demokratisch nicht legitimierten Ankauf von maroden Staatsanleihen zu untersagen. Auch der Hamburger Linkspartei-Abgeordnete und Parteivize Jan van Aken beurteilte den Karlsruher Spruch kritisch: "ESM und Fiskalpakt können jetzt in Kraft treten, das ist schlecht." Aber ohne Zustimmung des Bundestages dürfe nicht unbegrenzt Geld ausgegeben werden. Das sei doch zumindest ein wichtiger Erfolg der Klage. Linken-Parteichefin Katja Kipping verlangte, den ESM und den Fiskalpakt mit den von Karlsruhe formulierten Auflagen erneut im Bundestag zur Abstimmung zu stellen. Eine erneute parlamentarische Befassung entspräche dem Geist des Karlsruher Urteils, sagte sie. "Notfalls muss sich das Parlament selbst ermächtigen. Abgeordnete aus allen Parteien könnten sich zusammentun und eine bindende Sozialklausel mit zwei Regeln beschließen: kein Euro ohne Zustimmung des Bundestags und kein Sozialabbau für die Euro-Rettung."