Nach einem Jahr im Dialog mit Fachleuten und Bürgern über die Zukunft der Bundesrepublik zieht die Kanzlerin in einem Buch erste Bilanz.

Berlin. Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Föderalismus. Damit würden sich die Menschen schon schwertun, das habe sie gemerkt, sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Etwa in Sachen Bildungspolitik: "Ich habe keinen getroffen, der es irgendwie richtig fand, dass die Länder die Schulhoheit haben", berichtet sie aus ihren Treffen mit Bürgern in den vergangenen Monaten. Bei diesen Treffen nach US-Vorbild hatte die Kanzlerin je rund 100 Bürger eingeladen, um mit ihnen über die Zukunft zu diskutieren. "Bürgerdialog" hieß das dann ganz offiziell.

Jedenfalls hätte ihr nicht geholfen, etwa beim Bildungsproblem auf das Grundgesetz zu verweisen, das den Föderalismus festschreibt, sagt die Kanzlerin. Die Bürger hätten "keine Lust, in Mecklenburg-Vorpommern zu sitzen und nicht zu wissen, wie man in Bayern Abitur macht". Einer hätte dann von ihr wissen wollen: "Frau Merkel, haben Sie nun etwas zu sagen oder nicht?" Nach gut einem Jahr Dialog nicht nur mit Bürgern, sondern auch mit mehr als 100 Wissenschaftlern und Fachleuten hat Merkel gestern eine erste Zwischenbilanz gezogen.

+++ Die Nacht, in der Merkel zermürbt wurde +++

Herausgekommen ist neben Anekdoten wie jene über den Föderalismus und die Erkenntnis, dass sich auch eine Kanzlerin nicht über das Grundgesetz hinwegsetzen kann, ein 254 Seiten starkes Buch. Es heißt "Dialog über Deutschlands Zukunft" und erscheint im Hamburger Murmann Verlag.

Im Mittelpunkt standen bei allen Gesprächen drei Fragen: Wie wollen wir zusammenleben? Wovon wollen wir leben? Wie wollen wir lernen? Merkel hatte die Diskussionen mit den Experten und Bürgern, die parallel zueinander verliefen, mit dem Ziel gestartet, Handlungsvorschläge und Denkanstöße für die Politik zu gewinnen.

Das heute erscheinende Buch widmet sich im größten Teil den Erkenntnissen der Wissenschaftler und Fachleute, die im Frühjahr 2011 zum ersten Mal zusammengekommen waren. Es ist in erster Linie ein Werkstattbericht, der beschreibt, was sich hinter den Kulissen des Zukunftsdialogs abgespielt hat, wie sich die Beratungen mit den Experten entwickelt haben und wie die Diskussionen beim ebenfalls stattfindenden Online-Dialog verlaufen sind. Geschrieben hat es der freie Journalist Christoph Schlegel. Verschiedene Ideen für Deutschlands Zukunft wurden demnach diskutiert. Würde etwa ein jährlich stattfindender Familiengipfel helfen, um die Leitlinien der anstehenden Familienpolitik abzustecken? Sollten Unternehmen einen Schnelltest für ihre Mitarbeiter einführen, um zu prüfen, wer für ein Burn-out gefährdet ist? Ein anderer Wissenschaftler bringt die Frage in die Debatte ein, ob das Benzin zu billig ist und man mit einem Drehen an der Preisschraube den Fortschritt ankurbeln könnte. Sein Argument: die schon jetzt relativ hohen Energiepreise. "Immerhin hat das dazu geführt, dass wir heute in Deutschland beim Thema Energieeffizienz und in vielen Umwelttechnologien führend sind", so Christian Berg, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome.

Wie sorglos Bürger trotz Finanzkrise in Europa und der angespannten Lage auch für deutsche Firmen in die Zukunft blicken, erstaunt die Kanzlerin. Die Grundsorge, ob die deutsche Wirtschaft angesichts der Globalisierung in zehn Jahren noch so stark sei wie heute, treibe die Menschen nicht so sehr um, sagt Merkel. Es herrsche die Haltung vor, dass Deutschland auf einem guten Niveau lebe und das irgendwie erhalten werde. "Das hat mich verwundert."