Trotz Irritationen billigt der Bundestag beide Gesetze zur Euro-Rettung. Um kurz vor Mitternacht zog der Bundesrat nach. Das letzte Wort liegt jetzt in Karlsruhe.

Berlin. Erst als SPD-Chef Sigmar Gabriel ein paar Minuten am Rednerpult steht, kann sich Angela Merkel etwas entspannen. Sie schiebt ihren Stuhl vom Tisch zurück, schlägt das rechte Bein über das linke und lehnt sich ein Stück nach hinten. Es ist kurz nach 18 Uhr in Berlin, und die Bundeskanzlerin dürfte jetzt mindestens seit 36 Stunden wach sein. Gerade hat sie vor dem Bundestagsplenum ihre Regierungserklärung gehalten. Es war ihre zweite in dieser Woche, und sie war mit 15 Minuten nicht besonders lang.

In ruhigem Ton hat Merkel Punkt für Punkt darüber gesprochen, wozu der europäische Stabilitätsmechanismus ESM gut sein soll und warum man den Fiskalpakt braucht. "Mit dem Fiskalvertrag binden sich nationale Regierungen und Parlamente in bislang noch nicht da gewesener Weise, die Wirtschafts- und Währungsunion zu einer Stabilitätsunion zu formen", erklärt sie. "Und warum machen wir das?" Die Frage ist nur eine rhetorische. "Aus der Erkenntnis", antwortet sie sich selbst, dass man in einer Währungsunion nicht nur mit einer gemeinsamen Währung zahle, sondern auch, weil man verpflichtet sei, "uns in bestimmten Politikbereichen aufeinander verlassen zu können".

Es ist nicht die beste Rede der Kanzlerin. Sie verhaspelt sich manchmal und muss auf ihre Blätter schauen. Und sie verfällt bei Weitem nicht in den Enthusiasmus, den SPD-Chef Gabriel zur Schau stellt, als er in seiner darauf folgenden Rede die Krisenpolitik der Kanzlerin zerpflückt. "Steigende Schulden, steigende Arbeitslosigkeit vor allem unter Jugendlichen und nun auch erste negative Auswirkungen in der deutschen Wirtschaft: Das ist die Bilanz der letzten drei Jahre Ihrer Europapolitik", ruft er in Richtung Merkel.

Ihre ruhige Erklärstunde steht nicht nur im Kontrast zu Gabriels Verbalattacken. Sie steht auch im Kontrast zu einer Woche der drastischen Worte. Mit ihrem Bekenntnis vor der FDP-Fraktion am Dienstag, es gebe keine Vergemeinschaftung von Schulden, "solange ich lebe", hatte Merkel den umstrittenen Euro-Bonds derart rigoros eine Absage erteilt, dass es kein Zurück mehr gibt. Ebenso drastisch hatte Italiens Premierminister Mario Monti per Katastrophenwarnung vor Beginn des EU-Gipfels am Donnerstag prognostiziert, der Euro fahre "zur Hölle", sollte es keine Einigung geben. Ein "dramatischer Nervenkrieg" war dann das, was Beobachtern zufolge während des mehr als 24-stündigen Verhandlungsmarathons in Brüssel ausbrach und bis in den frühen Freitagmorgen anhielt.

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Eine Woche der drastischen Worte - und auch eine Woche der außergewöhnlichen Entscheidungen. Noch bevor Merkel am Freitagvormittag aus Brüssel zurück nach Berlin reiste, hagelte es Kritik. Dass sich die Kanzlerin von Monti und dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy hatte unter Druck setzen lassen und von bisherigen roten Linien abgewichen war, irritierte nicht nur SPD und Grüne, sondern auch die Regierungsparteien CDU/CSU und FDP. Sowohl den erleichterten Zugriff der Krisenländer auf die Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM als auch die direkte Hilfe des Rettungsfonds für Banken in den hoch verschuldeten Staaten hatte die Kanzlerin vorher abgelehnt. Dass kurz vor der so wichtigen Bundestagsabstimmung am Freitagabend über ESM und Fiskalpakt nun doch einiges anders laufen sollte bei der Euro-Rettung, war für manchen Parlamentarier nicht so einfach hinzunehmen.

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"Von Anfang an hatten manche Abgeordnete Bauchschmerzen mit ESM und Fiskalpakt. Sie nach den neuen Ergebnissen aus Brüssel zu überzeugen ist nicht einfacher geworden", sagte SPD-Haushälter Johannes Kahrs dem Abendblatt. FDP-Politiker Jürgen Koppelin sprach sich dafür aus, die Verabschiedung des ESM zu verschieben. "Die Haltung der FDP war bisher, dass die Kriterien nicht aufgeweicht werden dürfen", sagte Koppelin. Das habe Merkel nicht eingehalten. Er würde dringend raten, jetzt keine Abstimmung vorzunehmen. Noch am Mittag wurde eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses einberufen, in der Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) den Abgeordneten Rede und Antwort stehen musste. Im Anschluss daran warb er erneut in den Fraktionen vor Union und FDP für eine Zustimmung zu den europäischen Vorhaben.

Und am Abend dann, ab viertel vor sechs, steht Merkel im Plenum, um die Zustimmung der Abgeordneten zu bitten. Am Ende gelingt ihr die nötige breite Mehrheit. Für den Fiskalpakt ist sie auf eine Zweidrittelzustimmung des Bundestages angewiesen, also auch auf die Stimmen von SPD und Grünen. Für den ESM ist dies zwar nicht zwingend erforderlich, war allerdings auch hier gewünscht. Trotz der Irritationen stimmten 491 der insgesamt 620 Parlamentarier für den Fiskalpakt und 493 für den Rettungsschirm. Am späten Freitagabend verabschiedete schließlich auch der Bundesrat ESM und Fiskalpakt. Die 16 Bundesländer stimmten mit Zweidrittel-Mehrheit für beide Gesetze.

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Der Fiskalpakt verpflichtet dazu, einen ausgeglichenen Haushalt anzustreben und Schuldenbremsen einzuführen. Der ESM mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro soll Mitgliedstaaten der Euro-Zone unterstützen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Deutschland muss 2012 rund 8,7 Milliarden Euro in den ESM einzahlen.

Auch im Bundesrat galt die nötige Zweidrittelmehrheit zur Ratifizierung am späten Freitagabend als sicher. Das letzte Wort hat allerdings Karlsruhe: Beim Bundesverfassungsgericht wurden bereits mehr als 12 000 Klagen gegen Fiskalpakt und ESM angekündigt. "Das muss man sehr ernst nehmen", sagte der europapolitische Sprecher der Grünen, Manuel Sarrazin, dem Abendblatt. "Wir hätten als Fraktion aber heute nicht zugestimmt, wenn wir nicht geglaubt hätten, dass ESM und Fiskalpakt verfassungsfest sind."