Dank der Kieler Ein-Mann-Schau bejubeln die Liberalen die Trendwende. Doch Parteivorsitzender Philipp Rösler bleibt in Bedrängnis.

Kiel/Berlin. Der erste Wahlerfolg für die FDP nach mehr als einem Jahr, es ist Wolfgang Kubickis Erfolg. Allein 31 Prozent der FDP-Wähler haben der Partei nur seinetwegen die Stimme gegeben, so eine Umfrage am Sonntagabend. Er sieht ein wenig fertig aus, gestern Abend in Kiel, abgekämpft, müde, aber vielleicht sind es auch körperliche Zeichen seiner Erleichterung. "Unglaublich" nennt er seinen Erfolg. "Unglaublich", weil er so fern erscheint von der liberalen Stimmung im Rest der Republik.

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Um die Frage, ob die Liberalen in Kiel noch mitregieren könnten, geht es nicht. Es ist eine Freude, die dem Überleben gilt. Kaum flimmern die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme, melden sich die Chefs der anderen Landesverbände mit Glückwünschen an Kubicki. Viele reden an diesem Abend von der generellen Trendwende - auch im Bund. Dabei hatte der 60-jährige Anwalt Kubicki den Wahlkampf ganz auf sich selbst zugeschnitten, über Monate eine beispiellose One-Man-Show geboten. Mal rechnete der bekannteste Landespolitiker Deutschlands in exklusiven TV-Talkrunden mit der ersten Politgarde in Berlin ab, mal beichtete er, dass er vor fast 20 Jahren im Zuge der Schönberg-Affäre zehn Minuten an Selbstmord dachte. In der Berliner Parteizentrale, dem Thomas-Dehler-Haus, wurden solche Eskapaden wie auch Querschüsse gegen Parteichef Philipp Rösler mehrdeutig mit dem Hinweis entschuldigt, dass Wahlkämpfer wie Kubicki "Narrenfreiheit" besäßen.

Auch in Schleswig-Holstein ließ der "eitle Selbstdarsteller" (Kubicki über Kubicki) keine Gelegenheit aus, um sich und die FDP in die Schlagzeilen zu bringen. So kündigte er auf einem müden FDP-Parteitag zum Wahlprogramm überraschend an, dass er zum Wohle der FDP bereit sei, den Posten des Finanzministers zu übernehmen und damit die Arbeit in seiner florierenden Kanzlei auf Eis zu legen. Auch auf den Straßen gab es für die Schleswig-Holsteiner kein Entkommen. Allerorts lächelte Kubicki von Plakaten, machte im grauen Anzug vor grauer Wand mit einem eingängigen Slogan scheinbar Anti-Werbung: "Wählen Sie doch, was sie wollen." Rechts unten auf den großen Kubicki-Plakaten prangte das FDP-Logo - ganz klein. "Das ist auch sein Erfolg", sagt Kubicki nun im ZDF über den umstrittenen Parteichef Rösler. Was soll Kubicki auch anderes sagen. Die Abteilung Attacke ist am Abend des Erfolgs vorerst abgeschaltet.

Der erste Erfolg seit der Wahl in Hamburg im Februar 2011 könnte auch etwas mit Röslers Kurs der deutlichen Abnabelung von der CDU und der Kanzlerin zu tun haben, heißt es parallel in liberalen Hauptstadtkreisen. Die FDP fühlt sich als Präsidentenmacher-Partei, seitdem Rösler mit seinem Votum für Joachim Gauck die Kanzlerin quasi vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Und seit dem Nein zu staatlichen Schlecker-Hilfen empfinden sich die Liberalen einmal mehr als marktwirtschaftliches Korrektiv der Koalition. Doch hat das auch die Schleswig-Holsteiner beeindruckt? Die Partei ist sich über Röslers schlechte Popularitätswerte genauso im Klaren wie darüber, dass sie den Parteichef zwar gern hat, aber von ihm nicht mitgerissen wird.

Rösler, inzwischen ausgestattet mit dem unrühmlichen Etikett des unbeliebtesten Politikers des Landes, kann momentan tun, was er will. Es wird nicht besser für ihn. Sein Auftreten wird als zu wenig staatsmännisch kritisiert, seine Wachstumsparolen als kaum greifbar, als zu fern von den Wählern, die die FDP eigentlich erreichen will: Mittelschicht und Mittelstand.

Kurz vor dem Urnengang im Norden machen Putschgerüchte gegen ihn die Runde. Der "Spiegel" meldet, führende FDP-Politiker hätten bereits ein konkretes Szenario entworfen, um Rösler noch in diesem Jahr loszuwerden. Der Niedersachse habe nicht das Format, die Liberalen in die Bundestagswahl 2013 zu führen, zitiert das Magazin ein Mitglied der Parteispitze. Aus der Fraktionsführung will der "Spiegel" erfahren haben, dass der Druck auf Rösler auf einer Klausurtagung der Fraktion im Herbst erhöht werden solle, sodass dieser aufgeben müsse. Favorit als neuer Parteichef sei Bundestags-Fraktionschef Rainer Brüderle.

Mehrere Minister, Landesvorsitzende und Präsidiumsmitglieder hätten sich für den 66-Jährigen ausgesprochen. Antreiber des angeblichen Rösler-Putsches kämen aus den südlichen Landesverbänden, heißt es, also Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Deren Landeschefs allerdings bestreiten vehement, irgendetwas mit diesem Bericht zu tun zu haben. Wen man auch im Thomas-Dehler-Haus auf das mögliche Ende Röslers anspricht: Die anwesenden Parteispitzen winken genervt ab. Die Stimmung ist viel zu gut in der Parteizentrale, als dass man darüber nachdenken will, was nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen geschehen könne. Pünktlich zum Wahltag am kommenden Sonntag jährt sich Röslers Wahl zum Bundesvorsitzenden zum ersten Mal. Sein Ex-Generalsekretär Christian Lindner, der im Dezember frustriert die Brocken hinwarf und Rösler damit in Bedrängnis brachte, könnte mit einem Einzug in den Landtag endgültig zur Messias-Figur der Liberalen werden.

Prominente Unterstützung erhielt Lindner zuletzt vom Ehrenvorsitzenden der FDP, Hans-Dietrich Genscher. "Mit voller Kraft und mit ganzem Herzen stehen wir hinter diesem Hoffnungsträger der liberalen Partei in Deutschland", bekannte er. "Charakter, Mut und Bescheidenheit, das ist es, was dieses Land braucht", fügte er hinzu. Auch über Kubicki hatte sich Genscher kurz vor der Wahl geäußert: Dieser sei "unvergleichlich". Kubicki mische ein ganzes Bundesland auf. Selbst Leute, die seine Meinungen nicht teilten, würden ihn mögen. Über Rösler hat Genscher so etwas nie gesagt.

Im Thomas-Dehler-Haus zeigt sich am Abend auch der Chef der Jungen Liberalen, Lasse Becker. "Kubicki hat jetzt deutlich mehr Einfluss in der Partei", sagt er. Es heißt, Kubicki plane wie einst mit seinem Freund Jürgen Möllemann eine Angriffsachse Berlin-Düsseldorf - diesmal mit Lindner. Rösler darf sich auf einiges gefasst machen.