SPD-Vizechefin Manuela Schwesig über den Spagat zwischen Kind und Karriere, Rabenmütter und den ideologischen Kampf ums Betreuungsgeld.

Berlin. Manuela Schwesig kommt einige Minuten zu spät zum Termin mit dem Hamburger Abendblatt. Die 37-Jährige ist nicht nur stellvertretende Vorsitzende der SPD und Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Da klappt eben nicht immer alles wie ursprünglich vorgesehen. Im Interview erzählt Schwesig, warum es nicht immer leicht ist, Politik und Privatleben miteinander zu vereinen - und warum das umstrittene Betreuungsgeld aus ihrer Sicht alles andere als förderlich für Kinder und Familien ist.

Hamburger Abendblatt: Frau Schwesig, sind Sie einverstanden, wenn wir feierlich beginnen?

Manuela Schwesig: Gern. Dann müssen Sie aber eine Osterkerze anzünden.

Wir haben gerade keine zur Hand. Aber damit sind wir schon beim Thema. Welche Bedeutung hat es für Sie, Ostern zu feiern?

Schwesig: Es ist ein Fest, das zwei wichtige Botschaften vermittelt. Erstens: Das Gute überwindet das Böse. Zweitens: Sag Ja zum Leben. Ostern ist für mich aber auch ein Fest der Familie. Wir werden die Ostertage in Schwerin und in Brandenburg bei meinen Eltern verbringen, den Gottesdienst besuchen, uns an gutem Essen erfreuen und natürlich Ostereier suchen.

Sie sind erst 2010 in die evangelische Kirche eingetreten. Warum war Ihnen die späte Taufe so wichtig?

Schwesig: Ich bin ja in der DDR ohne eine Verbindung zur Kirche aufgewachsen. Nach der Wende habe ich durch die Familie meines Mannes, Freunde und die SPD viel Kontakt zur Kirche gehabt. Auslöser für die Taufe war die Geburt unseres Sohnes. Uns trägt der gemeinsame Glaube, dass es eine schützende Hand Gottes gibt.

Beten Sie vor manchen Entscheidungen?

Schwesig: Ich bete nicht direkt vor Entscheidungen. Ich beginne meinen Tag mit einem Morgengebet, bei dem auch meine Arbeit und die damit verbundenen Begegnungen mit Menschen eine Rolle spielen. Ich gebe aber meine politische Verantwortung nicht an Gott ab. (lacht)

Sie halten sich manche Nachmittage für die Familie frei. Bringt Ihnen das im politischen Betrieb auch mal Probleme ein?

Schwesig: Das kommt ganz auf Sie an. Ich bin heute nämlich aus familiären Gründen zu spät zu unserem Interview gekommen.

Was war denn los?

Schwesig: Mein Mann und ich haben gestern Abend für das Osterfest in der Kita meines Sohnes spontan 40 Obstspieße zubereitet - und ich habe sie heute Morgen im Kühlschrank vergessen. Wir sind also noch einmal umgekehrt und dann erst nach Berlin gefahren.

Nicht so schlimm. Aber was würden Ihre Kollegen dazu sagen?

Schwesig: Ich habe zwei Chefs, Erwin Sellering in Mecklenburg-Vorpommern und Sigmar Gabriel in Berlin, die sehr verständnisvoll auf privat bedingte Terminabsagen reagieren. Wenn ich ihnen eine SMS schreibe, dass mein Sohn krank ist und ich deswegen nicht kommen kann, dann antworten sie: Kein Problem. Gute Besserung für den Kleinen.

Das klingt so, als ob Politik familienfreundlich sei.

Schwesig: Politik ist nicht familienfreundlich. Das politische Leben erfordert eine hohe Präsenz. Bei den Hartz-IV-Verhandlungen vor einem Jahr musste ich eine von zwei geplanten Urlaubswochen absagen. Da ging es um das Wohl von 6,5 Millionen Menschen. Da hätte ich nicht sagen können: Sorry, diesen Urlaub mit meiner Familie habe ich schon vor einem Jahr geplant. Dennoch: Bei mir hat die Familie Vorrang vor der Politik. Und deswegen brauche ich auch Auszeiten von der Politik.

Ihre Generalsekretärin Andrea Nahles fordert einen politikfreien Sonntag. Wann fängt die SPD damit an?

Schwesig: Ich finde die Idee gut. Es ist fatal, dass wir auch noch Parteitage und wichtige Sitzungen auf Sonntage legen. Das gilt nicht nur für die SPD, sondern für alle Parteien. Wir sollten bei dieser Debatte allerdings bedenken: Im ehrenamtlichen Bereich nutzen die Parteimitglieder gerade die Wochenenden, weil sie sonst keine Zeit haben.

Wäre die Politik familienfreundlicher, wenn sie der Preistreiberei an den Tankstellen nicht tatenlos zuschauen würde?

Schwesig: Alle Familien werden sich jetzt in den Osterferien an den Tankstellen abgezockt fühlen. In Familienferienzeiten wie diesen wird noch einmal richtig an der Preisschraube gedreht. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, dass die Politik die Preise nicht bestimmen kann.

Wäre Familien mit Autos mit einer Benzinpreis-Bremse oder Anhebung der Pendlerpauschale geholfen?

Schwesig: Auch mit der Benzinpreis-Bremse können wir nicht die Preise deckeln, sondern nur mehrere Preisänderungen pro Tag stoppen. Eine erhöhte Pendlerpauschale kann auch nicht die Preistreiberei stoppen. Ich frage mich, ob unsere marktwirtschaftlichen Instrumente greifen, wenn die Sprit- und Energiekonzerne willkürlich ihre Preise festlegen können. Das Bundeskartellamt muss prüfen, ob die Konzerne machen können, was sie wollen. Die Bundesregierung hätte längst bei der Benzinpreis-Bremse handeln müssen.

Frau Schwesig, was ist für Kleinkinder besser - die Betreuung zu Hause oder der Besuch einer Kita?

Schwesig: Beides zusammen ist wichtig - und ich finde es falsch, die Betreuung zu Hause gegen die Betreuung in der Kita auszuspielen. Die Befürworter des sogenannten Betreuungsgeldes tun so, als ob Eltern, die ihre Kinder in eine Kita geben, ihren Erziehungsauftrag abgeben. Krippe und Kindergarten sind aber keine Erziehungs-, sondern Bildungseinrichtungen. Die Erziehungsverantwortung tragen die Mütter und Väter 24 Stunden am Tag.

Ab welchem Alter hat Ihr Sohn die Kita besucht?

Schwesig: Nach 14 Monaten ist er in die Krippe gegangen, also nach der Elternzeit, die ich und mein Mann hatten. Wir erleben den Kita-Besuch als Bereicherung für unseren Sohn.

Stört es Sie, dass manche Menschen Sie deshalb als Rabenmutter bezeichnen würden?

Schwesig: Es gefällt mir nicht, dass wir Frauen, egal wie wir es machen, in irgendwelche Schubladen gesteckt werden. Wer Familie hat und Karriere macht, ist gleich eine Rabenmutter. Wer zu Hause bleibt, gilt als Hausmütterchen. Und die Frau, die sich gar nicht für Kinder entscheidet, wird als karrieregeiles Weib abgestempelt. Diese Klischees sind schräg, weil wir im realen Leben schon sehr viel weiter sind. In vielen Familien müssen und wollen beide Elternteile arbeiten gehen, um die Familie gut ernähren zu können. Dafür brauchen wir mehr Kita-Plätze und keine Fernhalteprämie, die Frauen vom Arbeitsmarkt und die Kinder von Bildung fernhält. Weil sich Sprache, Motorik und Sozialverhalten vor allem in den ersten Lebensjahren ausbilden, ist gerade für Kinder aus bildungsfernen Familien der Kita-Besuch sehr wichtig.

Warum ist die Debatte in Deutschland so ideologisch aufgeladen?

Schwesig: Das hat vor allem zwei Gründe. Der erste ist, dass jeder vehement sein eigenes Lebensmodell verteidigt. Zweitens: In dieser Debatte reden viele Herren mit, die lange über die Lebensentwürfe ihrer Frauen entschieden haben und die es gewöhnt sind, dass ihre Frauen ihnen den Rücken freihalten und für sie Haus und Hof hüten. Es ist zudem ein Skandal, dass Kristina Schröder in dieser leidenschaftlichen Debatte zur Zukunft von Kindern bisher noch keinen einzigen Ton gesagt hat. Von einer Bundesfamilienministerin erwarte ich mehr.

Wird die Krippenplatz-Garantie für 2013 eingehalten werden können?

Schwesig: Wir haben in Deutschland zu wenig Geld für den Kita-Ausbau, es wäre deshalb viel besser, das Geld für die unsinnige Fernhalteprämie hierfür zu verwenden. Der Anteil von Hamburg beträgt beispielsweise 30 Millionen Euro - dafür könnte man 3000 Kitaplätze finanzieren! Fragen Sie doch mal die Hamburger Eltern, was ihnen lieber wäre. Zumal schon jetzt sehr fraglich ist, ob der Rechtsanspruch überall erfüllt werden kann. Vor allem in großen Städten wie Hamburg liegt der Bedarf an Kitaplätzen für Kleinkinder über den angenommenen 35 Prozent. Es ist gut, dass hier Olaf Scholz und die SPD klotzen.