Die Schweigeminute wurde in Berlin zum Schlusspunkt der bewegenden Gedenkfeier für die zehn Todesopfer der rechtsextremen Mordserie.

Berlin. Deutschland verbeugt sich vor den Opfern des braunen Terrors: Mit einer bewegenden Trauerfeier und Gedenkveranstaltungen im ganzen Land haben Politik und Bevölkerung der Opfer der rechtsextremistischen Mordserie gedacht. Zum Gedenken an die Opfer wehen die Fahnen auf dem Berliner Gendarmenmarkt auf Halbmast. Mehr als drei Monate nach der Aufdeckung der Mordserie stehen Politiker, Angehörige und ehrenamtlich Engagierte am Donnerstag um 12 Uhr vereint bei einer Schweigeminute. Hinter den Absperrungen senken Passanten die Köpfe, Polizisten nehmen die Mütze vom Kopf, falten die Hände. Bahnen und Busse stehen still. Auf einigen Radio- und TV-Kanälen herrscht Funkstille.

Das stille Gedenken, zu dem Arbeitgeber und Gewerkschaften aufgerufen hatten, wurde in Berlin zum Schlusspunkt der bewegenden Gedenkfeier für Opfer rechtsextremer Gewalt. Geplant hatte die Feier noch der inzwischen zurückgetretene Bundespräsident Christian Wulff, nachdem er sich im November unmittelbar nach Bekanntwerden der rechtsextremen Terrorgruppe mit Angehörigen der Opfer getroffen hatte.

+++ Schweigen für die Opfer der Neonazis +++

+++ Terror ist nur mit Bürgerhilfe zu besiegen +++

+++ Zahl der Opfer rechter Gewalt nach oben korrigiert +++

Unter den etwa 1.200 Gästen waren Horst Seehofer (CSU) in Vertretung des Bundespräsidenten, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Vize-Bundesratspräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Vertreter aller Fraktionen im Bundestag saßen in den Reihen. Auch Joachim Gauck, Kandidat bei der Wahl zum neuen Bundespräsidenten, war gekommen. Die Ansprache hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Auf der Bühne ringt sie zuerst um Worte für die Verbrechen. Die Morde seien "unbegreiflich“, sagt sie. Die Kanzlerin erzählt von ihren Emotionen beim Anschauen des Videos der Zwickauer Terrorzelle, in dem sich die Neonazis mit ihren Taten brüsten. Etwas "Menschenverachtenderes, Perfideres und Infameres“ habe sie in ihrer Arbeit noch nie gesehen – falls diese Steigerung überhaupt ausreiche, sagt sie.

Am Ende wird sie aber deutlich: Von "kaltblütigem Mord“ spricht Merkel und einer "Schande für unser Land“. Die Angehörigen bittet sie um Verzeihung – vor allem für die Fehler bei den Ermittlungen zur Aufklärung der Morde.

Jahrelang blieb der rechtsextremistische Hintergrund unentdeckt. Die Familien wurden mit Verdächtigungen konfrontiert, gerieten teilweise selbst in den Verdacht. "Elf Jahre durften wir nicht reinen Gewissens Opfer sein“, sagt Semiya Simsek, deren Vater im Jahr 2000 in Nürnberg erschossen wurde. Die junge Frau ist eine der Angehörigen, die bei der Gedenkfeier Worte an die Anwesenden richtet.

Zwei Monate nach der Nachricht, dass die Mörder ihres Vaters vermutlich Rechtsextreme waren und Spekulationen um Drogengeschäfte weggewischt wurden, quälen sie weiter Fragen. „Bin ich in Deutschland zuhause?“ fragt sie provokant die versammelte Staatspitze. "Wie kann ich mir gewiss sein, wenn es Menschen gibt, die mich hier nicht wollen“, ergänzt die junge Deutsche mit türkischen Wurzeln.

Ähnlich geht es Gamze Kubasik, die 2006 ihren Vater verlor. Ismail Yozgat aus Kassel bricht auf der Bühne die Stimme, als er erzählt, wie 2006 sein von einer Kugel getroffener Sohn Halit in seinen Armen starb.

Die Familien der Opfer sollen nicht länger mit ihrer Trauer allein sein, verspricht die Kanzlerin in ihrer Ansprache und warnt vor Gleichgültigkeit. Passend dazu rezitiert Iris Berben bei der Gedenkfeier ein Gedicht von Erich Fried. "Wenn ich mich auch nur an den Anfang gewöhne, fange ich an, mich an das Ende zu gewöhnen“, heißt es darin.

Die Schauspielerin steht wie alle Redner und Künstler im Halbdunkel des prunkvollen Konzertsaales. Die 14 schweren Kronleuchter sind gedimmt, auch um die zwölf Kerzen auf der Bühne nicht zu überstrahlen. Zehn stehen für die Opfer der Zwickauer Terrorzelle, eine weitere für alle anderen Opfer von Neonazis.

Das zwölfte brennende Licht sei ein "Symbol für die gemeinsame Hoffnung auf eine gute Zukunft“, erklärt Merkel. Sie fordert Mitgefühl und Aufmerksamkeit aller Bürger, um zu verhindern, dass solche Taten erneut geschehen können. "Wir alle, gemeinsam, zusammen - nur das kann die Lösung sein“, sagt auch Semiya Simsek, bevor sie die Kerze mit Gamze Kubasik aus dem Saal trägt.(epd/dpa)