Grüne halten Stuttgarter Tiefbahnhof weiter für falsch, wollen aber kooperieren. CDU und FDP erhöhen Druck auf grün-rote Landesregierung.

Stuttgart/Berlin. Die "verlorene" Volksabstimmung zum umstrittenen Bahnprojekt "Stuttgart 21" (S21) wird für die Grünen in Baden-Württemberg zur ersten echten Zerreißprobe nach dem Sieg bei der Landtagswahl. Zwar gibt sich die Parteispitze kooperativ mit den Projektplanern, aber von den politischen Gegnern werden erste Konsequenzen gefordert.

Nach der Volksabstimmung über "Stuttgart 21“ appellierte die Deutsche Bahn an die Landesregierung, das Projekt aktiv zu unterstützen. Eine kritische Begleitung des Vorhabens durch die Landesregierung reiche nicht aus, sagte Technikvorstand Volker Kefer am Montag in Berlin. Bahnchef Rüdiger Grube betonte, die Bahn wolle alles tun, um das Projekt so schnell wie möglich und innerhalb der veranschlagten Kosten zu realisieren.

Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatte das Mehrheitsvotum für S21 akzeptiert, aber von der Bahn eine Erklärung gefordert, dass sie Kosten übernehmen werde, die über den bisherigen Rahmen von 4,5 Milliarden Euro hinausgehen. Kefer sagte dazu, der Bahn sei nichts anderes bekannt als das, was durch den bisherigen Kostenrahmen vorgegeben sei. Zugleich verwies der Technikvorstand darauf, dass Infrastrukturprojekte einer solchen Größenordnung immer unter einem Risikovorbehalt stünden. Gemeinsam mit der Landesregierung wolle man die Risiken vermeiden und minimieren.

Auch Kretschmanns Parteifreunde akzeptieren das Ergebnis der "Stuttgart 21“-Volksabstimmung. Die Landesvorsitzenden Chris Kühn und Thekla Walker sagten am Montag in Stuttgart, die Partei halte "Stuttgart 21“ zwar weiter für falsch, werde aber ihren Widerstand gegen das Projekt "grundsätzlich beenden“. Die Partei wolle nun als "Scharnier“ zwischen Bürgergesellschaft und Politik fungieren und mit den Projektgegnern im Dialog bleiben.

+++ Stuttgart 21: Abstimmung stößt auf gemischte Resonanz +++
+++ Stuttgart 21: Das Volk hat das Wort +++

Walker betonte, es sei den Grünen zwar nicht gelungen, mit der Volksabstimmung das Projekt zu verhindern. Sie glaube aber nicht, dass die Anhänger von der Partei nun enttäuscht seien, da alle das Votum akzeptierten. Insgesamt sei es ein respektables Ergebnis für die Grünen, da über 40 Prozent für einen Ausstieg aus dem Projekt gestimmt hätten.

Auch Die Linke akzeptiert das Ergebnis der Volksabstimmung. Die Bürger hätten entschieden und damit sei klar, dass "Stuttgart 21“ gebaut werde, sagte der Parteivorsitzende Klaus Ernst am Montag in Berlin.

Es sei allerdings eine Farce, wenn die Bürger nur noch über Fakten hätten entscheiden können, die schon geschaffen gewesen seien, kritisierte er. Auch die Kostenfrage stehe noch im Raum. Die Zustimmung gelte nur für den geplanten Kostenrahmen. Dieser müsse nun unbedingt eingehalten werden. Ernst forderte außerdem, die Bürger künftig bei solchen Projekten stärker einzubeziehen.

CDU und FDP setzen Grüne unter Druck

Derweil sieht die Bundes-CDU Ministerpräsident Kretschmann nach dem klaren Votum für S21 in der Pflicht. Die grün-rote Landesregierung sei gefordert, das Vorhaben nun mit aller Konsequenz umzusetzen und nicht weiter durch Tricksereien zu verzögern, sagte Generalsekretär Hermann Gröhe nach einer CDU-Präsidiumssitzung am Montag in Berlin. Hierbei müsse sich zeigen, wie viel das Wort des Regierungschefs wiege und ob er der Aufgabe gewachsen sei. "Stuttgart 21 ist auch ein Lackmustest für Herrn Kretschmann geworden.“

Gröhe forderte, die Projektgegner und auch die Grünen sollten "ihre Barrikadenposten räumen und den Willen der Bevölkerungsmehrheit akzeptieren“. Die Zustimmung bei der Volksabstimmung am Sonntag in Baden-Württemberg sei ein gutes Signal, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland in der Lage sei, seine Infrastruktur zu modernisieren.

Unterdessen fordert FDP-Generalsekretär Christian Lindner den Rücktritt des baden-württembergischen Verkehrsministers Winfried Hermann (Grüne). Nachdem sich die Bürger für "Stuttgart 21“ ausgesprochen haben, sei es "eine Frage der Ehre, dass Winfried Hermann den Platz für einen anderen Verkehrsminister freimacht“, sagte Lindner am Montag in Berlin. Den Ausgang der Volksabstimmung bezeichnete er als "persönliches Waterloo“ für Ministerpräsident Kretschmann.

Die BUND-Landesvorsitzende Brigitte Dahlbender hat bereits Konsequenzen aus der Niederlage der Bahnhofsgegner bei der Volksabstimmung gezogen und ist als Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen "Stuttgart 21“ zurückgetreten.

Grube: Gutes Ergebnis für ganz Deutschland

Derweil zeigt sich Bahnchef Grube erfreut über das S21-Votum. Grube sprach von einem sehr guten Ergebnis für das Land Baden-Württemberg, für die Stadt, die Region und ganz Deutschland. Die Menschen im Südwesten hätten eine eindeutige Entscheidung getroffen. Es habe sich gezeigt, dass die Bürger verantwortungsvoll mit langfristig notwendigen Investitionsentscheidungen umgehen.

Respekt zollte Grube auch jenen, die gegen "Stuttgart 21“ gestimmt hätten. Ihre Meinung sei der Bahn immer sehr wichtig gewesen. Die Bahn werde sich auch weiterhin dem Dialog mit den Bürgern stellen, versicherte der Bahnchef. Die Bahn habe bei den Diskussionen um "Stuttgart 21“ viel gelernt.

Kefer stellte die weiteren Schritte zur Realisierung des Bahnprojektes vor. Am Morgen habe es bereits die ersten Kontakte zur Landesregierung gegeben. Die Bahn werde nun weitere Vergabeverhandlungen führen. Um den Jahreswechsel sei hier mit einigermaßen konkreten Ergebnissen zu rechnen. Der Abriss des Südflügels des alten Bahnhofs soll Anfang nächsten Jahres beginnen. Fortgesetzt werde der Aufbau der Leitungen für das sogenannte Grundwassermanagement.

Grün-Rot will Hürde für Plebiszite senken

Die grün-rote Landesregierung will jetzt die Hürden für die Mitbestimmung der Bürger senken. Das vorgeschriebene Quorum für Plebiszite soll drastisch reduziert werden. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sagte am Montag in Stuttgart: „Die Landesverfassung sollte unserer Ansicht nach geändert werden.“ Darin ist die Hürde von derzeit einem Drittel der Wahlberechtigten festgeschrieben, an der am Sonntag die Stuttgart-21-Gegner klar scheiterten.

SPD-Landeschef und Finanzminister Nils Schmid sagte, dass die Verfassung bis zum nächsten Sommer einvernehmlich mit allen Landtagsfraktionen geändert werden könne. Er begrüße den Vorschlag der FDP eines Quorums von 20 Prozent. „Ich feilsche aber nicht um Prozentpunkte“, sagte der Vize-Regierungschef der Nachrichtenagentur dpa. „Entscheidend ist, dass wir zu einer deutlichen Absenkung kommen.“

Vor rund einem Jahr hatte die damalige Opposition von SPD und Grüne den Antrag von Schwarz-Gelb, das Quorum auf 25 Prozent zu senken, abgelehnt. Die Oppositionsparteien wollten eine stärkere Absenkung. Vor der S21-Volksabstimmung wiederholte sich die Debatte nach dem Machtwechsel mit umgekehrten Vorzeichen: Grün-Rot wollte das Quorum für eine gültige Volksabstimmung von 33,33 auf 20 Prozent der Wahlberechtigten senken. Die FDP signalisierte Zustimmung, aber die CDU-Fraktion lehnte ab, weil sie nach eigenen Angaben nicht „den Steigbügelhalter für den Ausstieg aus Stuttgart 21 machen“ wollte.

Für eine Änderung der Landesverfassung ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag notwendig, die ohne die CDU-Fraktion nicht erreicht wird.

Schmid kündigte an, die Regierung wolle sich zudem dafür einsetzen, dass Volksbegehren leichter eingeführt werden können. Die Zahl der dafür benötigten Unterschriften der Bürger solle verringert und der Zeitraum zum Sammeln verlängert werden.

Bestätigt sah sich Schmid angesichts der Abstimmungsbeteiligung von 48,3 Prozent beim Referendum über S21. Im Gespräch mit der „Stuttgarter Zeitung“ (Montag) bewertete er das als „starkes Votum für diese von der SPD vorgeschlagene Abstimmung. (...) Das ermutigt uns, den Weg für weitere Volksabstimmungen zu erleichtern“.

Wegen S21: Ude noch optimistischer im Startbahnstreit

Derweil sieht Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) in dem Ausgang der S21-Volksabstimmung ein positives Signal für den Streit über eine dritte Startbahn für den Münchner Flughafen. Ude sagte am Montag, er sei beim geplanten Bürgerbegehren zur Startbahn nun "noch optimistischer als vorher“. Die Mehrheit der Bevölkerung stehe der notwendigen Infrastruktur offensichtlich "sehr viel positiver gegenüber, als das lautstarke Protestszenen vermuten lassen“. Deshalb seien die Grünen "gut beraten, ihre Haltung zu Infrastrukturfragen zu überdenken“.

Weiterer Fahrplan für das Bauprojekt Stuttgart 21

Der Fahrplan der Bahn für Stuttgart 21 ist ehrgeizig. Man habe durch mehrere politisch bedingte Baustopps ein Jahr verloren, sagt Projektsprecher Wolfgang Dietrich. Es sei eine Riesenherausforderung, den Verzug wieder aufzuholen und den Tiefbahnhof wie geplant 2019 in Betrieb nehmen zu können. Dies gelinge nur, wenn Mitte 2012 auch mit den großen Bauarbeiten in der Stuttgarter Talquerung begonnen werden könne. Die Stuttgart-21-Agenda für 2012 lautet:

Im Januar 2012: Der Abriss des Südflügels des Bonatz-Baus und die Rodung beziehungsweise Umpflanzen von Bäumen im Schlossgarten sind geplant. Dafür muss auch das Zeltdorf der S-21-Gegner verschwinden.

Ab April: Der neue Querbahnsteig für die nach vorne verlegten Bahnsteige im bestehenden Kopfbahnhof soll entstehen. Dadurch wird Platz frei für den Aushub der Grube für den geplanten Tiefbahnhof.

Bis Mitte 2012: Der Grundwassermanagement, ein 17 Kilometer langes Drainagesystem, soll abgeschlossen werden. Das Gleisvorfeld soll so umgebaut werden, dass eine Logistikstraße für die Lastwagen entlang der Trasse errichtet werden kann. Die Fahrzeuge bringen den Bauaushub zum Nordbahnhof, von wo er per Zug abtransportiert wird.

2. Hälfte 2012: Der Aushub für den Bahnhofstrog soll beginnen, eventuell in Verbindung mit dem Bau des unterirdischen Technikgebäudes und des Nesenbachdükers (einer Umleitung eines unterirdischen Gewässers) unter dem geplanten Eisenbahntunnel.

Weitere Bauarbeiten 2012: Die Bahndirektion auf der Nordseite des Bahnhofes wird für die zwei Tunnelröhren zwischen Feuerbach und Tiefbahnhof abgerissen.

Mit Material von dpa und dapd