“Der Kostendeckel bleibt“: Der grüne Ministerpräsident will klare Worte von der Bahn, was mögliche Zusatzkosten von Stuttgart 21 betrifft.

Stuttgart. Stuttgart will S21. Das hat die Volksabstimmung ergeben. Jetzt beraten die grün-rote Koalition und die Bahn an diesem Montag über Konsequenzen. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann will das Milliarden-Bahnprojekt trotz großer Vorbehalte nun durchsetzen helfen. Am späten Sonntagabend forderte er die Bahn auf, zu erklären, ob sie die Zusatzkosten übernimmt, wenn Stuttgart 21 teurer werden sollte. „Der Kostendeckel bleibt. Wir werden nicht mehr bezahlen als unser Anteil an den 4,5 Milliarden Euro ist.“ Er wolle sich nicht von der Bahn erpressen lassen.

Der Konzern reagierte gelassen. Falls Mehrkosten entstünden, werde man sich verständigen, sagte Projektsprecher Wolfgang Dietrich. „Alle wollen das Projekt: die Bürger, die Parteien, die Bahn – da wird man eine Lösung finden.“ Dietrich fügte hinzu: „Auch das Land muss seinen Beitrag leisten, wenn mehr Kosten kommen sollten.“ Der Bahn-Vorstand will an diesem Montag in Berlin über das weitere Vorgehen informieren. Am Abend kommen die S21-Gegner zur „Montagsdemonstration“ zusammen.

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) sieht die Bahn politisch als Verlierer der Volksabstimmung über „Stuttgart 21“ . Für den Konzern werde „Stuttgart 21“ zu einem „ewigen Ärgernis“, sagte Palmer den „Stuttgarter Nachrichten“. Die Kosten würden explodieren und andere Bahnprojekte darunter leiden, sagte der Grünen-Politiker voraus.

Die S21-Gegner hatten am Sonntagabend eine herbe Niederlage einstecken müssen. Die Mehrheit von 58,8 Prozent stimmte gegen einen Ausstieg des Landes. Nur 41,2 Prozent waren für eine Kündigung der Finanzierungsverträge mit der Bahn. Die Wahlbeteiligung lag bei 48,3 Prozent. Grünen-Bundeschef Cem Özdemir räumte die Niederlage ein. „Aber die Auseinandersetzung um einen anderen Umgang mit den Bürgern bei Konflikten um Großprojekte werden wir gewinnen“, sagte er der „Stuttgarter Zeitung“ (Montag).

Der eingefleischte S21-Gegner und Verkehrsminister Winfried Hermann sieht sich Rücktrittsforderungen gegenüber. Kretschmann versuchte noch am Abend, eine solche Diskussion im Keim zu ersticken. „Ich wüsste nicht, warum er zurücktreten soll. Er hat einen harten Job gehabt, bisher den härtesten in der Regierung.“ Hermann sei eine ganz starke Persönlichkeit, er stehe voll hinter ihm.

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel sieht für Hermann keine andere Lösung als den Rückzug. „Wenn Herr Hermann noch etwas demokratisches Ethos hätte, müsste er zurücktreten“, sagte der Professor an der Konstanzer Universität der dpa. Da sich Hermann als S21-Gegner profiliert habe, sei es eine Frage des politischen Anstandes, dass er den Hut nimmt.

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Dass das Ergebnis des Volksentscheids dem Image der Grünen schadet, denkt Seibel nicht. „Die Grünen in Baden-Württemberg werden geprägt durch Winfried Kretschmann. Kretschmann versucht jetzt klugerweise staatsmännisch aus dem Ergebnis das Beste zu machen.“ Der Tübinger Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling sieht in Kretschmann sogar einen der Gewinner der Volksabstimmung. „Er hat sich als guter Demokrat profiliert“, sagte Wehling der dpa.

In Sachen Winfried Hermann ist Wehling anderer Meinung als Professor Seibel. „Er hat blitzschnell umgedacht und betont, dass er das Votum der Bürger akzeptieren werde. Viele, die ihn vorher für einen verbohrten Betonkopf hielten, haben ihn plötzlich ganz anders erlebt.“ Trotzdem sei der Verkehrsminister die größte Schwachstelle der Regierung. „Da kann die Opposition weiter bohren.“

Die Sprecherin des Aktionsbündnisses gegen S21, Brigitte Dahlbender sagte, nach der Montagsdemonstration seien vorerst keine weiteren Kundgebungen geplant. Erst müsse beraten werden, wie es weitergehe. Das Ergebnis werde sicherlich den Widerstand verändern, meinte Dahlbender. CDU-Fraktionschef Peter Hauk forderte die Grünen auf, sich aus dem Aktionsbündnis zurückzuziehen. Hauk sagte der dpa, für die Partei sei die Grundlage für ihr Engagement entfallen.

Baden-Württembergs Landtagspräsident Guido Wolf (CDU) will den Schwung des Referendums nutzen und für mehr direkte Demokratie sorgen. „Es muss um ein Bündel an Maßnahmen geben, solche Großprojekte transparent zu machen und die Bürgerbeteiligung voranzutreiben."

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Auch nach der verlorenen Volksabstimmung über den Ausstieg aus „Stuttgart 21“ wollen die Gegner des milliardenschweren Bahnprojekts jedoch weiter demonstrieren. „Ein vergoldetes Stück Blech wird nicht Gold, bloß weil eine Mehrheit das sagt“, erklärte der Schauspieler Walter Sittler als prominenter „Stuttgart 21“-Gegner am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Er wolle „mit allen legalen Mitteln, die zur Verfügung stehen“ weiter protestieren.

Auch nach dem Erfolg der Stuttgart-21-Anhänger beim Volksentscheid lässt Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) seine politische Zukunft offen. „Ich spüre persönlich durchaus einen Rückenwind für meine Arbeit im Rathaus. Aber für mich stehen nach dieser Volksabstimmung die Sachfragen eindeutig im Vordergrund“, sagte Schuster der „Stuttgarter Zeitung“ (Montag). Ob er bei der OB-Wahl im kommenden Herbst ein drittes Mal kandidiert, will Schuster erst am 9. Januar verkünden.

Als S21-Befürworter stand Schuster in den vergangenen Monaten heftig in der Kritik. Am Sonntag stimmten die Bürger in der Landeshauptstadt mit 52,9 Prozent der Stimmen für das Bahnprojekt. Landesweit votierte eine deutliche Mehrheit von 58,8 Prozent gegen einen Ausstieg des Landes aus den Finanzierungsverträgen mit der Bahn.

Vor dem Plebiszit war gemutmaßt worden, dass ein solches Ergebnis Schuster den Rücken für eine erneute Kandidatur stärken könnte. Den „Stuttgarter Nachrichten“ hatte der CDU-Politiker nach seiner Wiederwahl 2004 gesagt, er habe sich entschieden, in acht Jahren, wenn er 63 sei, keine Wiederwahl mehr anzustreben – „und dabei wird es bleiben.“ Von dieser klaren Ansage war er in den vergangenen Monaten wieder abgerückt. (dpa/dapd)