Der gestürzte FDP-Chef kann beim Parteitag überzeugen, sein Nachfolger nicht. Liberale sind auf der Suche nach neuem Profil.

Frankfurt/Main. Mark Rutte und Philipp Rösler mögen sich. Die beiden telefonieren häufig miteinander, sie gehören einer Generation an und haben vergleichbare Jobs: Rutte, 44, ist Chef der VVD, der niederländischen Liberalen, Rösler, 38, leitet die deutsche FDP. Der Weg an die Parteispitze führte für beide über einen Machtkampf: Rutte musste sich mit der rechtspopulistischen Rita Verdonk auseinandersetzen, Rösler seinen Vorgänger Guido Westerwelle stürzen. Auch in ihren Regierungsämtern ringen der Ministerpräsident der Niederlande und der deutsche Vizekanzler Seite an Seite mit der europäischen Schuldenkrise und der Frage: Wie erkläre ich meinen zweifelnden Bürgern die milliardenschweren Rettungspakete für Pleitestaaten?

So entstand die Idee einer Nachbarschaftshilfe. Als Gastredner auf dem Parteitag sollte Rutte den Kollegen dabei unterstützen, die eigenen Leute hinter sich zu versammeln. Im Nachhinein lässt sich sagen: Vielleicht war das keine so gute Idee. Denn der Auftritt des Niederländers sorgte vor allem dafür, dass die FDP schmerzlich an ihre Krise erinnert wurden. Das begann schon bei der Vorstellung durch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Rutte, so die FDP-Vizechefin, sei "der Vertreter einer liberalen Partei, die erfolgreich regiert". Das Kompliment geriet zu einer Betonung des eigenen Versagens. Auch Rutte schlug in diese Kerbe: "Mir ist bewusst, dass die FDP eine schwierige Phase durchmacht." Er habe das ebenfalls erlebt - und überwunden, indem alle an einem Strang gezogen hätten.

+++ Philipp Röslers Lieferservice in FDP-Krisenzeiten +++

Damit war ein Kernproblem der FDP benannt. Zwar mangelt es bei den Freidemokraten nicht an Beteuerungen zum Mannschaftsspiel. Doch der vor einem halben Jahr vollzogene Machtwechsel von Westerwelle zu Rösler samt Postenrochade hat Wunden hinterlassen, die längst nicht verheilt sind. Das wurde schon bei der Vorstandssitzung am Sonnabendmorgen offenbar. Rösler hatte die Losung ausgegeben, angesichts der noch bis Dezember laufenden Mitgliederbefragung zur Rettungsschirmpolitik solle der Parteitag keine europapolitischen Beschlüsse fassen. Das gebiete der Respekt vor der Basis, der man mit einem Votum der Delegierten nicht vorgreifen dürfe. Westerwelle indes scherte das wenig: Er überraschte seinen Vorsitzenden mit der Ankündigung, einen Europaantrag vorbereitet zu haben, den er jederzeit einbringen könne. Der Vorstand lehnte ab.

Formal fügte sich der FDP-Chef a. D. dem Beschluss. Doch er findet Röslers Strategie des Kuschens vor der Basis kleinmütig, und damit hält er nicht hinterm Berg: Als die Delegierte Brigitte Pöpel aus Wiesbaden, die an der Seite des Abgeordneten Frank Schäffler den von der Regierung beschlossenen permanenten Rettungsschirm ESM verhindern will, Röslers Argumentation aufgriff und rief, der Parteitag sei kein repräsentativer Querschnitt der Basis, schritt der Außenminister ans Rednerpult. So etwas, sagte Westerwelle, kenne er nur von den Linken im Bundestag: "Wer für Europa ist, ist nicht gegen die Basis." Ja, rief er in den Saal, Europa habe einen Preis, aber auch einen Wert, "und wer das vergisst, macht einen historischen Fehler".

Es war ein Auftritt, wie ihn kaum jemand erwartet hatte. Der alte Kämpfer Westerwelle ist zurück, und er kann die Delegierten noch immer begeistern. Der Minister warb mit Verve dafür, sich "in der Stunde der Not" zu Europa zu bekennen. Und nebenbei warb er auch für sich selbst. Er habe Fehler gemacht und deshalb kein Parteiamt mehr. Regieren sei etwas anderes als die zehn Jahre in der Opposition: "Ich habe Zeit gebraucht, um zu verstehen, vielleicht zu lange, aber ich habe unter Schmerzen gelernt." Er sprach nur sechs Minuten, wurde laufend von Jubel unterbrochen, am Ende standen die Delegierten auf. Westerwelle verneigte sich.

Auch Rösler hatte zuvor Beifall erhalten, vier Minuten, aber der war eher freundlich bis pflichtgemäß ausgefallen. Niemand wollte eine neue Personaldebatte, deshalb scharten sich die Delegierten tapfer hinter ihren Anführer. Sie zeigten die Geschlossenheit, die sich in der Führungsriege noch nicht einstellen mag. Der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki, der im Mai 2012 eine Landtagswahl zu bestehen hat, beschrieb treffend, was viele bei Rösler vermissten: "Wir wollen ja alle kämpfen, aber dafür brauchen wir auch die Werkzeuge." Also Aufbruchstimmung und vor allem konkrete Vorschläge, mit welchen Themen die Liberalen angesichts der unterhalb der Fünfprozentmarke verharrenden Umfragewerte die Bürger von sich überzeugen können.

Für die Aufbruchstimmung jedenfalls sorgten andere. Westerwelle mit seiner emotionalen Rhetorik, der von Rösler als Wirtschaftsminister entmachtete Fraktionschef Rainer Brüderle mit einem volksnahen Appell an liberale Überzeugungen und Generalsekretär Christian Lindner mit einer brillanten Rede zur Programmatik. Ihnen war es zu verdanken, dass die Delegierten mit dem Gefühl nach Hause gingen: Ja, trotz aller Probleme lohnt es sich, für die Ziele der Partei zu arbeiten.

Rösler beschränkte sich in seiner 50-minütigen Rede darauf, so etwas wie eine inhaltliche Leitlinie für die kommenden Monate zu entwickeln. Das soll die Rolle als einzig verbliebener Hüter der sozialen Marktwirtschaft sein. Zudem grenzte er die FDP von der CDU ab, den dort diskutierten Mindestlohn lehnte er ab. Europapolitisch machte Rösler die Regulierung der Finanzmärkte zur Hauptaufgabe. Ludwig Erhard habe das Kartellrecht in der Marktwirtschaft verankert, er wolle "die Finanzmärkte unter Kontrolle bringen". Und in der Währungspolitik stellte er sich gegen die Initiatoren des Mitgliederentscheids: Die Euro-Stabilisierung gelinge nur durch die Implementierung neuer Instrumente, von automatischen Sanktionen bis zur geordneten Staateninsolvenz.

Das reichte, um die bescheiden gewordenen Delegierten zufriedenzustellen. Ob auch die Basis Rösler folgt, wird erst das Ergebnis des Mitgliederentscheids am 17. Dezember zeigen. Und Mark Rutte bekam vor Augen geführt, dass die FDP über genügend gute Spieler für ein Comeback verfügt. Sie müssen nur noch ein Team werden.