Hamburg. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) über faire Preise im Handel, Rettungseinsätze im Mittelmeer und den Hamburger Hafen.

Der Minister aus Berlin war beeindruckt: „Ich habe gerade im Hamburger Hafen Schiffe aus Asien gesehen, von denen ein einziges 120 Millionen Paar Schuhe nach Hamburg transportieren kann. Das muss man sich mal vorstellen!“ Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (und zweitprominentester Träger dieses Namens, aber er holt stark auf) war nach Hamburg gekommen, um auf Einladung der deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und des Abendblatts am „Außenpolitischen Salon“ teilzunehmen – aber auch, um sich den Hafen anzusehen.

Denn der globale Warenaustausch per Schifffahrt habe „eine riesige Bedeutung“. Und über den Hamburger Hafen laufe ein großer Teil der deutschen Exportgüter. „Das zeigt seine herausragende Bedeutung als Tor zur Welt und zu den Weltmärkten“, sagte Müller. „Der Hamburger Zoll hat mir auf meinen Wunsch hin das System der Im- und Exportkontrolle erklärt. Denn mit wachsenden Umsätzen und Exportzahlen steigt natürlich auch die Herausforderung für die Zollverwaltung. Die leisten ganz hervorragende Arbeit dort, und wir müssen sehen, dass sie modern ausgestattet sind.“

Hintergrund dieses besonderen Wunsches war Müllers Besuch in der ghanaischen Hauptstadt Accra vor Kurzem, wo er die größte Müllhalde der Welt für Elektronikschrott besichtigte. „Auf dieser Halde landet auch deutscher Elektronikschrott, der über Hamburg dorthin gebracht wird“. Und die entscheidende Frage sei, wie der Export dieses Schrotts im Hamburger Hafen kontrolliert werde. „Die Zollverwaltung macht zwar strenge Kontrollen, aber natürlich kann nicht jeder Container kontrolliert werden. Denn es ist verboten, Elektronikschrott von Hamburg nach Afrika zu verschiffen; exportiert werden dürfen nur gebrauchsfähige Produkte.“

Die Bundesregierung sei gerade dabei, die Elektronikschrott-Verordnung zu novellieren und die Hersteller zur Rücknahme zu verpflichten. Das Problem sei eben die Kontrolle. „Dass dieser Zustand beendet werden muss, wird Ihnen klar, wenn Sie in Accra auf der Müllhalde stehen, die Dämpfe einatmen, die brutalen Zustände sehen und dann eine deutsche Mikrowelle finden, die von kleinen Jungen zerlegt und abgefackelt wird“, sagt der Entwicklungsminister. „Auf dieser Müllhalde arbeiten bis zu 20.000 Kinder unter dramatischen Zuständen.“

Müller: Afrika ist auch ein Chancenkontinent

Ist Afrika für ihn denn ein verlorener Kontinent? „Nein!“, sagt Müller. „Afrika ist ein Krisen-, aber auch ein Chancenkontinent. Wir müssen differenziert auf 54 Staaten blicken, auf einen Kontinent, der fast 100mal so groß ist wie Deutschland.“ In einem Drittel dieser Staaten herrschten instabile Verhältnisse, ein weiteres Drittel sei stabil mit Anzeichen einer wirtschaftlichen Gesundung, „und ein Drittel, besteht, grob gesagt, aus Aufsteigerländern. Unter den zehn Ländern der Welt mit zweistelligen Wachstumsraten sind vier afrikanische Staaten. Afrika ist der Partnerkontinent für Europa. Er liegt ja fast in Blickweite jenseits des Mittelmeeres.“

Der 59-jährige CSU-Politiker wies darauf hin, dass Europa in Afrika eine koloniale Vergangenheit habe – und damit auch eine koloniale Verantwortung. „Wir nutzen die großartigen Ressourcen dieses Kontinents in erheblichem Ausmaß für unsere Produkte. Unser Wohlstand gründet sich darauf; denken Sie an seltene Mineralien wie Coltan für Handys, an Kakao, Kaffee, Gold, aber auch Obst, tropisches Holz und vieles mehr, dass wir aus afrikanischen Ländern beziehen. Und dafür bezahlen wir keinen fairen Preis.“ Das müsse sich ändern, benötigt würden faire Preise am Anfang der Wertschöpfungskette. „Wenn wir nur für Kakao – die Grundlage für Schokolade – zwei Cent mehr in den Produktionsländern bezahlen, dann würde eine Wertschöpfung von 150 Millionen Euro im Jahr mehr in diese Länder fließen.“

Müller betonte, dass er nicht nach einer Erhöhung staatlicher Entwicklungsgelder rufe, sondern nach der Gestaltung fairer Marktbedingungen. „Weg von der Ausbeutung, hin zur Partnerschaft mit sozialen und ökologischen Mindeststandards.“ Angesichts der vielen toten Flüchtlinge aus Afrika forderte Müller eine Neuauflage der Rettungs-Operation „Mare Nostrum“: „Das Mittelmeer darf nicht der Friedhof Europas werden. Wir sind verpflichtet, Seenotrettung, so wie sie bei „Mare Nostrum“ organisiert war, effektiv und schnell auf den Weg zu bringen. Wir können unsere Aktionen nicht nur auf Abwehr ausrichten.“

Doch ist Europa nicht überfordert mit diesem Ansturm von Menschen? „Man muss differenzieren“, sagt Müller. „Von den Asylbewerbern und Flüchtlingen, die derzeit nach Deutschland kommen, stammen rund 50 Prozent aus den Balkanländern; ohne Chance auf Anerkennung einer politischen Verfolgung. Weitere 15 Prozent kommen aus dem Syrien/Irak-Kriegsumfeld, und nur fünf bis zehn Prozent aus den afrikanischen Staaten.“

In die Jugend investieren

Müller forderte: „Wir müssen insbesondere in den Herkunftsländern dieser Flüchtlinge investieren.“ Im Umfeld des Syrien/Irak-Krieges sei sein Ministerium stark engagiert: „Zum Beispiel finanzieren wir in Beirut mit deutschen Steuergeldern den Schulbesuch von 80.000 Kindern in den nächsten zwei Jahren. An der türkisch-syrischen Grenze investieren wir mit türkischen Partnern der Welthungerhilfe in ein Ausbildungszentrum für praktische Berufe wie Installateur oder Bauhandwerker.“ Syrien müsse nach dem Krieg wiederaufgebaut werden. „Dazu investieren wir in die Jugend.“

Bezüglich der Entwicklungshilfe hat Müllers Ministerium drei inhaltliche Schwerpunkte gesetzt: „Erstens eine Welt ohne Hunger. Wir investieren dazu in die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Zweitens die Förderung der Gesundheit zum Beispiel mit einer Reduzierung der Kinder- und Müttersterblichkeit.“

Der dritte Schwerpunkt sei Ausbildung und Erziehung. „In Afrika sind 50 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahre alt, und davon sind mindestens 50 Prozent ohne Arbeit und Lebensperspektive. Wir müssen diesen jungen Menschen eine Chance auf eine Zukunft in ihren Ländern bieten. Ansonsten kommen sie zu uns.“