Dem verurteilten Kindesmörder Magnus Gäfgen wurde wegen Folterdrohungen der Polizei eine Entschädigung in Höhe von 3000 Euro vom Land Hessen zugesprochen. Das entschied das Frankfurter Landgericht.

Frankfurt. Magnus Gäfgen hat wegen der Androhung von Folter durch Polizeibeamte Anspruch auf Schmerzensgeld. Das Frankfurter Landgericht verurteilte das Land Hessen am Donnerstag zu einer Entschädigung von 3000 Euro plus Zinsen an den 36-Jährigen, der wegen der Ermordung des Bankierssohns Jakob von Metzler vor knapp neun Jahren eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. Die hessische Polizei habe Gäfgen im Verhör mit Gewalt bedroht und damit seine Menschenwürde in erheblichem Ausmaß verletzt, sagte der Vorsitzende Richter Christoph Hefter.

„Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich auch in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben“, begründete Hefter den Urteilsspruch. Die Frankfurter Polizei habe mit Billigung des Innenministeriums „planvoll, vorsätzlich und in Kenntnis der Rechtswidrigkeit“ das höchste Verfassungsgut – die Menschenwürde – verletzt.

Die Polizei hatte in dem Verhör am 1. Oktober 2002 von Gäfgen den Aufenthaltsort des elfjährigen Jungen erfahren wollen, der wenige Tage zuvor entführt worden war. Der damalige Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner ordnete in Absprache mit dem Ministerium an, Gäfgen schwere Schmerzen anzudrohen, und entsprechende Vorbereitungen zu treffen. In dem Verhör gab Gäfgen seinen Widerstand auf – er erklärte, dass das Kind bereits tot sei, und führte die Beamten zu der Leiche an einem

Hefter hielt den Polizisten zugute, dass sie den Jungen in höchster Lebensgefahr wähnten, während Gäfgen sie auf eine falsche Fährte zu locken versuchte. „Das provozierende und skrupellose Aussageverhalten strapazierte die Nerven der Beteiligten aufs Äußerste“, sagte Hefter. „Dieser außerordentliche Druck darf ihnen zugute gehalten werden.“

Das Gericht sprach Gäfgen deshalb deutlich weniger Geld zu als den von ihm geforderten Mindestbetrag von 10.000 Euro. Zudem entfallen vier Fünftel der Prozesskosten auf Gäfgen und ein Fünftel auf das Land. In der Praxis dürften die Geldbeträge aber kaum eine Rolle spielen, da das Land dem mittellosen Gäfgen laut Gerichtsbeschluss die Prozesskosten ohnehin zahlen muss. Dabei könnte auch eine Aufrechnung mit dem Schmerzensgeldanspruch infrage kommen.

Alle Beteiligten zeigten sich zufrieden

Die Anwälte beider Seiten äußerten sich zufrieden, behielten sich aber eine genauere Prüfung des noch nicht rechtskräftigen Urteils vor. Gäfgens Anwalt Michael Heuchemer sagte der Nachrichtenagentur Reuters, das Gericht habe klargestellt, dass Menschenwürde und Gleichheit vor Recht und Gesetz nicht nur Gegenstand von Sonntagsreden seien. „Das ist ein wichtiges Zeichen.“ Rechtsanwalt Thomas Kittner, der das Land Hessen vertritt, sagte: „Es ist ein Urteil, dass für mich sehr ausgewogen klingt.“ Die Gerichtsentscheidung werde nun mit dem Land beraten.

Aus Politik und Verbänden kam dagegen heftige Kritik. „Das Urteil ist ein Schlag ins Gesicht der Eltern und Angehörigen des Opfers Jakob von Metzler“, sagte der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach, (CDU) der „Bild“-Zeitung (Freitagausgabe). Ähnlich äußerte sich die Opferhilfe-Organisation „Weißer Ring“. „Das ist ein Urteil, das die Bürger nicht verstehen können, auch nicht verstehen werden“, sagte Verbandsprecher Helmut Rüster dem Sender N24. Die Gewerkschaft der Polizei warnte vor Einschränkungen der Ermittlungsarbeit. „Das Urteil darf nicht zur Folge haben, dass die Polizei in Vernehmungssituationen nicht mehr intensiv nachfragen darf“, erklärte der Bundesvorsitzende Bernhard Witthaut. Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz verteidigte dagegen das Urteil. „Falls die Androhung von Folter in Deutschland zulässig wäre, hätten wir keinen Rechtsstaat“, sagte Wiefelspütz dem „Tagesspiegel“ (Freitagsausgabe).