Plagiats-Jäger enttarnten Silvana Koch-Mehrin und Karl-Theodor zu Guttenberg als Abschreiber. Wer sind die selbst ernannten Aufklärer?

Hamburg. "Alle Leute, die Wissenschaft falsch betreiben, habe ich auf dem Kieker." Debora Weber-Wulff meint es ernst. Auf dem Kieker hatte sie bereits: Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), Ex-Vize-Europaparlamentspräsidentin Silvana Koch-Mehrin (FDP) und die Stoiber-Tochter Veronica Saß. Ihren Doktortitel sind alle drei los. Guttenberg trat von allen politischen Ämtern zurück, Koch-Mehrin will jetzt nur noch einfache Europaabgeordnete sein. Hinzu kommt der Spott. Für die Blamage verantwortlich sind Debora Weber-Wulff und ihre Kollegen.

Weber-Wulff ist eine der Online-Aktivisten, die im Internet die Plagiate der Prominenten enthüllte. Die Seiten heißen GuttenPlag Wiki, oder VroniPlag Wiki. Guttenberg wiesen die Internet-Jäger bislang Plagiate auf 371 von 393 Seiten nach. Bei Koch-Mehrin waren es 63 Plagiate auf 227 Seiten, bei Saß 190 auf 383 Seiten. Auf Grafiken, die wie Strichcodes aussahen, wurde der Schwindel dokumentiert. Das Grimme-Institut hat das Projekt jetzt für den Grimme-Online-Award nominiert.

Die Informatikerin Debora Weber-Wulff ist Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. Sie hat mitgeholfen, die Abschreiber zu überführen - in ihrer Freizeit. Sie sagt, sie mache es, um die Wissenschaft zu schützen. "Ich finde es unerträglich, wie sich Politiker und Manager mit Doktortiteln schmücken, obwohl sie nicht wissenschaftlich gearbeitet haben. Diese Menschen ziehen die Wissenschaft in den Dreck", sagt sie.

In den Fällen Guttenberg, Koch-Mehrin und Saß haben zwischen 800 und 1000 Menschen Beiträge geleistet, um sie zu überführen. Wer sind diese Menschen? Warum machen sie das?

Julius Reimer arbeitet am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Für eine Studie hat er Plagiats-Jäger befragt. Das Ergebnis: Das Durchschnittsalter der überwiegend männlichen Jäger liegt bei 38 Jahren, mehr als 60 Prozent haben einen Hochschulabschluss, fast jeder Fünfte hat einen Doktortitel. Und: Zum harten Kern der Aufklärer gehören nur bis zu 30 Menschen. Der typische Plagiats-Jäger ist links: In der Umfrage kamen die Grünen in der Präferenz auf den ersten Platz, die SPD auf den zweiten. Die Union landete ganz hinten. "Eine politische Motivation ist nicht von der Hand zu weisen", sagt Reimer. Allerdings hätten sich auch viele im Fall Guttenberg deshalb in die Arbeit gestürzt, weil der Politiker die Vorwürfe als "abstrus" bezeichnet hatte. Weiteres Motiv der selbst ernannten Aufklärer: die Faszination an dem neuen Aufklärungswerkzeug. "GuttenPlag ist gelebte Demokratie", antwortete einer der Befragten in der Studie.

Anderen geht es um die Wissenschaft, so wie Debora Weber-Wulff. Seit zehn Jahren beschäftigt sie sich mit Plagiaten. Sie wünscht sich eine transparente Welt. Alle Personen des öffentlichen Lebens sollen durchleuchtet werden. Egal, was sich jemand zuschulden kommen lässt - es gehört ihrer Meinung nach in die Öffentlichkeit. "Persönlichkeitsrechte werden oft als Schild benutzt", sagt sie. Mitleid empfindet sie mit den Gefallenen nicht. Dass Silvana Koch-Mehrin jetzt einfache Abgeordnete bleiben will, kann sie nicht nachvollziehen. "Die hat ihren Doktortitel im Wahlkampf eingesetzt - sie war das blonde Model mit dem Doktortitel. Sie hätte komplett zurücktreten müssen." Sogar Fußnoten habe die FDP-Politikerin frei erfunden. Das sei nur aufgeflogen, weil ein Aktivist der Internet-Plattform die Stelle im Originalwerk nachgeschlagen hatte.

Doch wie rigoros darf der Pranger angewendet werden? Und für wen? Weber-Wulff sagt, dass sich in den vergangenen Wochen viele Interessenten gemeldet hätten. "Die einen wollten ihre eigene Arbeit von uns checken lassen. Andere wollten jemanden anschwärzen." Dass die Situation eskaliert, befürchtet Weber-Wulff nicht. Obwohl Veronica Saß nur deshalb aufflog, weil sie die Tochter von Stoiber ist. Ob Promi oder nicht ist Weber-Wulff eigentlich egal. Der Fall sei gemeldet worden, der Rest seien klare Fakten gewesen.

Das Risiko einer Vorverurteilung durch die Öffentlichkeit und eines daraus entstehenden Imageschadens für die Verdächtigen hält sie für vernachlässigbar. Denn zur großen Plagiatssuche im Netz werde eine Arbeit erst freigegeben, wenn sich ein Anfangsverdacht bestätigt habe. Auf jeder zehnten Seite müssen Plagiate gefunden werden, dann wird die Universität informiert - und erst dann wird der Fall ins Netz gestellt. "Gegen Guttenberg lag also schon etwas vor, bevor wir aktiv geworden sind", sagt sie. Es gebe auch Fälle, die nicht so klar seien, diese würden nicht publik gemacht.

Bei Prominenten scheinen die Skrupel nicht allzu ausgeprägt zu sein. Die Aktivisten haben eine "Liste untersuchenswerter Arbeiten" veröffentlicht. Darauf stehen Namen wie: Angela Merkel, Margot Käßmann, Ursula von der Leyen. Aber auch der Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke und Ex-HSH-Nordbank-Chef Jens Nonnenmacher müssen mit Überprüfungen rechnen. Selbst vor dem Oberhaupt der katholischen Kirche schrecken die Plagiats-Jäger nicht zurück: Auch Papst Benedikt XVI steht auf der Liste.