Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) über Stuttgart 21, richtige und falsche Zuwanderer - und über Konkurrenz für Merkel.

Stuttgart. Seine politische Karriere könnte zu Ende sein, bevor sie richtig begonnen hat. Denn die Landtagswahl in Baden-Württemberg wird zur Volksabstimmung über das umstrittene Bahnprojekt in der schwäbischen Metropole. Im Abendblatt-Interview sagt Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU), wie er das Blatt noch wenden will.

Hamburger Abendblatt:

Herr Mappus, haben Sie schon Pläne für die Zeit nach dem 27. März?

Stefan Mappus:

Klar.

Gehen Sie in die Wirtschaft?

Mappus:

Warum das denn? Ich will nach der Landtagswahl meine erfolgreiche Arbeit als Ministerpräsident in einer schwarz-gelben Koalition fortsetzen.

Umfragen deuten eher auf einen grünen Ministerpräsidenten, der mit der SPD regieren kann ...

Mappus:

Die Landtagswahl ist in fünf Monaten. Bis dahin sieht die Sache anders aus. Zumal Baden-Württemberg unter unserer Führung gut dasteht, von den Jobs über die Bildung bis zur inneren Sicherheit.

Die Bürger gehen gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 auf die Barrikaden - und gegen die schwarz-gelbe Landesregierung ...

Mappus:

... nicht die Bürger. Ja, es gehen durchaus viele auf die Straße, und das ist ihr gutes Recht. Aber Baden-Württemberg besteht aus 10,7 Millionen Bürgern. Und inzwischen kämpfen und demonstrieren ja auch viele für dieses Generationenprojekt. Wenn wir uns einen Vorwurf machen müssen, dann ist es der, dass wir in den vergangenen Jahren die Menschen nicht ausreichend mitgenommen haben. Viele, die heute skeptisch sind, waren noch Kinder, als die Geschichte von Stuttgart 21 begann. Da ist manches versäumt worden. Daraus habe ich gelernt.

Und zwar was genau?

Mappus:

Wir brauchen eine zweigeteilte Strategie. Wir stehen zu Stuttgart 21. Aber wir geben den Gegnern die Gelegenheit, ihre Argumente in einem direkten Vergleich mit unseren Pro-Argumenten auf den Tisch zu legen und das Ganze einem Faktencheck zu unterziehen. Deshalb jetzt die Schlichtung.

In Hamburg haben die Bürger eine Schulreform gestoppt. Warum soll es ihnen nicht gelingen, in Stuttgart ein Bahnprojekt zu stoppen?

Mappus:

Das ist nicht vergleichbar. Das Schulprojekt wurde gestoppt, bevor es begonnen hatte. In Stuttgart wird seit einem halben Jahr gebaut. Ich möchte in keinem Land leben, in dem ein gegebenes Wort, ein Vertrag oder ein Gesetz nichts mehr gelten.

Wie könnte ein Kompromiss aussehen? Der Bahnhof lässt sich ja nicht halbtief legen ...

Mappus:

Stuttgart 21 wird kommen, und es wird ein Glücksfall für viele Generationen werden. Vieles ist aber noch gar nicht geplant. In der Stadt werden, wo jetzt Gleise sind, über 100 Hektar frei.

Ich bin dafür, die Menschen in Stuttgart aktiv an der Planung des neuen Stadtteils zu beteiligen. Ganz klar: In der Stuttgarter Innenstadt kann eine Ökocity entstehen, die Modellcharakter für ganz Deutschland hat - mit Null-Energie-Häusern und Parks. Wir machen jedenfalls nichts über die Köpfe der Bürger hinweg. Ich bin froh, dass Oberbürgermeister Schuster diesen Prozess jetzt aktiv in die Hand nimmt.

Aber für den Bahnhof gilt: Basta, er kommt wie geplant.

Mappus:

Ich heiße nicht Schröder. Schröder und Basta sind Vergangenheit. Änderungen kann ich mir auch an der Planung des Bahnhofs vorstellen. Ob der Entwurf mit den Bullaugen an der Oberfläche umgesetzt wird, ist noch nicht ausgemacht.

Verkehrsminister Ramsauer ist sehr beeindruckt aus China zurückgekehrt. Er hat erfahren, wie entschlossen Infrastrukturprojekte im Reich der Mitte durchgesetzt werden ...

Mappus:

(lacht) ... da gibt es halt die Grünen nicht.

Wird die deutsche Protestkultur zum Wettbewerbsnachteil?

Mappus:

Ich will es so formulieren: Wenn wir es in Deutschland nicht schaffen, schnellere Verfahren hinzubekommen, dann bekommen wir Probleme. Wir müssen die Menschen einerseits mehr mitnehmen. Aber wir müssen Infrastrukturprojekte andererseits auch beschleunigen.

Ein Hauch China könnte also nicht schaden?

Mappus:

Ich empfinde keine besondere Nähe zu Kommunisten und auch nicht zu autokratischen Systemen. Da müssen Sie die Linken fragen. Die haben dafür vielleicht mehr Sympathie.

Macht Heiner Geißler als Schlichter einen guten Job?

Mappus:

Er macht einen außerordentlich guten Job.

Zum Auftakt hat er einen Baustopp verkündet, den es gar nicht gab.

Mappus:

Ach ja, das waren die Turbulenzen am ersten Tag. Geschenkt. Man kann ein Rennen auch gewinnen, wenn der Start nicht optimal war.

Die Schlichtung führt zwangsläufig zu einem Volksentscheid - sagt SPD-Chef Gabriel ...

Mappus:

Diese Folgerung ist weder logisch noch zwingend. Wir haben eine Verfassung, die sich zur repräsentativen Demokratie bekennt. Volksentscheide sollen in wenigen, ganz spezifischen Fällen stattfinden. Herr Gabriel missbraucht die Verfassung, um davon abzulenken, dass die SPD in Baden-Württemberg völlig zerstritten ist.

Ein Volksentscheid bleibt ausgeschlossen?

Mappus:

Eine Volksabstimmung über Stuttgart 21 ist nicht möglich. Diese Auffassung vertritt der Präsident des Bundesverfassungsgerichts und der ebenfalls hoch angesehene Professor Kirchhof hat dies in einem Gutachten ausführlich untermauert. Hunderte Millionen Euro sind bereits in das Projekt geflossen. Da ist es geradezu fahrlässig, dem Volk den Eindruck zu vermitteln, man könne Stuttgart 21 noch auf null stellen. Wer einen Volksentscheid fordert, weiß, dass er etwas fordert, was gar nicht geht.

Noch 21 Wochen - dann ist Landtagswahl. Welches Kaninchen können Sie noch aus dem Hut zaubern?

Mappus:

Ich betrachte Politik nicht als Ansammlung von Zauberkunststücken, sondern als möglichst solides, kreatives Handwerk. Die Bilanz von Baden-Württemberg ist so gut, dass sich die allermeisten Bundesländer die Finger danach lecken. Wenn andere so erfolgreich wären, würden die Verantwortlichen mit einer Sänfte durchs Land getragen. Bei uns scheint manches zu selbstverständlich zu sein.

Roland Koch hatte ein Kaninchen, als er vor der Hessen-Wahl 1999 fast aussichtslos hinter Hans Eichel zurücklag. Er startete eine Unterschriftensammlung zur doppelten Staatsbürgerschaft - und gewann. Zuwanderung ist auch heute ein großes Thema ...

Mappus:

Wir werden die Wahl mit einer Erfolgsbilanz, mit guten Zukunftsplänen und damit gewinnen, dass wir für solide Verlässlichkeit stehen.

Der Bundespräsident sagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Würden Sie das auch so formulieren?

Mappus:

Es leben Millionen Muslime in Deutschland. Wir müssen alles dafür tun, sie zu integrieren - ohne ihre Religionsfreiheit einzuschränken. Unsere Verfassung basiert aber auf dem christlich-jüdischen Menschenbild - und nicht auf dem islamischen. Und darauf legen viele Bürger auch großen Wert.

Braucht Deutschland weitere Zuwanderung aus muslimischen Ländern?

Mappus:

Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte. Die gewinnen wir in erster Linie durch optimale Aus- und Weiterbildung im Land. Zuwanderung kann Lücken schließen, allerdings darf es keine Zuwanderung in die Sozialsysteme mehr geben. Und qualifizierte Ausländer, die Lücken schließen jenseits unserer Möglichkeiten, Leute zu qualifizieren, sind natürlich in Deutschland willkommen.

Geht der Staat zu lasch mit Integrationsverweigerern um?

Mappus:

Es muss Konsequenzen haben, wenn jemand sich der Integration beharrlich entzieht. Zuwanderer, die Sozialleistungen erhalten, sich aber nicht integrieren wollen, sind ausdrücklich nicht willkommen.

Wer nicht Deutsch lernt, wird abgeschoben?

Mappus:

Ich bin für ein abgestuftes Verfahren. Zunächst können staatliche Leistungen gekürzt werden, um Druck auszuüben. Das erwarten die Menschen zu Recht von der Politik. Und ich bin sicher, dass das auch hilft.

Herr Mappus, welcher der drei Parteivorsitzenden der schwarz-gelben Koalition macht auf Sie zurzeit den stabilsten Eindruck: Guido Westerwelle, Horst Seehofer oder Angela Merkel?

Mappus:

Die Chefin. Schon deshalb, weil sie als Kanzlerin und Parteivorsitzende das Ruder fest in der Hand hat und wirklich einen sehr guten Job macht.

Könnte Angela Merkel einen Machtverlust der CDU in Baden-Württemberg politisch überleben?

Mappus:

Die Frage stellt sich nicht, weil wir gemeinsam alles tun werden, um die Wahl zu gewinnen.

Wie nehmen Sie die Debatte um einen Kanzlerkandidaten Guttenberg wahr?

Mappus:

Ich finde Guttenberg gut. Prima, dass er zu uns in der Union gehört. Er ist jung, und man kann sich vieles für ihn vorstellen. Aber die Position der Bundeskanzlerin steht nicht zur Disposition - weder vor noch nach dem 27. März.

Die FDP schwächelt nachhaltig. Muss sich die Union an die Grünen als Koalitionspartner gewöhnen?

Mappus:

Ich will natürlich möglichst viel CDU-Politik durchsetzen. Eine Koalition bildet man aber, jedenfalls nach meiner Überzeugung, mit der Partei, mit der man die meisten Überschneidungspunkte hat. In Baden-Württemberg würde ich die FDP den Grünen immer vorziehen.

Ist Schwarz-Grün in Baden-Württemberg undenkbar?

Mappus:

Am Ende entscheidet der Wähler, welche Konstellationen möglich sind. Ausschließen kann man gar nichts - es wäre doch arrogant, so etwas zu tun, weil Demokraten grundsätzlich miteinander zusammenarbeiten können. Aber ich empfinde die Diskussion als künstlich. CDU und FDP arbeiten sehr gut und sehr erfolgreich zusammen. So kann man doch selbstbewusst vor die Wähler treten.

Die Spitzen-Grünen Künast und Roth schließen Schwarz-Grün im Bund aus.

Mappus:

Drei Jahre vor einer Bundestagswahl ist das auch eine künstliche Debatte. Die Grünen sind übrigens ohne eigenes Zutun in höchste Regionen aufgestiegen. Sie haben wohl derzeit Probleme, aus der Vogelperspektive noch den Boden zu erkennen. Aber meistens gibt sich das sehr schnell.