Karl Günther Barth, Mitglied der Chefredaktion, vertritt das Recht auf Privatsphäre, auch im Netz.

Der wohl arroganteste Konzern der Welt hört auf den Namen Google. Die Suchmaschinenfirma hat in den vergangenen Monaten 20 Städte in Deutschland Straße um Straße, Haus um Haus fotografiert - ohne einen der Besitzer oder Bewohner je gefragt zu haben. Entstanden ist eine elektronische Karte in einer Gesamtheit, an der Gestapo und Stasi ihre helle Freude gehabt hätten.

Ende des Jahres soll die digitale Fotosammlung weltweit für jeden einsehbar ins Netz gestellt werden: von Boston bis Burkina Faso, von Sibirien bis Stuttgart kann dann jeder sehen, wie es in Wandsbek in Ihrem Vorgarten aussieht. Wer das nicht mit seiner Wohnung machen lassen will, dem gewährt Herr Digital-Titan gnädig die Möglichkeit, Einspruch einzulegen. So selbstherrlich traut sich heute kein demokratischer Staat, mit seinen Bürgern umzugehen. Natürlich versteht der Suchmaschinenkonzern die Aufregung um sein Vorgehen nicht. Und mit ihm viele Leute, die das ganze auch noch geil finden.

Google ist ein Privatunternehmen, das nicht von Gottes Lohn, sondern von Werbung in seinen Netzen lebt - und jeder Nutzer bezahlt zusätzlich mit seinen Daten. Zum Nutzen der Werbewirtschaft. Googles Maschinen merken sich jede Anfrage und ordnen sie einem bestimmten Internetbenutzer zu. Daraus ergibt sich ein Profil über Alter, Geschlecht, Wohnort, Gewohnheiten und womöglich finanzielle Verhältnisse. Dazu wird, ideal für die Werbewirtschaft, die passende Annonce eingeblendet. Google hat im vergangenen Jahr 23,7 Mrd. Dollar umgesetzt, unterm Strich blieben 6,5 Mrd. Gewinn.

Das ist, mitten im Kapitalismus eine Art von Datenkommunismus, in dem die Nutzer, außer mit ihren Daten, nichts bezahlen, die Betreiber aber abkassieren. Im realen Sozialismus waren das die Bonzen, die es besser hatten. Die aber, deren Häuser und Wohnungen von Google fotografiert wurden, bekommen natürlich keinen Cent ab.

Sollte, wer bei Facebook seine privatesten Gefühle offenbart, seine Ängste oder gar sexuellen Vorlieben, etwa keine Angst vor Straßenansichten haben? Das aber tut der User, so heißt es, ganz freiwillig. Google hat niemanden gefragt, ob man Haus oder Wohnung fotografieren darf - für die User dieser Welt, die man so zu Voyeuren macht. Der User guckt, Google kassiert. Im wirklichen Leben könnte man das auch eine Form der Zuhälterei nennen.

Das sagt Oliver Schirg, Chef von abendblatt.de, zum Thema Google Street View: Pro: "Eine Scheindebatte"

1983 hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur damals geplanten Volkszählung eine Art Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschaffen. Die Richter fürchteten, dass Informationen zu bestimmten Personen unbegrenzt speicherbar und in Sekundenschnelle abrufbar sein könnten, ohne dass der Betroffene die Verwendung zureichend kontrollieren könnte. War damit schon, prophetisch genug, gemeint, dass Einbrecher ihre Diebeszüge am heimischen Computer bei Google Street View planen könnten, Pädophile nach spielenden Kindern (selbstverständlich sind die Gesichter gepixelt) in Vorgärten Ausschau halten und Banken vor der Vergabe von Kleinkrediten nachschauen könnten: Na, wie wohnt der denn? Und Ihr altes Sofa, das Sie zum Zeitpunkt der Google-Aufnahme für den Sperrmüll rausgestellt hatten, steht jahrelang vor Ihrem Haus?

Die meistern merken nicht einmal, wie Google die Deutschen verhöhnt. "Mit Street View können Sie Straßen, Plätze und Sehenswürdigkeiten, wie das Colloseum in Rom oder den Zürich See in einer 360°-Ansicht erleben." Erstens gibt es davon schon viele tolle Fotos. Zweitens muss, wer in Amerika im Internet den Michel bestaunen will, nicht wissen, wie in einer stillen Reihenhaussiedlung in Wandsbek die Vorgärten aussehen. Verkehrte Welt: Wer heute noch auf Privatheit pocht, gilt schnell als Spießer, und wer da nicht mitgoogelt, ist reif für den Rollator.