Sind dem Gesetzgeber Sportschützen wichtiger als das Recht auf Leben? Angehörige von Opfern des Amoklaufs in Winnenden wollen Antworten.

Karlsruhe. Waffengegner der Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ haben am Mittwoch in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen das Waffengesetz eingelegt. Sie halten das Gesetz für verfassungswidrig, weil es die Interessen von Sportschützen über das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit stelle. Zwei der Kläger sind selbst betroffen: Ihre Kinder starben beim Amoklauf in einer Schule in Winnenden (Baden-Württemberg) im März 2009. Der 17-jährige Täter erschoss 15 Menschen. Die Waffe hatte er seinem Vater entwendet, einem Sportschützen.

Die Töchter von Barbara Nalepa und Juri Minasenko gingen in dieselbe Klasse der Albertville-Realschule in Winnenden. Sie waren 17 und 16 Jahre alt. Eine der Kugeln, erzählte Barbara Nelepa, habe zunächst ihre Tochter durchschossen und dann ihre Klassenkameradin getroffen. „Diese Waffen sind zum Töten gemacht, das ist kein Spielzeug“, sagte Nalepa.

Der Täter verwendete eine Beretta-Pistole, Kaliber 9 Millimeter. Sein Vater durfte die Waffe als Sportschütze legal besitzen. Er muss sich allerdings wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz vor dem Landgericht Stuttgart verantworten, da er die Pistole unverschlossen im Schlafzimmer aufbewahrte.

Die Kläger waren persönlich nach Karlsruhe gekommen, um ihre Verfassungsbeschwerden einzureichen. „Das Waffengesetz gibt dem Recht auf Schießsport nach wie vor Vorrang vor dem Recht auf Leben“, sagte der Sprecher der Initiative, Roman Grafe. Daran hätten auch die Verschärfungen des Waffenrechts im vergangenen Sommer nichts geändert. „Das Recht auf Leben ist in Artikel 2 des Grundgesetzes geschützt“, sagte Grafe. „Freizeitinteressen haben sich dem unterzuordnen.“ Der Gesetzgeber habe jedoch die Sonderinteressen der Sportschützen über das Interesse der Mehrheit an Sicherheit vor Schusswaffen gestellt. Das Waffengesetz sei Unrecht, weil es einen wirksamen Schutz der Bevölkerung vor Waffenmissbrauch nur vortäusche. „Wer erlaubt, dass tödliche Schusswaffen millionenfach als Sportgeräte verteilt werden, muss damit rechnen, dass diese Waffen zum Morden benutzt werden“, heißt es in der Antragsschrift.

Grünen-Chefin Claudia Roth forderte die Bundesregierung auf, eine Verschärfung des Waffenrechts in die Wege zu leiten. „Zwingend notwendig sind eine dramatische Abrüstung von tödlichen Schusswaffen in Privathaushalten sowie ein Verbot tödlicher Schusswaffen beim Schießsport“, hieß es in einer Erklärung. Die Bundesregierung gab keine Stellungnahme ab. Nach Angaben aus Regierungskreisen soll zunächst abgewartet werden, wie sich die im vergangenen Jahr eingeführten Regelungen des Waffenrechts bewähren. Das neue Waffenrecht ermöglicht unter anderem verdachtsunabhängige Kontrollen von Waffenbesitzern. Die Altersgrenze, ab der Jugendliche mit Großkaliber-Waffen schießen dürfen, wurde von 14 auf 18 Jahre heraufgesetzt. Diese Neuregelungen halten die Kläger der Initiative jedoch bei weitem nicht für ausreichend. Die Waffengegner fordern ein völliges Verbot tödlicher Waffen im Schießsport.

Die beiden jüngeren Kinder von Barbara Nalepa gehen auf die Grundschule. „Ich schicke sie zur Schule, obwohl sie Angst haben“, sagte Nalepa. „Ich will für meine Kinder kämpfen und für alle, die jetzt noch die Schule besuchen.“