Der Parteichef stellt Bedingungen an die CDU in Nordrhein-Westfalen und hofft, dass von Hamburg ein historisches Signal gegen Schwarz-Gelb ausgehen kann.

Berlin. Cem Özdemir steht ein anstrengendes Wochenende bevor. An diesem Sonnabend wird er sich in Hamburg in die Anti-Atom-Menschenkette einreihen, die nach Vorstellungen der Veranstalter 120 Kilometer lang werden soll. Danach geht es für den Grünen-Chef nach Nordrhein-Westfalen in den Wahlkampf und zu einem Parteitag nach Köln. Sonntagabend will Özdemir schon im Flugzeug sitzen: US-Präsident Barack Obama empfängt den muslimischen Politiker zu einer Diskussionsveranstaltung. Dem Abendblatt verriet Özdemir in der Grünen-Parteizentrale, was er Obama sagen möchte.

Hamburger Abendblatt: Herr Özdemir, wie müssen wir uns Ihren ganz privaten Kampf gegen die Atomkraft vorstellen?

Cem Özdemir: Zum Beispiel über die Wahl des Stromanbieters, so wie bei jedem anderen Verbraucher auch. Ich beziehe den Strom für meine Berliner Wohnung aus Baden-Württemberg von den sogenannten Stromrebellen aus Schönau. Die haben ihr Netz von einem Stromanbieter zurückgekauft und bieten Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien an. Ich bin also nicht auf Atomstrom angewiesen.

Finden Sie das als Protest ausreichend?

Jeder weitere Protest ist politisch. Ich kämpfe für den gesellschaftlichen Konsens, dass wir aus der Atomkraft aussteigen müssen. Die schwarz-gelbe Bundesregierung will diesen Konsens ja offenbar wieder auflösen. Unsere Antwort darauf wird am Sonnabend die größte Menschenkette im Nachkriegsdeutschland sein, die wir in und um Hamburg bilden wollen.

Diese Kette soll 120 Kilometer lang sein und die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel verbinden. Wie wollen Sie so viele Menschen mobilisieren?

Allein die Grünen fahren mit 80 Bussen aus ganz Deutschland an verschiedene Streckenabschnitte. Das breite Bündnis hat insgesamt ein riesengroßes Mobilisierungspotenzial. Wir arbeiten Tag und Nacht und sind guter Hoffnung, diese unglaublich lange Menschenkette tatsächlich bilden zu können. Gelingt uns das, wird es ein historisches Signal gegen den von Schwarz-Gelb geplanten Wiedereinstieg in die Atomkraft.

Krümmel und Brunsbüttel sind doch im Moment vom Netz. Es ist unklar, ob sie je wieder angeschaltet werden. Warum soll man gerade dort demonstrieren?

Diese beiden Atomkraftwerke sind dauerdefekte Schrottreaktoren. Sie dürfen nie wieder ans Netz gehen. Schwarz-Gelb richtet sich konsequent gegen den erklärten Willen der deutschen Bevölkerung, aus der Atomkraft auszusteigen. Und das wird die Regierung am Sonnabend zu spüren bekommen.

Werden die Menschen eigentlich genug über die Atomenergie aufgeklärt?

Nicht allen Menschen ist bewusst, was die Atomkraft für Konsequenzen mit sich bringt. Eine durchschnittliche Verlängerung der Laufzeiten um 30 Jahre bedeutet doppelt so viel Atommüll, wie wir heute haben. Wir sehen in Gorleben und Asse, dass wir in Salzstöcken keine sichere Lagerung garantieren können. Das große Industrieland Deutschland ist nicht in der Lage, das Endlagerproblem zu lösen.

Die CDU denkt laut über eine Laufzeitverlängerung der Akws nach. Gleichzeitig haben die Grünen in NRW keine Skrupel vor einer schwarz-grünen Koalition. Geht Ihnen diese Offenheit zu weit?

Nein. Wir kämpfen für einen rot-grünen Politikwechsel in NRW. Alles andere sind in NRW Zweitoptionen, wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte.

Sie wollen mit der SPD, können aber auch mit der CDU. Das klingt nach politischer Beliebigkeit.

Im Gegenteil. Überall, wo wir regieren, hinterlassen wir unsere deutliche grüne Handschrift. In Hamburg ist dies so beim längeren gemeinsamen Lernen. Im Saarland ist es so bei der Abschaffung der Studiengebühren. Und in NRW gibt es klare Bedingungen für Bündnisse, das gilt auch für mögliche Gespräche mit der CDU.

Die wären?

Ein zentraler Punkt ist für uns, dass der Atomausstieg mit Brief und Siegel garantiert sein muss. Hier geht es allein um unser Gewicht im Bundesrat, und dort werden wir einem Ausstieg aus dem Ausstieg niemals zustimmen. Das muss auch Herr Rüttgers wissen. Wir wollen auch eine Brennelemente-Steuer und die Atomindustrie an den von ihr verursachten Kosten, etwa in der Asse, angemessen beteiligen.

Warum so kompromisslos?

Der Atomausstieg ist für uns unverhandelbar. Das ist quasi genetisch bedingt, so wie die SPD niemals auf ihre Bergarbeiter-Lieder verzichten könnte. Die Grünen sind an den Akw-Bauzäunen dieser Republik gezeugt worden, manche von uns sogar sprichwörtlich. Wir können und wollen unsere Herkunft nicht verleugnen. Bei diesem Punkt sagen wir: bis hierher und nicht weiter.

Vor der NRW-Wahl setzt die SPD voll aufs rot-grüne Lager. Wollen Sie überhaupt in dieses Lager zurück?

Wir wollen in gar kein Lager. Wenn es ein Lager gibt, dann das grüne Lager. 48 Prozent der Menschen in Deutschland können sich theoretisch vorstellen, die Grünen zu wählen. Es gibt also gar keine Veranlassung, sich als Teil eines rot-grünen Lagers zu sehen. Sie können sicher sein, wir werden in NRW mit der SPD keinesfalls an die alte, 2005 abgewählte Koalition anknüpfen.

Fühlen Sie sich von der SPD unter Druck gesetzt?

Nein, wir sind eine Braut, die sich nicht scheut, umgarnt zu werden. Wir sind nicht das Beiboot irgendeiner Partei. Die Tatsache, dass wir Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen wollen, heißt nicht, dass wir uns die SPD schöner reden, als sie ist. Die Vorliebe der NRW-SPD für Kohle ist für uns ein ernsthaftes Problem. Wir treffen rationale Abwägungen und da zählt in NRW der gemeinsame Wille für eine bessere Bildungspolitik, lebensfähige Kommunen und vieles mehr.

Wären die Grünen mit an Bord, wenn es nur für eine rot-rot-grüne Regierung reicht?

Wer in Nordrhein-Westfalen regieren möchte, der muss unter den Gesetzen der Haushaltskonsolidierung und der Schuldenbremse vernünftige Politik machen. Eine Verstaatlichung von Opel und von Banken und andere Absonderlichkeiten wird es mit uns nicht geben.

Würden Sie nun mit der Linken koalieren oder nicht?

Wenn es zu Rot-Grün nicht reichen sollte, dann ist es der Wille der Wählerinnen und Wähler, dass wir Alternativen ausloten. Dann setzen wir uns auch mit der Linken an einen Tisch und werden sehr schnell sehen, ob man mit dieser Partei arbeiten kann. Ich bin allerdings im höchsten Maße skeptisch, ob ausgerechnet in NRW ein Bündnis mit der Linkspartei verantwortungsvoll funktionieren kann.

Herr Özdemir, wie oft haben Sie zuletzt im Koran gelesen?

Das ist schon eine ganze Weile her. Ich kenne mehr Zitate aus dem Neuen Testament als aus dem Koran, weil ich in meiner Schulzeit in Bad Urach im evangelischen Religionsunterricht war.

Nun sind Sie aber als muslimischer Politiker von US-Präsident Barack Obama eingeladen worden. Wäre es Ihnen lieber gewesen, man hätte Sie als Grünen-Politiker gefragt?

Ich reise natürlich auch als Grüner Vorsitzender am Sonntag nach Washington, vor allem aber als Brückenbauer zwischen Kulturen. Präsident Obama hatte diesen Dialog mit der islamischen Welt in seiner Rede letztes Jahr in Kairo angekündigt. Es darf nicht sein, dass es zu einem Kampf der Kulturen kommt und sich Fundamentalisten mit terroristischen Methoden hinter dem Deckmantel des Islam verstecken. Darum geht es bei der Konferenz mit Teilnehmern aus der ganzen Welt.

Wie aktiv praktizieren Sie denn Ihren Islam?

Nicht aktiver als viele Deutsche ihr Christentum, die einmal im Jahr an Weihnachten eine Kirche besuchen. Ich komme aus einer muslimischen Familie, und für mich ist insbesondere die Tradition des islamischen Humanismus wichtig, einer liberalen Strömung. Bei mir steht auch nicht so sehr die Religion im Mittelpunkt, sondern Werte, die ich damit verbinde. Und Toleranz ist hier ein wichtiges Stichwort.

Was wollen Sie Obama sagen?

Wenn wir Deutsche uns gegen Menschenrechtsverletzungen aussprechen, dann müssen wir auch danach handeln. Ich meine die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo Bay. Ich würde Obama gerne sagen: Wir Deutsche wollen Ihnen dabei helfen, Guantánamo Bay so schnell wie möglich zu schließen. Wir können einen kleinen symbolischen Beitrag dazu leisten, indem wir Gefangene aufnehmen. Die Bundesregierung agiert mit ihrer Ablehnung rein populistisch. Sie sollte transatlantisch denken.

Tut sie das nicht?

Nein, die Bundesregierung hilft Obama nicht. Dabei ist sein Erfolg auch unser Erfolg. Wenn Guantánamo Bay geschlossen wird, dann heilt das eine schlimme Wunde der gesamten westlichen Welt und macht sie sicherer.

Der letzte Grüne im Weißen Haus war Joschka Fischer. Findet in Washington die Geburt des Außenpolitikers Özdemir statt?

Gemach, gemach, ins Weiße Haus bin ich nicht eingeladen. Aber ich bin mit großer Leidenschaft Außenpolitiker, genauso wie Innenpolitiker. Und ich ärgere mich über das Desinteresse der Bundesregierung an der Außenpolitik. Aber ich kann die Dinge erst ändern, wenn die Grünen ab 2013 regieren.

Mit Ihnen als Außenminister.

Danke, dass Sie mich für das Amt empfehlen. Aber wir wollen lieber niemanden erschrecken. Ich will im Herbst wieder als Bundesvorsitzender der Grünen kandidieren.

Als Staatsmann können Sie trotzdem bei Obama auftreten. Werden wir Sie ausnahmsweise mit Krawatte sehen?

Ja klar. Unser Außenminister Westerwelle hat ja erst jüngst bemerkt, dass man im Ausland nicht in kurzen Hosen auftreten sollte. Da halte ich mich natürlich dran.